Lastwagengaragen bzw. deren Reperaturwerkstätten gab es in Williamsburg zu Hauf. Die Güter auf den Schiffen an den ehemals florierenden Piers des Industrie- und Arbeiterstadtteils Williamsburg, von denen nur noch der an der Raffinerie in Funktion stand, wurden meistens direkt in die Lastwagen umgeladen und dann zu den naheliegenden Fabriken und Lagerhäusern oder sonstwo in die Stadt gebracht. Mit dem niedergehenden Hafen standen dann neben den Lager- , Ver- und Bearbeitungsstätten auch die Transportergaragen zunehmend leer.
Sie wurden von den kreativen Stadtteilzuwanderern mit viel Fantasie nicht nur zu Musikclubs und Restaurants sondern auch zu Lofts um- und ausgebaut. Ihre Höhe und ihre Fläche waren dazu perfekt geeignet. Die Baubehörden drückten beide Augen zu bzw. wurden sie gar nicht erst informiert. Erst wenn man erwischt wurde wurde nachinvestiert und nachgearbeitet. Vor allem was feuer- und hygienerechtliche Bedingungen betraf. Sanitärtechnisch waren die meisten Lofts zu Anfang auf einem sehr niedrigen Niveau ausgestattet.
Die Landlords waren erst einmal nur an der Miete bzw. überhaupt an Einnahmen interessiert, denn die Buden standen vor der Umnutzung oft viele Jahre leer. Sie spielten das Versteckspiel mit und so konnte so ein Umbau viele Jahre ohne große behördliche Kontrolle existieren. Ich hatte die ersten Jahre viele Monate an der Berrystreet bei S. verbracht und haben dann Leute kennengelernt, die Lofts monatsweise vermietet haben. In einer dieser umgebauten Garagen, was weniger Blick bzw. mehr Ober- statt Seitenlicht bedeutete, denn die Garagen standen oft mit anderen Gebäuden Seite an Seite in einer Straßenflucht.
Aber da ich sehr viele Zeit außerhalb des Lofts verbrachte war das relativ egal. Erst recht weil es auch eine wunderbare Dachterrasse für alle Mieter gab. Dort trafen sich alle „Lofties“ am Abend. Die meisten waren Künstler, viel davon aus Europa und später auch aus Asien und Lateinamerika. Die Umgangssprache war natürlich englisch bzw. amerikanisch. Manchmal aber auch Deutsch, den zunehmend hatte es sich auch in meinem Heimatland in einer kleinen Szene rumgesprochen, dass es in Williamsburg komplette Lofts auf Zeit und zu einem fairen Preis zu mieten gab.
Die weiteren Treffpunkte waren die Kneipen an und um die Bedford und natürlich unser wilder „Stadtpark“ am Wasser. Kocheinrichtungen gab es die ersten Jahre in den Lofts nur behelfsmäßig so dass man oft zum Essen ausging, was zu diesem Zeitpunkt in der Nachbarschaft sehr günstig war. Es gab zunehmend Auswahl bis man alles an internationaler Küche ein paar Straßen entfernt rauf und runter essen konnte. Und immer noch viel billiger als in Manhattan.
Dort bin ich nur noch zu Mahlzeiten gegangen, wenn ich dort auch unterwegs war und natürlich wegen meiner Freundin J. die sich standhaft weigerte außerhalb von Manhattan Nahrung zu sich zu nehmen, wie sehr ich ihr auch immer Williamsburg anpries. Da die Tangoszene und ihre Lokalitäten sich ebenfalls in Manhattan konzentrierten und noch konzentrieren, und natürlich die Shoopingmöglichkeiten dort insgesamt tausend Mal größer waren, war ich gleichzeitig „Brooklinite“ und „Manhattanie“ geworden. Ich kannte allerdings nach einiger Zeit auch die anderen Stadteile wie meine Westentasche, denn ich fuhr von Anfang an in dieser Stadt leidenschaftlich gerne Fahrrad. Aber das ist eine andere Geschichte.
Viele meiner sporadischen Mitmieter in unserem Loftkomplex hatten, wie die meisten der dauerhaften Zuzügler, diesen Stadtteil ja ausgewählt, weil er so nahe an Manhattan lag, viel billiger war und zunehmend ein attraktives kulturelles Eigenleben entwickelte. Viele der Künstler arbeiteten in Ermangelung ihres Erfolges in einem ganz normalen Job in Manhattan. Meistens als Hilfskräfte, manche aber auch in einem qualifizierten Job. Taxifahren war ebenfalls einer der bevorzugten Verdienstmöglichkeiten. Eine ebenso häufige Tätigkeit war, vor allem für das ganz schnelle Zwischendurchverdienen das „Artmoving“.
Die vielen Galerien und Museen in Manhattan setzen mit Vorliebe junge noch nicht erfolgreiche Künstler als Schlepper- und Transporteure von Kunstwerken ein, weil sie davon ausgingen, dass diese sozusagen naturgemäß vorsichtiger mit dem umgingen was sie zu tragen oder sonstwie zu bewegen hatten. Es gab sogar eine Agentur, die in Williamsburg die schnelle Verbindung zwischen den dortigen Künstlern und den Auftraggebern in Manhattan organsierte. Handys waren zu dieser Zeit noch nicht sehr verbreitet bzw. für die meisten Künstler zu teuer. Festnetz , Kneipe, Straße und Park waren die vorrangigen Kommunikationsmedien respektive Orte.
Roofpartys waren bei entsprechendem Wetter die fünfte große Interaktionsform. Die Szene lud sich dort gegenseitig ein, es gab zunehmende Unterszenen und immer neue Clubs- und Restos als Treffpunkt, aber alles immer nur jeweils einen Steinwurf voneinander entfernt. Bis später auch die Galerien zu beliebten Meetingpoints wurden.
Danach kamen in einem noch größerem sozialen Maßstab die ersten gemeinsamen Art- und Musikfestivals dazu, die die Stadtteilszene gemeinsam organisierte. Alles erfahren konnte man in den Szenezeitungen die zu Anfang monatlich, dann aber wöchentlich erschienen und fast an jedem Treffpunkt auslagen. Aber mittlerweile auch, was die größeren Events betraf, in „Time Out“ und „Village Voice“, den angesagten Programm- und Szenemagazinen Manhattans.
An den Wochenenden kamen dann zunehmend so viele Besucher aus der restlichen Stadt und aus Manhattan dazu, so dass sich spezielle In-Kneipen ausbildeten, wo die Szene unter sich bleiben wollte und konnte. Entweder gab es einen bestimmten Dresscode und andere äußere Zeichen oder sie lagen weiter von der Bedford weg als üblich. Oder man traf sich wieder wie früher in den Lofts selbst und feierte dort.
Die erfolgreichen Kreativen hatten meistens auch die Größten und deswegen am besten zum Feiern geeigneten. Die Unterschiede innerhalb des Loft-Lifestyles nahmen, was Ausstattung, Ausdehnung und Lage betraf damit auch zu. Der eigene und dauerhafte spektakuläre Blick auf Manhattan war jetzt auch innerhalb der Szene das äußere Zeichen des Erfolgs. Damit nahm unweigerlich auch die Wohnkonkurrenz innerhalb der Szene zu.
Es gab jetzt, wo der Stadtteil hip wurde, das Loft nicht nur als besonderen Arbeitsort sondern auch als neues Statussymbol, vor allem wenn man noch erfolgreichere Kreative aus dem nach wie vor unerreichbaren Manhattan beeindrucken wollte. Die Landlords wussten das natürlich und die Kauf- und Mietpreise für diese Räume stiegen an. Entsprechend entstanden die ersten nur auf Williamsburg fokussierten Immobilienbüros. Natürlich an der Bedford und Umgebung. Zu Anfang kleine Butzen im Souterrain, dann immer protzigere Läden mit einer großen mit vielen Angeboten bestückten Fensterfront.
Die Leute die mein Loft umgebaut und vermietet hatten waren so klug gewesen für den ganzen Komplex von vorne herein einen langfristigen Vertrag abzuschließen. Die, die das nicht getan hatten, wurden sehr bald mit ersten Mieterhöhungen konfrontiert, die, wenn sie sie nicht bezahlen konnten, unweigerlich zum Auszug führten. Mit dem vorhandenen Mietbudget musste man dann den guten Lagen in W-Burg entsagen und sich woanders eine neue Bleibe suchen. So wurden auch die Teile von L-City von den Zuzüglern infiltriert, die bislang davon verschont worden waren, was wiederum dort die Mieten tendenziell steigerte.
Damit war die friedliche Phase der Gentrification zu Ende. Jetzt kamen nicht mehr Leerstände und untergenutzte Räume ins Spiel sondern schon bewohnte. Die Verdrängung der angestammten Bewohner begann. Hierzu weiter in den nächsten Folgen.
Was bisher geschah:
Die Willamsburg Story I…Klack
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Die Williamsburg Story IV…Klack
Die Williamsburg Story V…Klack
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[…] Die Williamsburg Story VII…Klack […]
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