An der Bedford gab es mit der Ausnahme von zwei kleinen öden Bierkaschemmen keine Kneipe weit und breit. Vom christlich-polnischen Greepoint bis zum jüdisch orthodoxen Viertel südlich der Williamsburg Bridge gab es außer Peter Lugers nur eine einzige ernst zu nehmende Bar: das Teddys.
Aber nicht an der Bedford Avenue sondern an der in gleicher Richtung laufenden Berry Street. An der Bedford gab es einen polnischen Metzger und einen italienischen Bäcker nahe der North 7th. Nicht weit davon eine noch heute von einheimischen Latinos betrieben Pizzeria und insgesamt zwei sogenannte Stehchinesen bei denen man auf ein paar abgewetzten Stühlen vor uralten resopalbeschichteten Tischen auch sitzen konnte.
Das eigentliche „Einkaufszentrum“ von Williamsburg lag damals entlang des Broadways unterhalb der darüber aufgeständerten und schon erwähnte JMZ –Linie, genau auf der Grenze zwischen dem jüdischen und lateinamerikanischen Williamsburg. Eine kulturelle Demarkationslinie die drastischer nicht ausfallen konnte, denn es gibt nichts Widersprüchlicheres als der Unterschied zwischen dem Outfit einer lebenslustigen Latina und einer strenggläubigen Jüdin.
Die immer schwarz und mit Käppi und/oder Hut gekleideten jüdischen Männer mit ihre langen gekräuselten Schläfenlocken vielen ebenfalls schon auf 100 Meter Entfernung zwischen den meistens wesentlich kleineren in der Regel mit Baseballkappen behüteten männlichen Latinos auf. Die damals wie ein Fort bewachte und gesicherte örtliche Poststelle lag und liegt heute noch, wenn auch nicht weit vom Broadway entfernt, auf Latinogebiet.
Ansonsten gab es fast an jeder Straßenecke die üblichen kleinen voll gepackten überteuerten und durch jede Menge Stahl gesicherten „Marcetas/Markets“ für die Nahversorgung. Sie wurden in der Regel von Latinos betrieben, die zwischen dem polnischen und dem jüdisch-orthodoxen Williamsburg entlang der Bedford Ave die Mehrheit der Bewohner stellten. Dazwischen haben sich in den letzten 2 Jahrzehnten kontinuierlich die mehrheitlich weißen Neubewohner geschoben und dabei vor allem die Polen und die Latinos verdrängt, bzw. deren angestammten Wohngebiete dezimiert.
Zu Anfang die Künstler und Studenten, später immer mehr gutverdienende Yuppies und junge wohlhabende Familien. Bevor jedoch die Letzteren in Williamsburg das Straßenbild bestimmten, musste erst der berühmt berüchtigte Sicherheitsfaktor erhöht werden. Auch als aus den ersten Pionieren eine kleine Community geworden war, waren Straßenüberfälle und andere gewalttätige Auseinandersetzungen in L-City nämlich nichts Ungewöhnliches. Sie hatten sogar manchmal eine geradezu absurde Note, wenn man nicht selbst betroffen war.
Ich hatte mittlerweile zusammen mit der Universität Aachen und der Columbia-Universität ein großes Studentenprojekt vorbereitet, dessen Kern ein 3monatiger Entwurfsworkshop im Loft von S. war. Mit insgesamt 120 Studenten. Die waren jedoch nicht alle gleichzeitig da, sondern reisten jeweils in 10-20ger Gruppen an um dann 2 Wochen intensiv vor Ort zu arbeiten und zu recherchieren. Eine der anstrengendsten und zugleich spannendsten Zeiten meines ganzen Lebens, denn ich war der einzige fachliche und soziale Betreuer dieser jungintellektuellen Rasselbande.
Insgesamt hatten wir in den Monaten drei Überfälle, zwei Diebstähle und die völlige Zerstörung eines Leihwagens zu verzeichnen. Die Überfälle fanden in den drei damals klassischen Formaten statt: Messer, Baseballschläger und Pistolen. Alle glücklicherweise ohne jeden Personenschaden, denn alle StudentInnen waren von mir und S. direkt nach ihrer Ankunft ausführlich in „Streetsmartness“ unterrichtet worden. Keiner der Täter wurde trotz Anzeige je von der Polizei gestellt wurde.
Eines Abends schlugen wir uns mal wieder zu Teddys durch. Wir waren guter Laune bis von Hinten jemand „Attention“ brüllte. Wir sprangen sofort auseinander und zwischen uns durch raste ein junger Schwarzer mit Irgendetwas, um das er fest seine rechte Hand klammerte. 10 Meter vor uns drehte er im vollen Lauf noch mal kurz den Kopf und rief laut und deutlich „Sorry“. Ehe wir aus dem Staunen heraus kamen wetzte schwer atmend ein älterer Latino zwischen uns durch. In einer Hand ein längeres Messer und offensichtlich der Verfolger des flinkeren Afroamerikaners. Und auch er drehte nach einigen Metern noch mal kurz seinen fast kahlen Schädel zu uns und brachte, wenn auch nicht so glasklar wie sein Vorläufer, ein deutlich hörbares „Sorry“ heraus.
Das war genau das, was Prince viel später in seinem wundervollen Song „Style“ präziser besungen hat. „ I got no job, but I got style“. Man könnte die beiden Protagonisten dieser Geschichte aber auch im wahrsten Sinne des Wortes als Vorläufer der Street Art bezeichnen, von der die spätere Künstler-Community Williamsburgs behauptet, dass sie sie erfunden habe. Mit Sicherheit kann ich jedoch sagen, dass sie im Straßenraum Williamsburgs mindestens 10 Jahre eher ästhetisch präsent war, als in Berlin. Zu der Zeit allerdings gab es noch keinen der in den üblichen Gazetten über Williamsburg schreiben wollte. Das etablierte Feuilleton hat es halt auch gerne etwas sicherer, ehe es auf Entdeckungsreise geht.
Für eben diese Sicherheit sorgte dann die Künstler- und Studenten-Community von Williamsburg selbst. Zusammen mit den angestammten Bewohnern, die die Zuzügler erst einmal sehr skeptisch beobachteten. Über die Jahre stellten sie jedoch fest, dass die Neuen auch Vorteile brachten. Der wichtigste war ihre Anwesenheit selbst, und zwar auf den Straßen und das auch am Abend. Denn Künstler und Studenten gehen weltweit gerne aus, und wenn es nichts in der Nähe auszugehen gibt und die „Restos“ in Manhattan viel zu teuer sind, dann machen die sich schon mal selbst ihre Kneipen auf. Mit der Folge, dass dann auch im Dunkeln mehr Menschen auf der Straße sind und das macht diese sicherer und die Überfälle auf ihnen weniger.
Erst recht wenn man dabei mit der Polizei zusammenarbeitet, bzw. diese sofort informiert, wenn was passiert oder aber sie immer wieder drängt, endlich was zu unternehmen. Oder aber wenn man sich einen bedrohlich aussehenden Hund kauft, der einen Nachts begleitet, wie es vor allem viele der weiblichen heute so genannten Kreativen in Williamsburg zu dieser Zeit getan haben. Wenn man dann das preiswert gemietete und selbst renovierte Fabrikloft noch preiswerter an die etwas Mutigeren unter den Touristen untervermietet, kommen noch mehr Leute ins Viertel, füllen die selbst eröffneten Kneipen und die Straßen die zu ihnen führen weiter auf.
Die New Yorker Polizei fühlte sich ab da in diesem Stadtteil wieder wohler, weil sie sich von der Bewohnerschaft beim Kampf gegen das Verbrechen unterstützt fühlt. Sie kam häufiger, was wiederum die Straßensicherheit erhöhte und das lockte wiederum neue Leute in den Stadtteil, die sich bislang nicht getraut hatten und das wiederum vermehrte das Straßenleben und die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. So ging allmählich die Zeit der Szene-Pioniere in die Zeit der sogenannten Scene-Builder über. Hierzu mehr in der nächsten Folge.
Was bisher geschah:
Die Willamsburg Story I…Klack
Die Willamsburg Story II…Klack
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[…] Die Williamsburg Story IV…Klack […]
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