Als Joachim Gauck diesen Satz am Mittwochabend in dem ihm eigenen pastoralen Duktus sagte, konnte man davon ausgehen, dass er in vielen Ländern der Erde so verstanden wurde, wie er gemeint war. Nicht so in Deutschland. So erwartbar wie deprimierend. Von unserem Gastautor Dietmar Herzog.
Die Süddeutsche nannte es „moralisch wohlfeil“ und zieh ihn der „Selbstaufwertung“, der notorische Christoph Butterwegge stellt selbstverständlich auf „seine Bezüge bis zum Lebensende“ ab und natürlich ist es „zynisch“. In der allgemeinen Wallung gibt es die Ratschläge der „führenden, deutschen Energieökonomin“, die vom Autofahren in der Freizeit abrät, andere bemühen den Evergreen von den Fahrgemeinschaften.
Die öffentlich-rechtlichen Spaßexperten von Extra3 sandten bezüglich des Spritpreises via Twitter ein launiges „Tja“ an ihr Lieblingsfeindbild, den SUV-Fahrer, geflissentlich übersehend, dass die alte Möhre mit der ein mäßig bezahlter Pendler des Morgens unterwegs zur Arbeit ist, mindestens die gleiche Menge Sprit verfeuert wie ein moderner SUV.
Das ein Böhmermann nicht davor zurückschreckt, die Familie in den Kellern von Charkiw zu bemühen, um einen Bogen zum zu den Energiepreisen zu schlagen, geschenkt.
Auch der, richtige, Hinweis darauf, dass die verantwortungslose Energiepolitik der Bundesregierung der letzten Jahre zumindest mitverantwortlich für die derzeitige Misere ist, lenkt ab vom eigentlichen Thema.
Joachim Gauck Zynismus oder mangelnde Empathie zu unterstellen ist infam. Im Gegensatz zu allen hier genannten, hat er das Entbehren der Freiheit am eigenen Leib erfahren. Seinen beiden Söhnen wurden in der DDR das Abitur und Studium vorenthalten.
Er, der seinen Freiheitsbegriff immer wieder an Personen wie Vaclav Havel und Johannes Paul II. gemessen und justiert hat, hält uns einen Spiegel vor. Was wir dort sehen, kann uns nicht gefallen. Denn wir müssen uns eigestehen, dass wir seit über siebzig Jahren wenig für unsere Freiheit tun mussten. Den Westdeutschen wurde die Demokratie verordnet, nicht jeder war begeistert. Wir im Osten haben 1989 ein auf tönernen Füßen stehendes Regime wegdemonstriert und ja, natürlich hatten wir Angst. Ein paar Monate, dann kam Kohl und hat den Sack zugebunden.
Dass Menschen mit langem Atem für die Freiheit gekämpft haben und bereit waren, diesen Kampf mit dem Leben zu bezahlen, verstört uns seit jeher. Dabei bedeutet der Kampf für die Freiheit nicht, dass wir ab und an einen Blick in unsere Kleiderschränke werfen und Überzähliges spenden, noch die Zeit zwischen Abi und Studium als Volunteer mit orangener Weste bei einem dubiosen NGO vertrödeln.
Wolodymyr Selenskyj hat vor ein paar Tagen zu Bild-Reporter Paul Ronzheimer gesagt: „Wir sterben auch für Euch.“
Wir werden auch in Zukunft nicht für unsere Freiheit frieren müssen. Es reicht, wenn wir uns eingestehen, das andere mehr leisten.
Zitat: "Joachim Gauck Zynismus oder mangelnde Empathie zu unterstellen ist infam."
Das sehe ich anders. Egal was Joachim Gauck früher erlebt oder erlitten hat, man kann von einem ehemaligen Bundespräsidenten erwarten, dass er seine Worte besser wählt als normale Bürger.
Frieren für die Freiheit ist eben keine Freiheit.
Auch Lindners "Wir werden alle ärmer" zeugt neben den erbärmlichn Kommentaren aus den Reihen der Öffentlich-Rechtlichen ( Georg Restle, Böhmermann usw.) von der Abgehobenheit vieler Funktionsträger und ihrer grünen Claqueure in den Medien.
Gerade noch waren die Rundfunk- und Fernsehjournalisten empört, dass ihnen 86 Cent Erhöhung nicht gegönnt wurden, jetzt machen sich dieselben Figuren lustig über die Sorgen der kleinen Leute, die sich die Heiz- und Benzin-Kosten nicht mehr leisten können – das ist infam!
Die Verachtung der kleinen Leute kann man an den Aussagen unserer "Eliten" erkennen. Herr Gauck muss sich aucgh an seinen Aussagen messen lassen…
"Wir werden auch in Zukunft nicht für unsere Freiheit frieren müssen. "
Das ist nicht so klar. Zumal die Frage nicht nur ist, ob wir russisches Gas und Öl boykottieren, sondern auch, ob Putin womöglich von sich aus die Lieferungen einstellt, um uns unter Druck zu setzen. Es dürfte kein Zufall sein, daß der größte Gasspeicher in Deutschland, in Rheden und unter Kontrolle von Gasprom, seit letztem Sommer praktisch leer steht.
Aber das darf uns nicht davon abhalten, mit der Ukraine solidarisch zu sein, und diese mit Sanktionen, vor allem aber auch mit Waffen zu unterstützen. Das ist moralisch geboten, aber auch realpolitisch: Putin träumt von einer Wiederherstellung des russischen Imperiums. Wenn ihm die Eroberung der Ukraine gelingen sollte, warum nicht als Nächstes Polen und dann Deutschland?
Daß eine klare Haltung gegen Aggression und Imperialismus uns auch etwas kosten kann, müssen wir in Kauf nehmen. Da bin ich ganz mit Gauck.
Ja, der arme C4-Professor, der nach 8J. Studium immerhin 38J. an den verschiedenen Universitäten in der Lohnsklaverei schuften mußte, um jetzt ein kümmerliches Ruhegehalt zu beziehen. Daß er wahrscheinlich wie weiland St. Martin mit den Objekten seiner Forschung teilt.
Da ist ein ehemaliger BuPrä schon ein Krösus gegen. In der Aufzählung fehlt noch der it-boy der Berufsempörten, hatte der diesmal nichts zu sagen oder ist der auf Urlaub?
Genau darum sofortiger Stopp aller wie auch immer gearteten Wirtschaftsbeziehungen zu solchen Menschenverachtenden Staaten wie Russland,aber auch China.Es reicht mir.Mit diesen Unrechtstegimen will ich nichts zu tun haben.İch will nichts mehr hören und sehen von diesen Mörderregimen.Es wird Zeit unsere Atombomben scharf zu machen.
@ Reginald
Reginald: "Es wird Zeit unsere Atombomben scharf zu machen."
Höchste Zeit, die deutsche Psychiatrie handlungsfähig zu machen. Ein Atomkrieg muss verhindert werden, dafür kann es gar nicht genug Förderung geben.
Natürlich hat Gauck recht, wenn er Solidarität nicht nur mit Worten oder Spenden fordert. Und es ist nun mal so, dass die Sanktionen ohne Aussetzen der Gas- und Öllieferungen nicht so richtig wirken.
Einen Punkt haben die Kritiker allerdings auch: "Wir" müssen frieren, stimmt so nicht… es sind die Armen, die am Fall des Falles frieren würden – jemand mit besserem finanziellen Polster kriegt die Bude dann halt anders warm, mit elektrisch betriebenen Heizkörpern oder den kuscheligen Kaminöfen, die viele in Eigenheim oder Eigentumswohnung stehen haben – oder gleich mit einer neuen Heizungsanlage.
Und es kommen ja noch andere Belastungen dazu, erhebliche Verteuerungen bei Lebensmitteln, z. B.
Wie man dieses Problem anzugehen gedenkt wurde Anfang des Jahres hinreichned klar: Die Erhöhung der HartzIV Sätze um 3.00 EUR im Monat…
Aber das sind im Grunde Petitessen.
Die wirklichen Probleme zeichnen sich ganz woanders ab.
Schon jetzt steigen die Weizenpreise, weil die Ukraine als (weltweit fünftgrößter!) Produzent in diesem Jahr wohl ausfällt. Ein Großteil der Weizenlieferungen der Ukraine geht in Entwicklungsländer, nach Ostafrika z. B.
Dort drohen Hungersnöte. Die Probleme die dort drohen, haben eine völlig andere Dimension.
Man klagt in D also mal wieder auf sehr hohem Niveau.
Zwei Männer gehen durch den Wald. Da taucht ein Bär auf. Sofort zieht der eine seine Stiefel aus. Erstaunt fragt der andere: “Glaubst du etwa, du kannst vor dem Bär davonlaufen?” “Nein, aber ich muss ja nur schneller laufen als du.“
Frieren statt Krieg führen können Menschen sagen die gut Geld haben….die müssen niemals auf was verzichten!…..
@ #1 Nansy
Nansy, soweit ich Gauck beurteilen kann, ist er sehr wohl jemand, der nichts Leichtfertiges dahinsagt. Dass er die „kleinen Leute“ verachtet, dafür habe ich noch nie einen Beleg gefunden. Und ihn mit solchen Gestalten wie Georg Restle zu vergleichen, wäre eine Verharmlosung desselben.
Von einem Herrn Steinmeier wird man solche Sätze nicht hören, er weiß wie man sich weg duckt (Ensslin, Mullahs, Arafat). Gauck könnte dasselbe tun und einfach nichts sagen – er bringt sich jedoch in die Schusslinie, weil er der Überzeugung ist, dass wir sowohl im übertragenen Sinn als auch womöglich konkret für unsere Freiheit (und die der Ukraine) „frieren“ müssen. Und damit hat er aus meiner Sicht recht.
Nansy, Sie (und S.Scheidle in #6) sprechen allerdings einen wichtigen und absolut berechtigten Punkt an: Der Preis für dieses „Frieren“ wird in erster Linie von den kleinen Leuten gezahlt werden müssen, hier darf man sich keinen Illusionen hingeben. Die begüterten Teile der Bevölkerung werden immer(!) besser davonkommen als die in einfacheren oder gar prekären Verhältnissen Lebenden.
Was aber ist die Konsequenz daraus? Nichts tun und sich einfach nur ducken? Ich fürchte, es wird sich alles zu noch viel Schlimmerem entwickeln, wenn wir darauf warten, bis die begüterten Schichten ihren adäquaten Anteil entrichten. Am eigentlichen Problem wird sich jedoch nichts Wesentliches ändern.
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Wer sich übrigens ebenfalls feige weg duckt, ist die Linke mit Wagenknecht, Gysi und Konsorten. Wie wäre es, das ehemalige SED-Parteivermögen oder einen großen Teil davon für die Ukraine zu spenden und damit ein Zeichen gegen den russischen Imperialismus zu setzen? Damit könnte die „Linke“ ihre historische Schuld wenigstens ein Stück weit abtragen.
@ # 9 Nussknacker56
Sie haben Recht – es ist nicht fair, Gauck mit solchen Gestalten wie Georg Restle zu vergleichen. Das hätte ich mehr differenzieren können.
Trotzdem, von Joachim Gauck kann man eine genauere Abwägung seiner Worte erwarten. So sind wir auf die wohlwollende Interpretationen seiner Aussagen angewiesen. Es bleibt der Eindruck, dass er Teil des Chores derjenigen ist, die als Gutverdiener den kleinen Leuten wohlfeile Ratschläge zum Verzicht erteilen.
Über Herrn Steinmeier, der für mich die Nation eher spaltet, statt sie zu einen, möchte ich mich nicht näher äußern.
Was mich so wütend macht, ist die fortlaufende Untätigkeit derjenigen, die uns (neben Putin) erst in diese Lage gebracht haben. Nach der Ankündigung von 100 Milliarden für die Bundeswehr hatten viele die Hoffnung, dass man sich jetzt auch auf anderen Gebieten der Realität stellen würde.
Nur ein Beispiel: die Bauernverbände fordern das Freigeben von ungenutzten Ackerflächen für den Getreideanbau usw. für eine bessere Versorgung der Menschen. Nachdem Russland und die Ukraine kein Getreide mehr liefern können, wird die Versorgung mit Getreide für EU und die
armen Länder der Welt wegbrechen. Das kann die EU alleine nicht auffangen, aber zumindest mildern.
Die EU (von der Leyen, Timmermanns und Co.) wollen aber aus ideologischen Gründen von ihrem Green Deal nicht abrücken. Lieber sollen die Leute auf bezahlbares Getriede verzichten.
Es hat sich nichts geändert. Und ich werde wütend, wenn mir Stimmen aus dieser Politikerkaste Tips zum Frieren und Verzichten geben wollen.
Die derzeitige Diskussion um Joachim Gauck ist eine "Stellvertreterdiskussion" auf einem "Art" Nebenkriegsschauplatz, die weder Gauck noch irgendeiner Sache im Zusammenhang mit Putins Krieg in der Ukraine gerecht wird. Vielmehr offenbart diese Diskussion die Phantasielosigkeit der Medienschaffenden in Deutschland, die vielleicht noch die richtigen Fragen stellen, diese aber an die falschen Leute richten.
Was hat Gauck mit der Ukraine zu tun? – Nichts, außer, dass er zur Zeit der Krimbesetzung der Bundespräsident in Deutschland war und damals 2014 relativ früh die passenden Worte gefunden hat, beispielsweise bei seinem Polenbesuch im September auf der Westernplatte bei Danzig.
Der derzeitige Bundespräsident Frank Walter Steinmeier dagegen hat sehr viel mit der dem Krieg zu tun, denn er war der deutsche Außenminister als Putin 2014 die Krim überfiel und er war auch Außenminister, als Putin im Kaukasuskrieg Georgien überfiel, ein Land, von dem Steinmeier damals forderte, dass es seine Kriegsverbrechen gegenüber den Russen untersuchen lassen möge, weil es nicht angehen kann, Russland alleine für den krieg und die Gräuel verantwortlich zu machen. Steinmeier war immer einer der Bremser, was eine Aufnähme der Ukraine in die Nato angeht, bis es dann irgendwann zu spät war. Diesen Frank-Satzbaukasten Steinmeier feierte das deutsche Feuilleton noch vor wenigen Wochen, weil er es im ersten Wahlgang geschafft hat zum zweiten Mal Präsident zu werden. Helau! Aber zu seiner Verantwortung im Vorfeld dieses Krieges fragt diesen Mann niemand.
Ähnlich verhält es sich mit der Schnitzeljagd auf Gerhard Schröder. Der Mann ist ein Arschloch vor dem Herrn, korrupt und parteiisch, wie es sich für einen braven Lobbyisten gehört und von mir aus kann man ihn auch auf die Liste der zu boykottierenden Oligarchen setzen, verdient hat er es alle mal.
Aber Schröder ist nicht der einzige Altkanzler, der kläglich versagt hat und sein Versagen findet erst statt seit er kein politische Amt mehr inne hat. Angela Merkel dagegen ist die Frau, die als Kanzlerin versagt und Europas desolate Sicherheitsarchitektur wie kein anderer europäischer Politiker destabilisiert hat. Aber auch zu Merkel hört man aus den Medien nichts. Wo sind da die Journalisten und stellen fragen?
Eine dritter Personkteis wird bei Nansy in #10 genannt. Die europäischen Claqueure in Brüssel, die derzeit bei jedem Satz, der aus der Ukraine kommt, meinen Beifall klatschen und irgendwelche Hoffnungen streuen zu müssen und die von Ursula van der Leyen angeführt werden. Das ist die Frau, unter deren Verantwortung als Verteidigungsministerin die Bundeswehr vor die Wand gefahren wurde und die die 2%ige BIP Beiteiligung für die Nato immer wieder zu conterkarieren vermochte. Von ihrem versagen während der Impfstoffbeschaffung mal ganz zu schweigen.
Auch hier stellt keiner Fragen, die man als Politiker vieleicht nicht beantworten will, die den Bürger aber trotzdem interessieren. Stattdessen hat Gauck sich eingemischt und alles prügelt auf ihn ein.