Wir leben nicht im post- sondern im protodemokratischen Zeitalter.

Modische Kritik an der Postmodernen


Ich kann es nicht mehr hören, das Präfix post. Während Konzerne die Aufkäufe von Wasser, Boden und Rohstoffen immer weiter steigern und die privaten Vermögen sich aus Angst vor einer neuen Finanzkrise immer stärker in Sachwerten realisieren, faseln die postmodernen Worterfinder vom postmateriellen Zeitalter. Während überall die Grenzzäune verstärkt und viele Menschen die soziale und ökonomische Sicherheit sowie ihre kulturelle Identität wieder im Nationalen suchen, weil sie sie woanders nicht finden, versuchen sie uns unverdrossen das postnationale Zeitalter einzureden.

Obwohl jeder weiß, dass die meisten Menschen schon immer das am liebsten hören und lesen, was ihnen in den Kram passt, weil sich ihre Psyche im Gegensatz zur ihre Umgebung und ihren Kommunikationsmitteln kaum verändert hat, wollen sie uns mit ihrer neusten Worterfindung namens postfaktisch weiß machen, dass das erst mit dem Internet so richtig losgegangen ist.

Obwohl die Ideologisierung unserer Weltsicht nach der inneren- oder äußeren Zerstörung von Kommunismus und Nazi-Faschismus keineswegs aufgehört hat, ja der Faschismus sogar wieder in der immer schon gefährlichen Verbindung von Religion und Politik im Islamismus eine Wiedergeburt erfährt, wähnen sich die Postmodernisten schon im postideologischen Zeitalter.

Dabei ist es das Post der Postmoderne, das gerade selbst an der Realität zerbröselt. In ihrem eigenen Jargon befinden wir uns gewissermaßen in der Postpostmoderne. In Wirklichkeit war die Postmoderne jedoch eine Erfindung in einer universitären Filterblase weltweiten Ausmaßes, die anscheinend bis heute der selbstreferentiellen Überzeugung ist, das man sich die Welt völlig unabhängig von ihrer materiellen und darauf bezogenen sozialen Existenz konstruieren kann.

Aber die Welt existiert auch ohne das wir sie durch Sprache und Text begreifen und ihre modernisierenden und antimodernisierenden Elemente macht nicht deswegen halt, weil Jemand ihr Ende erklärt und alle die begeistert zustimmen, die in ihrem eigenen privilegierten Leben davon nichts mitbekommen, bzw. davon verschont bleiben. Die Postmoderne bedarf also mindesten so dringend der Aufklärung wie sie die Vormoderne notwendig hatte.

Denn wir leben auch nicht im postdemokratischen Zeitalter, ja wir leben nicht einmal im demokratischen, wenn man die Ansprüche ernstnimmt, die die Philosophie und die Politikwissenschaft an eine weitestgehend nicht , zumindest aber nicht einseitig manipulierte kollektive Entscheidung freier und gleicher Bürger stellt. Von der nirgendwo für alle hergestellten Gleichheit und Freiheit ganz zu schweigen.

Bei nähere Betrachtung üben wir selbst in den Ländern noch, die schon länger als demokratisch gefestigt gelten, denn auch hier sind immer noch antidemokratische Kräfte am Werk, die dieses Entscheidungssystem zwar nicht gänzlich ausschalten aber doch systematisch und konsequent verdeckt zur ihrem und nur zu ihrem Vorteil manipulieren. Die nicht transparente und damit von allen anderen kontrollierbare Lobby-Arbeit betreiben sondern Korruption und Vetternwirtschaft.

Die über ein undurchsichtiges Spendensystem Parteien und Politik zu ihren eigenen Gunsten beeinflussen. Die durch Macht und Besitz Einfluss auf den Inhalt, die Zugänglichkeit und die Verbreitung der Information nehmen, die die Basis jeder demokratischen Entscheidung sind. Die Posten nur nach Parteibuch und nicht nach Qualifikation und persönlicher Unabhängigkeit vergeben.

All diese Leute zeichnen sich nämlich dadurch aus, dass sie nur so lange Demokraten bleiben, wie die Demokratie ihnen und ihresgleichen ganz persönlich nutzt. So lange sie nicht überstimmt werden, bzw. solange sie dafür sorgen, dass das erst gar nicht passiert. So lange es „ihre“ Demokratie ist, und nicht die des Volkes. Und von diesen Menschen gibt es auch in den westlichen Ländern mehr als den überzeugten Demokraten lieb ist.

Wir befinden uns also bei näherer Betrachtung in einem proto-demokratischen Zeitalter, denn wir üben noch, und das immer noch mit ungewissem Ausgang, wenn man die letzten 100 Jahre westlicher Demokratien an sich vorbeiziehen lässt. Eine Demokratie, die ihren Zenit schon überschritten hätte, bzw. in so etwas ominösem wie eine Postdemokratie hinüber gewechselt ist, gibt es weltweit auf jeden Fall nirgendwo.

Dafür gibt es umso mehr Länder für die das Adjektiv protodemokratisch ganz besonders zutrifft, weil dort mit mehr oder weniger hohem Blutzoll allererste Formen demokratischer Willensbildung von unten durchgesetzt wurden. Die zwar weder den westlichen Maßstäben entsprechen noch zu im universalen Sinn aufgeklärten Regierungen geführt haben, nichtsdestotrotz aber für die jeweiligen Bevölkerung einen Fortschritt in Richtung Demokratie bedeuten.

Dieser ist oft noch sehr fragil, ja sogar durch innere und äußere antidemokratische Kräfte bedroht, die auch vor systematischen Terror nicht zurückschrecken. Er bedarf deswegen statt westlicher Belehrungen der besonderen Unterstützung schon gefestigter Demokratien, egal ob diesen die Wahlergebnisse politisch zusagen oder nicht. Was in diesen Ländern überhaupt nicht gebraucht wird, ist dagegen das postmoderne Gefasel vom postdemokratischen Zeitalter.

Die auf den allgemeinen Menschenrechten basierende Demokratie ist nämlich keineswegs eine überholte Staats- und Gemeinschaftsform, wie man uns an der „Gelenkten Demokratie“ von Putins Russland oder der „Eine-Partei-Demokratie“ Chinas oder der „Demokratie der religiösen Massenzustimmung“ der Türkei unter Erdogan weismachen will. Sie alle sind weder post- noch protodemokratisch sondern schlicht antidemokratisch, wie wir an den in allen drei Ländern absehbar zunehmenden inneren Konflikte und ihrer diktatorischen Bewältigung sehen werden.

Dazu kommen die schon lange gefestigten Diktaturen dieser Welt, bei denen selbst geringste Menschenrechtsverbesserungen weder anstehen noch in naher Zukunft absehbar sind, weil sie sich selbst noch im politischen Mittelalter befinden und ihrer Herrscher auch nicht vorhaben das zu verändern. Vertreten obendrein in einer UNO, in der sie über das Schicksal demokratischer Staaten mitbestimmen dürfen, um so die UNO selbst zu einem Hort der Antidemokratie zu machen.

Nein, Leute, die Welt befindet sich inmitten der Moderne und nicht an ihrem Ende. Die Aufklärung ist nicht an sich selbst, noch überhaupt gescheitert. Sie hat nur viel mehr und viel mächtigere innere und äußere Gegner als sich die ersten Aufklärer selbst je vorstellen konnten. Deswegen ist sie eine permanente und sich selbst ständig erneuernde gesellschaftliche Aufgabe die entsprechen immer neuer Aufklärer mobilisieren muss und kann. Denn erst wer dabei ist, ihre bisherigen Errungenschaften zu verlieren, weiß was er an ihr hat.

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alexander
alexander
7 Jahre zuvor

Inhaltlich trifft Arnold voll ins Schwarze, wenn auch Ablehnung und gleichzeitiger Gebrauch des Präfix „post“ etwas irritiert.

Helmut Junge
Helmut Junge
7 Jahre zuvor

Die Postmoderne scheitert am Praxistest. Weder die sie vertretenden Lehrstuhlinhaber noch deren Studenten sind fähig, die derzeitige Entwicklung, die Parteien wie die AFD begünstigt, zu begreifen oder gar zu stoppen. Sie ist also zu nichts nütze außer dazu, Studierende zu quälen. Und das ginge auch mit anderen Lehrinhalten.
Ich sehe keinen Bezug auf dringenste Fragen unserer Zeit und bin sogar überzeugt, daß die Studierenden ohne solche Studiengänge absolviert zu haben, zumindest besser diskutieren könnten.

Walter Stach
Walter Stach
7 Jahre zuvor

Arnold Voss,
ich kann und ich konnte nie mit Begriffen wie postmodern, postfaktisch, protomodern gedanklich " so recht" etwas anfangen. Ich hatte und ich habe stets das Gefühl, daß sie für mein (Nach-)Denken über "Demokratie, Rechtstaat, Aufklärung, Menschenrechte" ehe hinderlich als förderlich waren und sind.
Warum wird nicht "schlicht und einfach" ohne die zitieren Begrifflichkeiten zu bemühen , also insofern auch für jedermann verständlich. gefragt, ob für die Gesellschaften weltweit oder ob für die sog. westliche Wertegemeinschaft oder ob konkret für die Gesellschaft in Deutschland "Demokratie, Rechtsstaat, Aufklärung, Menschenrechte" erhaltenswerte bzw. erstrebenswerte Staatsformen bzw, staatliche Ordnungsprinzipien bzw. anerkannte und respektierte Ideale für das menschliche Zusammenleben sind bzw. weiterhin sein sollten bzw. gewollt werden sollten.

Und wenn so gefragt wird, erkennt doch jedermann (!!), daß a.) diese Fragestellung nicht neu ist, b.) daß die Antworten darauf stets (!)vielfältig und gegensätzlich waren und daß c.) die Vielfältigkeit und Gegensätzlichkeit in den Antworten sehr viel damit zu tun haben, inwieweit man rational und emotional (!) "Gesinnungsgenosse/Überzeugungstäter" ist, wenn es um "Demokratie, Rechtstaat, Aufklärung, Menschenrechte" geht.

Derzeit, so jedenfalls meine Wahrnehmung, spricht Einiges dafür, daß in Gesellschaften, in denen bisher die Fundamente von Demokratie und Rechtstaat und die Ideale der Aufklärung und der Menschenrechte grundsätzlich nicht in Frage gestellt worden sind, jetzt doch diese "Infragestellung" mehr denn je gesellschaftfsähig geworden zu sein scheint und sich darüberhinaus hier und dort in der praktischen Politik die Bereitschaft erkennen läßt, sich wider demokratisch und rechtstaatliche Grundsätze, sich wider den Geist der Aufklärung und wider die Grundwerte der Menschenrechte zu verhalten, diese zumindest zu ignorieren oder sie anderen Interessen/Zielen unterzuordnen.
(Auf die Vorstellung von einer weltweitem Dominanz dessen, was Demokratie, Rechtstaat, Aufklärung, Menschenrechte ausmachen, gehe ich hier nicht ein, weil dieser "Wunschtraum jedenfalls dann endgültige beerdigt werden muß, wenn sich die sog. westliche Welt daran macht, ihre (!!) Errungschaften bei sich selbst zu Grabe zu tragen.)

Ich hätte nie gedacht, daß es in Deutschland, daß es in Westeuropa, daß es in den USA der Essentiale der Demokratie und des Rechtsstaates wegen und wegen der Achtung der Prinzipien der Aufklärung und wegen des Selbstverständnisses von unveräußerliche Grundrechte aller Menschen irgendwann noch 'mal eines besonderen bürgerschaftlichen Engagements, ja eines Kampfes von Bürgern bedürfen würde, und zwar primär nicht gegen den Staat, gegen Staatsorgane, sondern gegen Gegner, gegen Feinde (!) in der Gesellschaft aus allen ihren Schichten.
Irren ist eben "menschlich".

Anrold Voss,
in diesem Sinne Zustimmung zu Deinem "Appell" im letzten Absatz.

"Gesinnungsgenossen/Überzeugungstäter", die rational und emotional in der Demokratie, im Rechtstaat, in den Ideen der Aufklärung, in den Menschenrechte das Beste für das Miteinander der Menschen ausgemacht haben, sind allesamt -einzelnen und in der Gemeinschaft Gleichgesinnter- gefordert, sich für dieses Beste mehr denn je zu engagieren -überall, schriftlich und mündlich!

PS
Ich halte es im übrigen, auch wenn es nur um ein Detail zu gehen scheint, für unbedingt notwendig, , wenn in diesem Sinne eine wünschenswerte, kritische, transparente, heftige Auseinandersetzung zwischen den Parteien in Deutschland -jenseits der AFD-, nicht dazu führt, daß die Parteinen das, was sie eint , was ihre gemeinsame Grundlage ist -sh.Oben-, in Frage stellen oder gar meinen, Solches dem Gegenüber vorhalten zu müssen. Kurzfristig könnte ansonsten während und in Folge der Wahlkämpfe in 2o17 ein Problem für Demokratie, Rechtstaat pp. entstehen -in Deutschland, in Frankreich, in…..- mit der Gefahr langfristiger Auswirkungen.

thomas weigle
thomas weigle
7 Jahre zuvor

Sehen wir es doch mal so: die Aufklärung hat immer mal wieder Pausen seit ihrer Entstehung eingelegt. Aber selbst das "Jahrhundert der Lager", wie eine Tagung im Haus der Wannseekonferenz hieß, hat es nicht geschafft, diese Prinzipien abzuschaffen, sie vergessen zu lassen. M.a.W: es war schon schlimmer. Das sollte doch mehr als nur ein Hoffnungsschimmer sein.

abraxasrgb
abraxasrgb
7 Jahre zuvor

Tertium datur, lieber Arnold.
Die Aufklärung (rationale Argumentation, Logik als Methode) und das politische System "Demokratie" (emotionaler Appell, Rhetorik als Mittel), beziehen sich auf völlig andere Gegenstandsbereiche.

Soll heissen, klar gibt es Aufklärung und klar, gibt es Demokratie(n). Beiden gemein ist, dass sie reflexiv sind, also sich selbst versuchen mit zu betrachten. Die Aufklärung ist ja bekanntermassen(sic!) dialektisch möglich, ebenso kann es verschiedene Meinungen über Demokratie geben. Das eine Spiel ist Wahrheit, das andere Spiel ist (numerische oder prozedurale) Mehrheit. Diese Spiele sind eben, wie Du richtig kritisierst, nicht deckungsgeich gültig.
Die spannende Frage ist doch, ob das "Werte", die wir gerade überall inflationär um die Ohren und Augen gehauen bekommen, gemessen werden können? Oder ob sie begründet werden können?
Die Aufklärung konnte und kann ganz gut ohne Demokratie, sie ist ja in der Monarchie enstanden 😉
Aber die Demokratie ist ohne Aufklärung nur schwer möglich und ist wohl auch unwahrscheinlich. So als ob* eine Million Affen, die auf Tastaturen herum tippen und Goethes Faust dabei heraus käme 😉

Postmodernismus ist ein Sekte ohne Kirche 😉 aber mit vielen "Corner-Speakers", Säulenheiligen und Propheten – und einer wachsenden Schar von Adepten, Jüngern, Gläubigen , -)
Ich stimme, Dir zu, wenn sich religiöse Weltanschauungen vor allem solche, die glauben "wissenschaftlich zu sein", mit poitischer Macht koppeln, was auch im Falle des "Postmodernismus" immer mehr der Fall ist, dann wird es faschistoid.
"Demokratie" ist nicht automatisch mit bestimmten Werten verbunden, sie regelt die Koexistenz verschiedener Werte und Wertsysteme. Dabei kann sie auch die Demokratie als System selbst wieder hinterfragende Wertsysteme zur Geltung verhelfen und / oder sich auch selbst abschaffen.

*Vahihinger, Philosophie des "als ob", spannende, vertiefende Lektüre zum Thema.

Helmut Junge
Helmut Junge
7 Jahre zuvor

"Postmodernismus ist ein Sekte ohne Kirche ? aber mit vielen "Corner-Speakers", Säulenheiligen und Propheten – und einer wachsenden Schar von Adepten, Jüngern, Gläubigen ,"
und weiter:
"…wenn sich religiöse Weltanschauungen vor allem solche, die glauben "wissenschaftlich zu sein", mit poitischer Macht koppeln, was auch im Falle des "Postmodernismus" immer mehr der Fall ist, dann wird es faschistoid."

Das denke ich auch, und umso notwendiger ist es diese Beinahereligion, die sich als Philosophie tarnt, zu enttarnen, was Arnold Voß lobenswerterweise begonnen hat.
Glücklicherweise hat der Einfluß dieser Hirnbetäubungslehre auf die akademische Jugend nicht nur im negativen Sinne bewirkt, daß seine Anhänger unfähig sind auf der Straße, also im realen Leben, uns zu unterstützen gegen die Gefahren, die das reale Leben zur Zeit bereit hält, sondern hat auch dazu geführt, daß die Lehre sich nicht mal selber schützen kann, was ich an der Tatsache ablese, daß sie niemand der vielen tausend Anhänger hier, wo sie angegriffen wird, verteidigt. Sie wird demnach vermutlich Opfer des dialektischen Umkehrschlusses, eben aufgrund ihrer Natur nicht praxistauglich zu sein. Allerdings wiegt es schwerer, daß wegen dieser Lehre, die akademische Intelligenz im Kampf gegen Rechts zur Zeit völlig versagt.

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