Der Bundestag hat heute die Resolution gegen Antisemitismus – bis zuletzt heftig verleumdet – nahezu einhellig beschlossen, das BSW scherte aus, sei’s drum. Für die CDU/CSU-Fraktion hielt Armin Laschet eine Rede, die man als groß bezeichnen kann, auch weil der die AfD wie Schuljungen antanzen ließ, um sie abzumeiern, so geht das.
Drucksache 20/13627, Titel: „Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“. Monatelanges Gezerre um die Formulierungen, heftige Anfeindungen bis zuletzt – Susan Neiman etwa, Berichten zufolge hat die Direktorin einer vom Land Brandenburg finanzierten Stiftung, Mitglied der Grundwerte-Kommission der SPD, noch einen Tag zuvor die Bundesrepublik der DDR gleichgestellt: „Dort gab es verordneten Antifaschismus, jetzt gibt es verordneten Philosemitismus“. Und dann ein Parlament, das sich von solcher Grundverwirrung nicht beirren ließ, auch die grüne Fraktion blieb in der Spur – oder sagen wir, machte eine ganz neue Spur auf, als die bayrische Grünen-MdB Marlene Schönberger behauptete, nach dem „unsäglichen Antisemitismus auf der Documenta“ werde jetzt endlich entschlossen gehandelt, Claudia Roth sei „die erste Kulturstaatsministerin, die das Problem ernsthaft angeht“. Große Heiterkeit im Plenum. Wir dokumentieren die Rede von Armin Laschet, sie ist, selten genug, ebenso profund wie unterhaltsam:
Armin Laschet (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als am 7. Oktober das größte Massaker an Jüdinnen und Juden seit 1945 passierte, habe ich gedacht: Wenigstens in dieser Frage wird es jetzt Einigkeit geben! – Man kann über den Nahostkonflikt diskutieren, man kann über die Besetzung der Regierung Netanjahu diskutieren, man kann über den Sechstagekrieg diskutieren, man kann über die Zweistaatenlösung diskutieren: Aber Mord und Vergewaltigung, das kann doch niemand ernsthaft gutheißen!
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der Linken sowie bei Abgeordneten des BSW)
Habe ich gedacht. Aber allein wenn ich sehe, dass die Kollegin Frau Preisler, wenn sie nur mit dem Schild „Rape is not resistance“, also „Vergewaltigung ist kein Widerstand“, auf Demonstrationen geht, von der Polizei geschützt werden muss, dann kann ich nur feststellen: Das ist anscheinend etwas, was auf bestimmten Demonstrationen nicht sagbar ist. Das ist es, was diese Debatte jetzt so wichtig macht.
Und da mischen sich plötzlich auch links und rechts; das Raster stimmt nicht mehr. Natürlich versucht die AfD, ihre Politik gegen Muslime und gegen – –
(Beatrix von Storch (AfD): Ja, äh! – Hannes Gnauck (AfD): Genau! Da fällt Ihnen gar nichts ein, ne?)
– – insbesondere gegen Muslime hier an diesem Punkt zu betreiben. Ja klar, wir haben das doch gehört, Frau von Storch.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der Linken – Kay Gottschalk (AfD): Gegen Islamisten! – Weitere Zurufe von der AfD)
Hätten Sie mal was zu den rechtsradikalen Umtrieben gesagt, wäre das glaubwürdiger gewesen.
(Dr. Malte Kaufmann (AfD): Sie missbrauchen diese Diskussion für widerliche Parteipolitik!)
Frau Dağdelen, was Sie hier von der linken Seite gesagt haben, war auch nicht viel besser. Sich jetzt hier an der Ampel abzuarbeiten,
(Beatrix von Storch (AfD): Die gibt es nicht mehr! Die Ampel ist vorbei!)
dazu haben wir genug Gelegenheit diese Woche. Aber es geht heute um etwas Größeres als um die Ampelregierung. Wirklich, Frau Dağdelen!
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der Linken – Beatrix von Storch (AfD): Herr Laschet, die Ampel ist vorbei, die gibt es nicht mehr! Keiner arbeitet sich an der Ampel ab! Die ist tot!)
Das ist das. Ich zitiere mal jemanden, der völlig – –
(Jürgen Braun (AfD): Sie haben doch das islamic Shithole Nordrhein-Westfalen verantwortet, Herr Laschet!)
– Bitte?
(Jürgen Braun (AfD): Islamic ShitholeNordrhein-Westfalen! Das ist Ihre Verantwortung! – Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU): Frau Präsidentin!)
– Entschuldigen Sie mal!
Präsidentin Bärbel Bas: Wollen Sie jetzt eine Zwischenfrage stellen? Dann würde ich Herrn Laschet fragen, ob er die zulässt. Aber einen Dialog gibt es hier nicht.
Armin Laschet (CDU/CSU): Stellen Sie eine Zwischenfrage!
Präsidentin Bärbel Bas: Möchten Sie eine stellen, Herr Braun? Dann machen Sie es.
Jürgen Braun (AfD): Herr Laschet, vielen Dank für die Erlaubnis, eine Zwischenfrage zu stellen. – Sie waren Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen. Davor waren Sie Minister für Integration in Nordrhein-Westfalen. (Zuruf von der SPD: Ist das die Frage?) Nordrhein-Westfalen hat die größten Probleme mit dem Islamismus in Deutschland. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Wann bekennen Sie sich endlich zu Ihrer politischen Verantwortung, den Islamismus und alle Kreise dort in Nordrhein-Westfalen immer wieder verharmlost zu haben, Kontakte mit islamistischen Kreisen gesucht zu haben und auch die CDU gegen islamistische Kreise in Nordrhein-Westfalen nicht abgegrenzt zu haben? Das ist Ihre Verantwortung, Herr Laschet. (Beifall bei der AfD)
Armin Laschet (CDU/CSU): Das war jetzt keine Frage, sondern – –
(Abg. Jürgen Braun (AfD) will wieder Platz nehmen)
Bleiben Sie ruhig stehen.
(Jürgen Braun (AfD): Ja, ja, gerne!)
Sie müssen jetzt hier stehen bleiben und die Antwort ertragen.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der Linken)
Nordrhein-Westfalen hat eine große muslimische Gemeinschaft. Ich habe gemeinsam mit den
(Beatrix von Storch (AfD): … Grauen Wölfen!)
islamischen Gruppen in Nordrhein-Westfalen,
(Jürgen Braun (AfD): Mit den Grauen Wölfen!)
mit den Verbänden, eine Resolution zum 9. November 1938 erarbeitet, in der sie sich zur deutschen Verantwortung bekannt haben. Der jetzige Ministerpräsident und der Chef der Staatskanzlei haben nach dem 7. Oktober mit allen islamischen Verbänden gemeinsam eine Erklärung gegen Antisemitismus abgegeben
(Beatrix von Storch (AfD): Papier bedruckt!)
und gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden eine Moschee besucht,
(Jürgen Braun (AfD): Wo sind die Taten?)
und im Gegenzug haben die Muslime danach die Synagoge besucht. Das hat in keinem anderen deutschen Bundesland stattgefunden.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der Linken sowie bei Abgeordneten des BSW – Zuruf des Abg. Hannes Gnauck (AfD))
Sie müssen die friedlichen Muslime in diesen Prozess mit hineinnehmen und sich von den anderen abgrenzen, wie das Frau Kaddor eben beschrieben hat.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der Linken – Zuruf des Abg. Jürgen Braun (AfD))
Deshalb ist das eben keine Schwarz-Weiß-Frage. Jetzt zitiere ich Ihnen mal jemanden von der anderen Seite des Spektrums: Igor Levit, ein großer Pianist, der sich, glaube ich, selbst als Linker oder Grüner definieren würde, sagt:
„Ich habe mich immer stark gemacht für Menschen, die Opfer von Rassismus, Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit oder sonstigem Menschenhass waren. Nun muss ich erleben, dass einige von denen, denen ich mich jahrelang nahe fühlte, zum Thema Judenhass schweigen oder sich sogar denken: Vielleicht ist der ja begründet. Vielleicht ist da etwas dran.“
Das ist jetzt die andere Seite des Spektrums. Es gibt nämlich, wie er sagt, einen „komplett verdrehten, moralisch bankrotten Teil der progressiven Linken“. Auch das gibt es.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie der Abg. Kay Gottschalk (AfD) und Dr. Petra Sitte (Die Linke))
Deshalb war der Begriff vom eingewanderten Antisemitismus falsch. Erstens. Antisemitismus gab es hier immer auf der Rechten. Seit 1945 hatten wir immer Antisemitismus, und Synagogen sind nicht erst nach dem September 2015 durch Polizei geschützt worden. Sie sind seit den 50er-Jahren – das ist ein Skandal an sich – immer geschützt worden,
(Helge Limburg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Richtig!)
damit nichts passiert.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der Linken)
Zweitens gab es immer einen Antisemitismus von links, der jetzt plötzlich offenkundig wird, wie Igor Levit das beschreibt. Drittens gibt es auch einen eingewanderten Antisemitismus. Natürlich gibt es den, wenn auf der Sonnenallee Süßigkeiten verteilt werden am Tag des Massakers vom 7. Oktober. Es ist doch völlig unstrittig, dass es den gibt.
Und zum Vierten – das haben wir wahrscheinlich wirklich unterschätzt – gibt es den akademischen Antisemitismus. Dass nach einem Erinnerungsseminar an der Universität die jungen Leute, Deutsche ohne Einwanderungsbiografie, sich vor das Auswärtige Amt setzen und schreien: „Befreit Palästina von Deutschlands Schuld!“,
(Beatrix von Storch (AfD): Linke sind das! Linke!)
das ist, mit anderen Worten, Höcke-Sprech, weil es einem Schlussstrich gleichkommt. Und das ist nicht akzeptabel.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP – Beatrix von Storch (AfD): Das sind Linke! – Jürgen Braun (AfD): So ein Unsinn!)
Deshalb müssen wir, glaube ich, aus den Klischees herauskommen. Wir müssen sehen, dass es plötzlich ganz neue Fronten gibt. Die Spiele der belgischen Nationalmannschaft in der NationsLeague können nicht in Belgien ausgetragen werden, weil keine Stadt die Sicherheit garantieren kann; und die Spiele finden jetzt in Ungarn statt.
(Beatrix von Storch (AfD): Komisch! – Jürgen Braun (AfD): In Ungarn ist es sicher!)
Das passt nicht in unsere Kategorien, aber man muss es mal benennen. In manchem europäischem Land gibt es diese Gewaltprobleme, in manchem nicht.
(Zurufe von der AfD)
Und wir sehen – letzter Satz, Frau Präsidentin -, dass Länder in der arabischen Welt, die im Zuge des Abraham-Abkommen mit Israel diplomatische Beziehungen aufgenommen haben, nun auch den Holocaust in ihre Schulbücher übernehmen,
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
plötzlich Schülern beibringen, was der Holocaust war, um damit zur Versöhnung beizutragen. Auch darüber müssen wir lauter reden. Das alte Schwarz-Weiß stimmt nicht. Wir müssen neue Bündnisse finden gegen Antisemitismus und Menschenhass.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der Linken)