Gestern fand in dem kleinen Dorf Holzhausen bei Arnstadt in Thüringen ein Pogromgedenken statt. Letztes Jahr war die kleine Dorfkirche brechend voll, gestern waren nur knapp 20 Leute da. Dass in diesem Jahr so wenige gekommen sind, kann verschiedene Gründe haben. Vielleicht, weil kein renommierter jüdischer Organist da war, der Mendelssohn-Bartholdys 6. Orgelsonate gespielt hat, vielleicht, weil es nicht groß angekündigt wurde, um Krawalle zu vermeiden, vielleicht auch, weil das Thema gerade nicht mehr so interessiert, schließlich war letztes Jahr der 7. Oktober erst wenige Wochen her. Oder traut man sich heute nicht mehr, sich auf die Seite Israels zu stellen, weil ja der Krieg im Nahen Osten so schrecklich ist? Man weiß es nicht…
Der Pfarrer erklärte, wie wichtig jüdisches Leben ist und besonders Christen sollten sich für jüdisches Leben und den Staat Israel einsetzen. Er erinnerte auch an den Mauerfall und daran, dass wir die Freiheit geschenkt bekommen haben und dankbar sein und die Freiheit auch anderen gönnen sollten. In den folgenden Textbeiträgen ging es nicht nur um das Bedauern toter Juden. “L’chaim – Auf das Leben“ war das Motto der Gedenkveranstaltung. Aber es ist nicht einfach, eine positive Stimmung zu verbreiten, wenn jüdisches Leben in Deutschland wieder bedroht ist, wenn Juden von Amsterdam nach Israel in Sicherheit gebracht werden müssen. Israel, ein Land, das an mehreren Fronten Krieg führt, ist für Juden sicherer als die Niederlande. Es ist nicht einfach für Juden, das Leben zu feiern, wenn man den Eindruck haben kann, die ganze Welt hat sich gegen dieses Volk verschworen.
Die Pogromnacht war damals nur der Auftakt. Sie war der Beginn des größten Verbrechens der Menschheitsgeschichte, das fabrikmäßige Abschlachten von Juden im Holocaust. “Was soll man mit dieser Erinnerung machen?“, wurde gefragt. Die Vortragenden verknüpften das Erinnern an die Pogromnacht mit dem Wunsch nach einem Leben für Juden in Sicherheit und Freiheit. Denn nicht mehr und nicht weniger wünschen sie sich. Doch dieses Leben ist bedroht und das mitten in Deutschland.
Es gelang an diesem Abend aber dennoch, etwas Hoffnung zu vermitteln, auch weil er mit musikalischen Beiträgen jüdischer Künstler und jüdischer Musik bereichert wurde. Besonders die Worte am Schluss sollten Juden in Deutschland Mut machen: “Die Terroristen und ihre Anhänger in Gaza, London, New York oder Berlin hassen das Leben. Sie hassen die Freiheit, die Liebe und Freude. Wir werden ihnen genau das entgegensetzen. Wir werden immer wieder das Leben feiern. Wir werden wieder lachen, lieben, Freude empfinden. Bald.“
Ich hoffe, das Pogrom in Amsterdam und die Übergriffe auf die Fußballmannschaft Makkabi in Berlin zwei Tage vor diesem Gedenkabend sind keine kleinePogromnacht. Der Antisemitismus in Europa und besonders in Deutschland ist unerträglich und muss endlich aufhören. “Nie wieder“ darf keine leere Worthülse sein. Und “Nie wieder“ ist jetzt. L’chaim – Auf das Leben.