Trotz Corona-Krise rechnen Wirtschaftsforscher des RWI nicht mit mehr Arbeitslosigkeit. Vielmehr wird sie auf dem Niveau wie 2019 bleiben, nämlich bei 5%. Und das, obwohl das BIP in diesem Jahr -0,8% schwächer ausfällt. Optimistische Grundannahme dabei: Die Corona-Krise ist zur Sommerpause vorbei, der Lock-down wird aufgehoben und die Industrie holt verlorenes Terrain dynamisch wieder auf. Wirklich?! Wird alles so schnell wieder gut?
Konjunktur bricht zunächst ein
In seiner neuesten Konjunkturprognose erwartet das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI, Essen) einen starken Einbruch im ersten Halbjahr 2020. Die Maßnahmen zur Epidemie-Eindämmung wirken sich sehr negativ auf die Wirtschaftsleistung aus. Aber bereits in der zweiten Jahreshälfte wäre es vorbei mit dem Lock-down. Die Produktion wird auf breiter Basis wieder aufgenommen. Der Konjunktureinbruch senkt die Inflationsrate, vor allem wegen niedrigerer Rohstoffpreise. Der wichtige Ölpreis bleibt rund ein Drittel unter dem bisherigen Niveau. Für kommendes Jahr ist sogar mit einem Wachstum von +2,3% zu rechnen.
Rückkehr zur Normalität in zwei Monaten
Die zentrale Annahme des RWI dabei: Eine schrittweise Rückkehr zur Normalität zwei Monate nach dem Lock-down. So sei es auch in China geschehen. Dann würde sich in der zweiten Jahreshälfte die Wirtschaft wieder erholen und einen beträchtlichen Teil der ausgefallen Produktion nachholen. Die Konjunktur würde erneut anspringen.
Arbeitsmarkt weiterhin robust
Um den Arbeitsmarkt macht sich das RWI daher keine großen Sorgen. Die Beschäftigung bliebe stabil und die Arbeitslosenquote würde dieses und nächstes Jahr bei nur 5,0% verharren – so wie in 2019. Dieses Jahr würde es gerade mal 13.000 Arbeitslose mehr geben als im letzten, in 2021 dann noch einmal 10.000 mehr. Beides sind vernachlässigbare Werte angesichts der Größenordnung von mehr als 45 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland.
Grund hierfür: Der Produktionsrückgang dauert nur sehr kurze Zeit, die automatischen Stabilisatoren (z.B. Kurzarbeitergeld) greifen zuverlässig und die wirtschaftspolitischen Gegenmaßnahmen der Bundesregierung wirken schnell. Auch würde die private Nachfrage nach Ende der Bewegungsfreiheit wieder kräftig anziehen.
Export leidet
Zwar würde die Wirtschaftsentwicklung Deutschlands durch die Corona-Pandemie massiv eingeschränkt, dies aber eben nur vorübergehend. Ohne Corona-Krise würde das Bruttoinlandsprodukt 2020 um zwei Prozentpunkte höher ausfallen als mit. Besonders getroffen sei der deutsche Export. Außerdem lassen die gestörten, international verflochtenen Lieferketten eine Reihe von Lieferengpässen bei Vorprodukten für die Industrie erwarten.
Privater Konsum bricht ein
Für die ökonomischen Bremsspuren sei vor allem ein heftiger Rückgang des privaten Konsums im zweiten Quartal 2020 verantwortlich. Auch werden sich die Unternehmen wegen der unsicheren Lage mit Investitionen stark zurückhalten.
Schnelle Aufholjagd
Aber in der zweiten Jahreshälfte 2020 würde eine Aufholjagd beginnen. Konsum und Produktion hätten dann einen beachtlichen Nachholbedarf. Import und Export würden wieder zunehmen. Bereits im dritten Quartal würden die Einbußen des zweiten Quartals wieder fast gänzlich wettgemacht werden können.
Auch erwarten die Experten des RWI, dass strukturelle Probleme, die bereits vor Corona existierten, bald überwunden sein werden. Dies betrifft vor allem die Anpassung der Autoindustrie an die neuen, strengeren Emissionsstandards. Der Strukturwandel zu alternativen Antriebskonzepten würde sich fortsetzen.
RWI ist optimistisch
Das RWI bezeichnet seine Annahmen selbst als optimistisch. Es erwartet, dass die Corona-Epidemie und die mit ihr verbunden Beschränkungen des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens nur kurzfristiger Natur sein werden. Mit Einschränkungen viel länger als zwei Monate rechnet das Institut indes nicht.
Aber: Ist Optimismus realistisch?
Ob und inwieweit sich diese Grundannahme erfüllen wird, ist jedoch die berühmte 10.000-Dollar-Frage. Vieles ist noch sehr ungewiss, viele Fragen sind noch offen. Mit China haben wir zwar ein Beispiel, wie die Entwicklung stattfinden könnte – aber eben nur eins. Bekanntlich hat man in der am härtesten betroffenen Region um die Stadt Wuhan bereits nach rund zwei Monaten schrittweise mit der Rückkehr zur Normalität begonnen.
Pleitewelle ante portas?
Angesichts der Horrormeldungen aus der Wirtschaft und der Einschränkungen, die jeder Mensch spürt, überrascht die hoffnungsfrohe Prognose des RWI doch sehr. Für alle sichtbar trifft der Lock-down den Dienstleistungssektor besonders hart: Restaurants, Geschäfte, Hotels, Fluggesellschaften. Aber auch der Kern des Kerns der deutschen Industrie ist schwer getroffen: die Automobilindustrie hat ihre Produktion weitgehend eingestellt. Kurzarbeit ist für viele angesagt und zahllose Klein- und Kleinstunternehmen stehen unmittelbar vor der Pleite weil die Kunden wegbleiben. Dass dies ohne Arbeitslosigkeit ausgehen soll, ist schwer vorstellbar.
Alternative Szenarien fehlen
Daher sind auch andere als das optimistische Szenario des RWI denkbar. Es verwundert, dass das Institut in seinem Konjunkturbericht nicht die etwas weniger sonnigen – aber durchaus möglichen – Alternativen durchdekliniert. Der Leser hätte eine Gegenüberstellung von drei Szenarien verdient: ein optimistisches, ein pessimistisches und ein „Middle-of-the-road“-Szenario.
Zu fragen ist nämlich:
- Was ist, wenn wir deutlich länger als die vom RWI angenommenen zwei Monate in kollektiver Quarantäne bleiben müssen? Weil sich das Virus doch nicht so schnell stoppen läßt, weil es mehr ernsthaft Erkrankte gibt und in Folge unser Gesundheitswesen in die Knie geht?
- Was ist, wenn eine große Pleitewelle über Einzelhandel, Gastronomie, Tourismus und personenbezogene Dienstleitungen herzieht? Werden da nicht zwangsläufig viele Jobs verloren gehen, zahlreiche davon sogar unwiederbringbar verloren?
- Was ist, wenn die Konsumenten weiterhin ängstlich bleiben und ihr finanzielles Pulver trocken halten? Werden sie sich wieder große SUVs kaufen und wieder teure Auslandsurlaube buchen? Wer will dieses Jahr denn Urlaub in der Toskana oder auf einem Kreuzfahrtschiff machen?
- Was ist, wenn die Bevölkerung anfängt zu merken, dass der massive Börseneinbruch sie doch betrifft? Weil Aktien, Fonds und Lebensversicherungen viel an Wert verloren haben und somit Altersrücklagen weggeschmolzen sind. Würde man mehr sparen oder mehr einkaufen gehen?
- Was ist, wenn Covid-19 in mehreren Wellen daherkommt? So wie die Spanische Grippe vor gerade mal 100 Jahren, nämlich in drei großen Wellen – mit jeweils einem halben Jahr Pause dazwischen.
- Was ist, wenn wir zwar mit einem blauen Auge davonkommen, nicht aber unsere wichtigsten Wirtschaftspartnern in Europa? So sind die beiden sehr hart getroffenen Länder Italien und Spanien nicht nur gern gesehene Kunden unserer Wirtschaft, sondern auch deren Lieferanten von industriellen Vorprodukten.
- Was ist, wenn die Inflation doch steigt? Weil der Corona-Schutzschild der Bundesregierung eine riesige Geldflut bedeutet. Die Geldmenge wird massiv ausgeweitet. Wenn dadurch – wie beabsichtigt – die Nachfrage steigt, trifft diese auf ein Warenangebot, das wegen der Produktionsausfälle nicht sofort erhöht werden kann. Inflation wäre die Folge.
- Was ist, wenn sich die Corona-Krise in den USA massiv verschärft? Allein New York hat sich zu einem Corona-Zentrum gemausert, groß wie anderswo ganze Länder. Und im November stehen in den USA Präsidentschaftswahlen an. Zu welchen Verzweiflungstaten wird ein Donald Trump greifen, wenn er merkt, dass Corona seine Wiederwahl zu gefährden droht? Und wie geht’s eigentlich Kim Jong-un in Nordkorea denn so?
- Was ist, wenn die Corona-Krise auf bisher nur wenig betroffene Weltregionen übergreift, wie Indien, Afrika und Südamerika? Diese sind kaum in der Lage, wirtschafts- und gesundheitspolitisch gegenzusteuern. Würde dies ohne Auswirkungen auf unsere Wirtschaft bleiben?
Diese Frageliste lässt sich noch kräftig fortsetzen. Sie zeigt, dass noch vieles offen ist. Eine Konjunkturprognose nur auf einem optimistischen Szenario aufzubauen, erscheint in dieser außergewöhnlichen Zeit zu kurz gegriffen zu sein.
Aber: Die Hoffnung stirbt zuletzt! Trotz aller Ungewißheit, können wir alle nur die Daumen drücken, dass das RWI Recht behalten wird…
Die Prognostoker machen eine sogenannte stille Annahme und die lautet: Kein Land hält Regelungen, wie sie jetzt aus epidemologsichen Gründen getroffen wurden, länger als 2 Monate aus, ohne dass die Wirtschaft gänzlich zusammenbricht. Deswegen gehen sie davon aus, dass die Regierung, egal was die epidemologischen Daten sagen, spätestens dann die diesbezüglichen Beschränkungen aufheben wird.
Wenn wir Glück haben, und das hoffen im Stillen auch die Prognostiker, passen dann auch die epidemologsichen Daten dazu und alle sind zufrieden. Über ein anderes Szenario wollten die Wirtschaftswissenschaftler anscheinend aus guten Günden nicht öffentlich nachdenken. Wir werden also sehen was wirklich passiert. Und, ehrlich gesagt, habe ich in solchen Zeiten nichts gegen grundsätzlichen Optimismus, obwohl ich mich ansonsten eher zu den Skeptikern zähle.
Aufgabe von Wissenschaftlern ist es nicht, Optimismus oder Pessimismus zu verbreiten, sondern die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit – und das ohne jede Schlagseite.
Wir würfeln eine Prognose. Auf welchen Daten soll denn aktuell ein Szenario modelliert werden?
Keine Annahme kann hinreichend begründet werden.
Wir kennen selbst den Status der Infektion im Land nicht.
Ja, ich glaube auch, dass man diesen aktuellen Zustand nicht Lange durchhalten kann, ohne dass die Schäden, auch im gesundheitlichen Bereich, immens werden.
Es ist auch klar, dass die Gesellschaft einen massiven Wandel erleben wird. Es geht einfach nicht mehr, dass bspw. Behörden, Labore etc. ihre Berichte via Fax austauschen.
Hier muss es auch eine Klärung geben, wer in diesen Bereichen den Wandel so lange ignoriert hat.
Es wird spannend bleiben.
Ich möchte so oder so nicht als Skeptiker sterben.
@2: Genau deswegen sind Wirtschafts"Wissenschaftler" auch keine Wissenschaftler. Sie sind im Wesentlichen damit beschäftigt, die bestehenden Verhältnisse zu rechtfertigen.
Gibt es eigentlich bahnbrechende Erkenntnisse zu Wiederbelebung der Wirtschaft nach eine Pandemie? In Afrika soll es das ja schonmal gegeben haben. Aber die Wiwis erklären und ja lieber, das wir weniger Krankenhäuser brauchen (Bertelsmann-Studie). Um es deutlich zu sagen: Das RWI ist nicht systemrelevant.
@ Beitragsautor # 2
Da tun sich unsere Virologen und Epidemologen allerdings auch schwer, bzw. gibt es da auch Optimisten und Pessimisten.
Trau, schau, wem! Aber nicht diesem maximal optimistischen Szenario. Da wird zuviel ausgeblendet. U.a. das hier:
https://www.tichyseinblick.de/tichys-einblick/corona-gesetze-auch-ca-zahlt-keine-miete-mehr/
[…] wachsen. Wieso scheinen die Löhne kaum zu steigen, so wie wir das in einem gut funktionierenden Arbeitsmarkt eigentlich erwarten […]