Die Hilfsbereitschaft der Wittener Zivilgesellschaft und Stadtverwaltung bei der Betreuung der über 1600 Flüchtlingen ist nach wie vor ungebrochen. Im Sommer 2015 wurde in einer Turnhalle eine Landesnotunterkunft von jetzt auf gleich eingerichtet. Bis zu 1000 Ehrenamtliche zählte das DRK in ihrer Computerdatei, welches die Unterkunft für die Stadt rund ein halbes Jahr betrieb. Von unserem Gastautor Roland Geisheimer.
Die Hilfsbereitschaft hatte alle überwältigt. Daraus sind gute ehren- wie hauptamtliche Strukturen entstanden, die den Geflüchteten das Ankommen und Leben in der Ruhrstadt erleichtern. Es wird viel für die Integration in der Stadt getan. Dennoch sind viele der rund 1600 Geflüchteten verzweifelt, sie wissen nicht wie es weiter gehen soll. 941 von ihnen habe nach all den Monaten in Deutschland noch immer keine Chance erhalten, einen Antrag auf Asyl zu stellen. Manche warten länger als ein Dreivierteljahr darauf. In einem Offenen Brief an die Bürgermeisterin und den Sozialdezernenten bittet eine Gruppe von Geflüchteten diese um Unterstützung. Sie schreiben:
„Wir sind Witten sehr dankbar für die Aufnahme und das städtische sowie zivilgesellschaftliche Engagement. Ein großer Teil derer, die sich jetzt an Sie wenden, hat erste Erfahrungen mit Witten in der Jahnhalle gemacht. Mit großer Leidenschaft und Hingabe haben dort haupt- und ehrenamtliche Helferinnen und Helfer die für alle nicht einfach Situation gemeistert. Viele von uns spürten in Witten erstmalig, seit der grausamen und gefährlichen Flucht, Menschlichkeit, Empathie und Freude. Das hält bis heute an. Was in Witten geleistet wird, damit wir, die neuen Bürger, hier wirklich ankommen können und ein Teil der Stadt werden, ist mehr als beeindruckend.
Vielen herzlichen Dank! Leider gibt es aber eine Institution außerhalb Wittens, die unsere Integration in die Wittener Gesellschaft massiv ausbremst und behindert. Es ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).“
Die für Witten zuständige Aussenstelle des BAMF in Dortmund hatten vergangenen Freitag rund 40 Geflüchtete aus Witten auf eigene Faust aufgesucht. So wirklich weiter kamen sie aber nicht.
Bereits an dem Pförtner, der ihnen den Zutritt zur Bundesbehörde verweigerte, scheiterten sie. Man ließ ihnen lediglich ausrichten, dass das Ausländeramt Witten der Schuldige für das lange Warten sei. Dass das nicht so ist, haben Recherchen der Ruhrbarone ergeben. Das Ausländeramt Witten hat dem Bundesamt in Dortmund alle Flüchtlinge ohne Asylantrag übermittelt. Das hat das Ausländeramt Anfang der Woche auch den Flüchtlingen, die in Dortmund waren, persönlich mitgeteilt. Nur hat das Bundesamt bis jetzt nicht auf die Daten zurück gegriffen. Einladungen zur Antragstellung blieben bis jetzt aus. Das soll sich Mitte Mai ändern. Ab dann sollen regelmäßig Busse von Witten nach Dortmund fahren, um Geflüchtete zur Antragstellung beim BAMF zu bringen. Ob dies wirklich passieren wird, liegt in der Macht des Bundesamtes. Die Stadt Witten stehe bereit, ist zu hören. Seit langem arbeitet man dort an einer Verbesserung der Situation. Die Möglichkeiten auf das BAMF aber einzuwirken, seien für Kommunen doch recht begrenzt, hört man. In einer anderen zum BAMF Dortmund gehörenden Stadt soll es vorgekommen sein, dass das Bundesamt einen Tag vor Abfahrt des voll durchorganisierten Busses, die Kommune anwies, diesen wieder abzusagen.
Derweil hoffen die Geflüchteten, das es weiter geht. Sie wollen genau das, was überall von Ihnen verlangt wird, sich in die Gesellschaft integrieren. So schreiben sie in dem Brief an die Stadtspitze:
„Einen ersten Deutschkurs haben wir dieser Tage abgeschlossen. Weitere Kurse und vor allem
den viel zitierten Integrationskurs, dürfen wir erst besuchen, wenn wir anerkannte Geflüchtete sind. Dieses Ziel liegt ohne überhaupt einen Asylantrag gestellt zu haben, in weiter Ferne. […] Wir wissen, dass die Stadt mit der nicht von ihr verschuldeten Situation, alles andere als glücklich ist und auf Abhilfe drängt. Aber selbst wenn ab Mitte Mai wöchentlich ein Bus aus Witten zum BAMF starten sollte, wird es bis Herbst dauern, bis alle 941 Geflüchteten einen Antrag gestellt haben.
Warum kommt das BAMF nicht nach Witten, um hier innerhalb von ein paar Wochen die Anträge aller Geflüchteten entgegenzunehmen?“
In Bochum hatte man Protestierenden zugesichert, dass ein Büro in der Stadt eingerichtet wird, in denen dann die Asylanträge entgegen genommen werden können.
Dass Flüchtlinge ungeheuerlich lange darauf warten müssen, bis sie einen Antrag stellen können, scheint keine Ausnahme zu sein. Ein Insider der Behörde berichtet, dass ein Dreivierteljahr Wartezeit keine Seltenheit sei. Sogar Fälle aus dem Jahr 2014, die noch keinen Antrag stellen konnten, soll es in dem Behördencomputer geben. Der Artikel 6 der EU Richtlinie 2013/32, der seit Juli 2015 quasi Gesetzeskraft in Deutschland hat, sieht dafür maximal 6 Tage vor.
Heute am Donnerstag wollen die Geflüchteten um 11 Uhr vor dem Rathaus in Witten demonstrieren. Frank Schweppe, der Sozialdezernent der Stadt hat sein Kommen zugesagt.
Hier zeigt sich: Bei aller Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung ist der Staat mit 1 Million Asylsuchenden pro Jahr heillos überfordert. Vielleicht sollte man einfach den Mut haben für radikale neue Ansätze. Wenn die Behörden nicht in der Lage sind, in angemessener zeit Asylanträge entgegenzunehmen und zu bearbeiten, sollte man nicht einfach eine grosse Zahl von Altfällen pauschal, ohne Prüfung, anerkennen? So wie in anderen Ländern, z.B. USA, schon mal illegale Ausländer pauschal legalisiert wurden, wäre so eine Lösung pragmatisch sinnvoll. Denn es kann ja nicht sinnvoll sein, daß man Asylberechtigte endlos warten läßt, und zum anderen bei nicht Asylberechtigten mit der Ablehnung so lange wartet, bis eine Abschiebung nach dann langjährigem Aufenthalt in Deutschland eigentlich auch humanitär nicht mehr vertretbar ist. Warum also nicht allen Asylantragstellenwollenden, die vor einem bestimmten Stichtag eingereist sind (eventuell eingeschränkt auf bestimmte Herkunftsländer), pauschal eine Aufenthaltsgenehmigung erteilen? Natürlich wäre das gegenüber einem zügigen und korrektem Asylverfahren nur eine zweitbeste Lösung. Aber die Beste Lösung, Behörden, die jeden Asylantrag innerhalb von Wochen, allenfalls Monaten, annehmen, gründlich und fair prüfen und entscheiden – das ist zur Zeit eben bei 1 Million Migranten im Zeitraum Sep 15-Feb 16
einfach nicht realistisch. Die Asylbewerber jahrelang zappeln zu lassen, ist weder den Asylbewerbern fair, noch der Integration derselben förderlich, und deshalb auch nicht im deutschen nationalen Interesse.