Wo der Hellweg mehr ist als nur ein Baumarkt

Vera Conrad und Holger Krüssmann legen mit ihrem Buch „Ruhrgebiet in 66 Objekten“ ikonische Fährten für spannende Entdeckungstouren zwischen Moers und Hamm.

 Das Autorenduo macht seine selbstgestellte Aufgabe direkt im Vorwort deutlich: „Nutzen sie die 66 Objekte wie die kleinen Steinchen als Wegweiser auf einer Schnitzeljagd für ihre eigene Erkundungstour durch die Region.“

Moment mal, denke ich mir, ich lebe seit 47 Jahre hier. Habe ich möglicherweise was übersehen?

Die Antwort lautet: Leider ja. Und zwar eine ganze Menge. Etwa 2/3 der vorgestellten Objekte sind für mich Neuland. Schätzungsweise bin ich damit nicht der Einzige und das macht „Ruhrgebiet in 66 Objekten“ zu einem ganz besonderen Reiseführer durch das Ruhrgebiet. Ich war schon im Prado, im Louvre und im MOMA New York, aber wenn ich meinen Hintern  zwischendurch mal ins Museum der Deutschen Binnenschifffahrt Duisburg bewegt hätte, dann würde ich den „Cartroper Einbaum“ (ca. 380 v. Chr.) kennen, das 15 m lange Einbaum-Boot, das 1950 in Cartrop an der Lippe ausgegraben wurde.

Gliederung

Thematisch gliedern sich die Objekte in die Bereiche „Transport und Verkehr“ (wozu beispielsweise auch der Einbaum gehört), „Haushalt und Werkzeug“, „Religion und Ritus“, „Architektur“, „Kunst und Kultur“, sowie „Halden und Kartografie“. Weil das langweilig zu lesen wäre, folgt die Dramaturgie der „66 Objekte“ der Chronologie und so geht es in einem wilden Ritt von dem steinalten Werkzeug „Vogelheimer Klinge“ (ca. 280.000 v. Chr.) über Burg Vondern (1266), das Flussschiff „Ruhr-Aak (1780), Renoirs „Lise mit dem Sonnenschirm“ (1867), Zollverein Schacht XII (1929), den Ruhrschnellweg-Tunnel (1970) bis zur Loveparade-Gedenkstätte (2013). Besonders bezeichnend ist hierbei, dass viele der ausgewählten Objekte gleich mehreren der genannten Kategorie zugehörig sind. So ist etwa das Schiffshebewerk Henrichenburg (16) einerseits ein Objekt des Transports, inzwischen aber eben auch LWL-Museum und damit Kulturort des kollektiven Gedächtnisses des Ruhrgebiets, dessen Wegenetz aus Flüssen, Kanälen, Schienen und Straßen (siehe Ruhrschnellweg-Tunnel) ein essentieller  Bestandteil der Region war und ist. „Wandel durch Kultur. Kultur durch Wandel“ wird hier konkret.

Architektur

Ebenso die Kategorie „Architektur“ veranschaulicht den Wandel überdeutlich, geht es hier doch von den Burgen Isenburg und Vondern über die Villa Hügel und Zeche Zollern über das Gasometer bis hin zu Otto Pienes „Das Geleucht“. Burgen, Bergbau, Beleuchtungskunst.

Religion und Ritus

Die Kategorie „Religion und Ritus“ versammelt Objekte wie die Stiepeler Fresken, die Grabstätte Alfried Krupps, den Thoraschrein der Alten Synagoge, den hinduistischen Sri-Kamadchi-Ampal-Tempel in Hamm bis zur Mihrap in der Merkez-Moschee Duisburg, was die kulturelle und religiöse Vielfalt des Ruhrgebiets auf sehr anschauliche Art und Weise wiederspiegelt und zur Neuentdeckung einlädt.

Gestaltung

Jedem der 66 Objekte ist dabei mindestens eine Fotoseite gewidmet, sowie eine Textseite, auf der das jeweilige Objekt mit Adresse, seine Entstehungsgeschickte und der Ruhrgebietskontext anschaulich beschrieben und erläutert wird.

Fazit

Vera Conrad und Holger Krüssmann fokussieren mit „Ruhrgebiet in 66 Objekten“ den Blick des Lesers auf eher abseitige, ungewöhnliche und dabei sehr beachtenswerte Objekte, sowie die damit verbundenen Orte des Ruhrgebiets, die allemal dazu anspornen, sich auf ihre Fährte zu begeben. Klare Leseempfehlung.

Vera Conrad / Holger Krüssmann
Ruhrgebiet in 66 Objekten
168 Seiten, EUR 14,99
Droste Verlag Düsseldorf, August 2019
ISBN 978-3-7700-2121-5

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