Dass Menschen über Generationen an einem Ort leben, ist eine Ausnahme. Bei fast allen von uns kann man das mit einem einfachen Blick in die Familiengeschichte erkennen. Nur drei Generationen zurück bis zu den Urgoßeltern – das Wissen um deren Geschichte ist in den meisten Familien noch vorhanden – und wir erkennen, dass wir selbst von Zugewanderten abstammen, wenn wir nicht schon selbst unseren Wohnort mehrfach gewechselt haben. Vielleicht sind Eure Vorfahren ja vom Land in die Stadt gewandert, von Pommern ins Ruhrgebiet oder von Nordhessen nach Frankfurt. Bei viele werden auch Wurzeln in der Türkei haben, in Griechenland oder Spanien. oder Wurzeln in Italien, Polen und Bayern. Wir sammeln diese Wanderungsgeschichten und veröffentlichen sie.
Migration ist nicht die Ausnahme, sie ist die Regel. Wir müssen uns alle nur daran erinnern. Helft uns dabei mit. Schickt Eure Geschichte – gerne mit Foto an info@ruhrbarone.de
Nach der Nelkenrevolution nach Deutschland
1945 lebt meine Großmutter nicht mehr in Alleinstein, sondern in Olsztyn. Sie heiratet einen Litauer. Mit Freundinnen spricht sie heimlich deutsch und mit den eigenen Kindern polnisch. 1964 kommt meine Mutter zur Welt und verbringt ihre Kindheit im real existierenden Sozia-lismus mit Leistungssport. Sie musiziert in der Kirche und hört ABBA. An den Häuserwänden von Olsztyn liest man Parolen wie „Schwaben raus!“ Durch einen Unfall erleidet Großmutter eine Querschnittslähmung. Für eine Operation genehmigen die Behörden einen Auf-enthalt in der Bundesrepublik. Die Großmutter nimmt ihre fünf Kinder mit und kehrt nicht zurück. 1980 lebt die Familie in einem Flüchtlingsheim in Unna. Von dort folgt der Umzug nach Neuss.
Im Winter 1960 kommt mein Vater in Nordportugal zur Welt. Er ist der einzige Sohn von 10 Kindern. Als Neil Armstrong seinen Fuß auf den Mond setzt, entgeht ihm das nicht. Bei der Feldarbeit auf Weinbergen fragt er sich: Stones oder Beatles? Auf dem Dorfplatz steht Salazars Staatspolizei. Schwarz gekleidete Witwen warnen vor den Untoten, die keine Ruhe finden. Mit der Nelkenrevolution endet der Portugiesische Faschismus. Der Großvater wird Gastarbeiter. 1976 holt er meinen Vater nach Neuss. Er bringt sich deutsch bei.
1980 begegnet mein Vater meiner Mutter und bringt ihr deutsch bei. 1983 werde ich geboren. Muttersprache: deutsch. Ich verlasse den herkunftssprachlichen Unterricht in Portugiesisch nach der 4. Klasse auf eigenen Wunsch.
Jenni
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