Wo kommen wir her? Vom Jugo zum Schwabo oder wie ich lernte, deutscher zu sein

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Robert Basic Foto: Privat

Dass Menschen über Generationen an einem Ort leben, ist eine Ausnahme. Bei fast allen von uns kann man das mit einem einfachen Blick in die Familiengeschichte erkennen. Nur drei Generationen zurück bis zu den Urgoßeltern – das Wissen um deren Geschichte ist in den meisten Familien noch vorhanden – und wir erkennen, dass wir selbst von Zugewanderten abstammen, wenn wir nicht schon selbst unseren Wohnort mehrfach gewechselt haben. Vielleicht sind Eure  Vorfahren ja vom  Land in die Stadt gewandert, von Pommern ins Ruhrgebiet oder von Nordhessen nach Frankfurt.  Bei viele werden auch Wurzeln in der Türkei haben, in Griechenland oder Spanien. oder Wurzeln in Italien, Polen und Bayern. Wir sammeln diese Wanderungsgeschichten und veröffentlichen sie.

Migration ist nicht die Ausnahme, sie ist die Regel. Wir müssen uns alle nur daran erinnern. Helft uns dabei mit. Schickt Eure Geschichte – gerne mit Foto an info@ruhrbarone.de

Vom Jugo zum Schwabo oder wie ich lernte,  deutscher zu sein

Wie ich migrierte? Beginnen wir mit dem wünschenswert langweiligen, unaufgeregten und normalen Part: Der Migration von Jugoslawien nach Deutschland.

Eines Tages war mein Vater weg. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Dann war meine Mutter weg. Ich kann mich lediglich an den Moment erinnern, als sie mir vormachte, sie müsse „kurz wohin„. Ich blieb in den behütenden Armen meiner Tante in Zagreb, für ein Jahr. So einfach war das damals. Ich kann mich nicht erinnern, unter einem elterlichen Entzugsschock gelitten zu haben, gar Verlustängsten oder dergleichen. Sie waren halt weg. Allerdings sind meine Erinnerungen zu den damaligen Zeiten des Abwanderungseinkommens mit Jugoslawien (1968 geschlossen) nur sehr bruchstückhaft, als sich viele jugoslawische Väter aufmachten, ihr Einkommen im Ausland zu bestreiten. Kein Wunder, dass meine Erinnerungen lückenhaft sind, ich war damals um die die zwei oder drei Jahre alt.

Meine kindliche Prägungswelt bestand aus einem großen Innenhof irgendwo in Zagreb City. Aus etwas Brabbeln auf Serbokroatisch. Meinem Onkel und meiner Tante, die großartig waren, aus jungen und alten Nachbarn, und meinem Cousin, der mich nervte, weil er ein Jahr jünger und ich bereits so groß war. Ich vermute, das ist weltweit ähnlich, was uns Kleinkinder angeht, solange wir nicht gerade in miesesten Verhältnissen leben.

Tja, dann macht es Peng und meine Erinnerungen setzen wieder in Frankfurt ein. Eine Großstadt wie Zagreb, nur etwas weniger an Einwohnern. Die hatten auch Autos, Straßenbahnen, Fahrräder, Parks, Kinder, Nachbarn, junge und alte Menschen. Es gab Supermärkte. Schulen. Sogar Flugzeuge! Ein modernes Land wie in Jugo, oha! Ok, die Sprache war etwas merkwürdig, aber nach einem halben Jahr im Kindergarten sprach ich von einem auf den nächsten Tag fließend deutsch. Das Gesicht meiner Kindergärtnerin war köstlich, als ich loslegte. Abgesehen von einigen Sonderheiten im sozialen Miteinander fiel mir das Leben und das Deutschsein wahrhaftig nicht schwer. Zagreb oder Frankfurt, wo ist schon der große Unterschied für ein Kind? Die sozialen Verhaltensunterschiede bemerkte ich an den Reaktionen meiner Verwandten.

Aber zunächst gilt: Ich wurde vom Jugo zum Schwabo. Denn von nun an war ich für meine jugoslawischen Verwandten das Kind von Millionären, zumal ein deutscher Akzent beim Jugobrabbeln immer weniger zu verbergen war. Ich war demnach eine Art Alien in Jugo. Weniger laut, weniger dynamisch und impulsiv, weniger singend und weniger tanzend. Alles sei etwas distinguierter an mir sagten sie mir, deutscher. Ich selbst wusste nicht, was denn deutscher oder jugoslawischer sein sollte. Meine Oma meinte sogar, ich würde eines Tages ein echter Gentleman werden und unterließ damit das ewig ätzende Hineinbeißen in meine Backe, mit ihren zwei Restzähnen. Und meine Schwester – die in Zagreb blieb – konnte mir die kommunistische Superlebenslösung nicht eintrichtern, was zu wundervoll rotgefärbten Gesichtern und Gesprächen gereichte. So wurde ich eben magisch vom Jugo zum Schwabo, nur deutscher. Ach ja, natürlich ging ich zur Grundschule, später ins Gymnasium (ich muss eines der ersten Gastarbeiterkinder gewesen sein, denn in meinem Jahrgang war ich der einzige), statt Wunsch-Medizin studierte ich BWL, wurde ITler in der Deutschen Bank, sogar hauptberuflicher Blogger, Vater, Ehemann einer deutschen Frau, meine Kinder sind blond. Meine Eltern machten mir nie Vorschriften, welche Frau ich heiraten soll, mit welchen Kindern ich verkehren soll (aus Türken, Deutschen, Italienern, Russen, Griechen, Portugiesen und anderen Nationen lebten wir im Park unser täglich Olympia beim Spielen), an was ich glauben soll und an was nicht. So fiel mir die innere Migration extrem leicht. Indem ein Kind das tut, was es am besten kann: Zuschauen, Lernen, Imitieren. Diese Befähigung war eine gute Übung, so dass ich im heutigen Europa nahezu unerkannt als Franzose, Brite, Spanier, Grieche, Kroate, Italiener, Schweizer oder was auch immer durchgehe, wenn ich vor Ort bin. Solange ich nicht sprechen muss, ok:) Ich bin alles, wenn es sein muss. Ein NationenChamäleon. Es fällt mir leicht wie Anziehen oder Schlafen.

Ich weiß übrigens nicht mehr, wie ich nach Deutschland kam. Es muss eine langweilige Busfahrt gewesen sein. Keine winkenden Menschen, die mir Wasser und Essen anboten. Warum auch, ich war nicht in Not. Meine Eltern waren es auch nicht, die mittlerweile ihr Auskommen in deutschen Unternehmen bestritten.

Maximal war die Story meines Vaters etwas spannender, wie ich nachträglich erfuhr: Um nicht von der Geheimpolizei wegen Verdachts auf politische Agitation festgenommen zu werden, vereinbarten er und seine drei Kumpels unbedingt die Wahrheit zu sagen. Die sich ganz simpel getroffen hatten, um ihre Ausreise nach Deutschland zu planen. Sie wurden zwar festgenommen, aber außer einigen blauen Flecken gab es nichts Aufregenderes zu berichten.

Migration kann sowas von langweilig sein! Meine Story ist langweilig. Oder sagen wir unaufgeregt. Diese Art von Migration wünsche ich jedem Menschen. Auf dem Schlauchboot in dunkler Nacht aufs Meer? Wahnsinn! Zu Fuß durch Europa? Irrsinn! In Zelten bei bitterer Kälte wohnend? Unfassbar! Ich weiß nicht, was es mit den Menschen und vor allen den Kindern machen wird. Ich hoffe, etwas Gutes!

Was ich gelernt habe aus meiner inneren Migration?
Es wird die Aufgabe und innere Aufgabe der migrierten Eltern sein: Ihre Kinder soweit es geht NICHT mit der Herkunftskultur, dem ganzen Sermon von Sitten, Traditionen und Gebräuchen zu belasten und das Hirn zu verdrehen. Den ganzen Sermon was anders ist, wie man zu denken hat, was besser ist, was schlechter am Deutschen ist, was man glauben soll, all das einfach aufzugeben als Eltern. Einfach? Wer seinen Kindern die Wahl lässt, wird ihnen im Schnellverfahren das Lernen ermöglichen. Sich selbst ein Bild zu machen. Deutscher zu werden. Das mit der Herkunft regelt sich von selbst: Wenn die Kinder Fragen haben, wird die Zeit kommen, sie zu stellen. Sie werden ihrer Herkunft fremd sein, glaubt mir. Ihre Heimat wird ein verblassender Erinnerungsschimmer. Mir bedeutet das Label Deutsch, Syrer, Jugo, Schwabo nichts. Nichts im Sinne von Abgrenzung. Besonderheit. Herausragendem Sein. Wir leben auf der einen Kugel. So einfach ist es und viele machen daraus ein unfassbares, teils sehr bösartiges YaddaYadda, um Menschen voneinander abzugrenzen.

Robert Basic

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Nils
9 Jahre zuvor

Ein wichtiger Text, der deutlich macht, dass das heimisch werden in einem anderen Land gerade für Kinder einfacher wird, wenn man ihnen tatsächlich erlaubt, das Ursprungsland hinter sich zu lassen.

Aber was ist, wenn die deutschen Behörden nach drei, fünf, zehn oder sogar fünfzehn Jahren auf die Idee kommen, die dann in Deutschland heimisch gewordenen Menschen wieder in ihr Herkunftsland zurück zu zwingen? Dann fehlen Sprachkenntnisse, kulturelles Verständnis und vielleicht sogar familiäre Verbindungen, die diese erzwungene Rückkehr erleichtern würden. Um dieses Vorgehen wirklich guten Gewissens "empfehlen" zu können, müsste es gesicherte und dauerhafte Aufenthaltstitel geben, die eben nicht in unbestimmter Zukunft wieder aufgehoben werden können.

Arnold Voss
9 Jahre zuvor

Eltern sollten ihren Kindern auf keinen Fall ihre Tradition und/oder Religion aufzwingen. Egal ob sie Migranten sind oder nicht.

Nils
9 Jahre zuvor

@2 Das lässt sich nicht wirklich vermeiden. Auf welcher Sprache ich mit dem Kind spreche, welche Geschichten ich ihm erzähle, wie ich mit ihm umgehe, welche Feste ich feiere, all das setzt ein Kind zwangsläufig der Kultur/Tradition/Religion der Eltern aus. Da muss keine Indoktrination geplant sein oder eine Mission. Kinder imitieren und sie imitieren gerade in jungen Jahren in erster Linie ihre Eltern. So etwas wie einen traditions-/kulturfreien Raum gibt es nicht…

Aimée
Aimée
9 Jahre zuvor

Es ist eine Sache Traditionen/Kultur/ Sprache zu bewahren oder ob es eben, wie am Beispiel der Türkei durch die DiTIB, u.ä. bewusst gefördert und damit manipuliert wird.
Die Frage ist, wo endet die Akzeptanz von Tradition und Kultur?
M.E. ist die Grenze erreicht, wenn die sie menschenverachtend wird, z.B. bei der Genitalverstümmelung, Zwangsheirat und Ehrenmord.

Ruprecht Frieling
9 Jahre zuvor

Ein sehr schöner Text, Robert! Die meisten von uns sind auf Wanderschaften gegangen und mussten sich in der Fremde zurechtfinden. Als ich mit Gleichgesinnten 1968/69 vor der Bundeswehr aus Westdeutschland nach Westberlin floh, wurden wir als Zugezogene verteufelt, die am besten gleich »nach Moskau« weiterziehen sollten. Als »Berliner« galt nur, wer in dritter Generation an der Spree geboren war – und davon gab es nur wenige. Es existiert also schon innerhalb eines Sprachraums Fremdenfeindlichkeit – allein die Schranke zwischen »Ossies« und »Wessies« besteht seit 1989 und wurde immer noch nicht niedergerissen. Wie viel schwerer muss es da für jemanden sein, der aus einem anderen Sprachraum kommt …

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