Dass Menschen über Generationen an einem Ort leben, ist eine Ausnahme. Bei fast allen von uns kann man das mit einem einfachen Blick in die Familiengeschichte erkennen. Nur drei Generationen zurück bis zu den Urgoßeltern – das Wissen um deren Geschichte ist in den meisten Familien noch vorhanden – und wir erkennen, dass wir selbst von Zugewanderten abstammen, wenn wir nicht schon selbst unseren Wohnort mehrfach gewechselt haben. Vielleicht sind Eure Vorfahren ja vom Land in die Stadt gewandert, von Pommern ins Ruhrgebiet oder von Nordhessen nach Frankfurt. Bei viele werden auch Wurzeln in der Türkei haben, in Griechenland oder Spanien. oder Wurzeln in Italien, Polen und Bayern. Wir sammeln diese Wanderungsgeschichten und veröffentlichen sie.
Migration ist nicht die Ausnahme, sie ist die Regel. Wir müssen uns alle nur daran erinnern. Helft uns dabei mit. Schickt Eure Geschichte – gerne mit Foto an info@ruhrbarone.de
Was wäre der Ruhrpott ohne die Schimanskis, Grabowskis, Gawolleks oder Kaczmareks?
Im Ruhrgebiet zu leben und Izdebski zu heißen ist keine besondere Sache. Hier heißen alle
so – oder jedenfalls so ähnlich.
Mein Ur-Ur-Großvater war Johann Izdebski, er wurde 1828 in Westpreußen geboren. Und
um mit dem Klischee vom sog. Ruhrpolen zu brechen: Er war preußischer Staatsbürger!
Schon 56 Jahre vorher hatte sich Friedrich der Große bei der ersten Teilung Polens den
Landstrich einverleibt, den man fortan Westpreußen nannte. Johanns Vorfahren wurden
also nicht ganz freiwillig Untertanen des Preußenkönigs.
Mein Ur-Großvater Jakob wurde am 25.02.1858 in Marienburg/Westpreußen geboren.
Johann und Jakob machten sich irgendwann auf den Weg nach Dortmund, wahrscheinlich
in der Zeit vor 1880. Es lockten die Fördertürme des entstehenden Bergbaus und die
Aussicht auf eine Arbeit und ein besseres Leben.
In den alten Kirchenbüchern von Dortmund-Asseln ist die Heirat von Jakob und seiner in
Kamen geborenen Ehefrau Luise Lindecken am 24. Mai 1881 verzeichnet. Das ist das erste
Dokument, das ich über meine Vorfahren im Ruhrgebiet finden konnte. Jakob und Luise
wohnten nach der Heirat in Dortmund-Kirchderne, damals noch eine eigenständige
Gemeinde und zum Amt Lünen zugehörig. Die beiden bekamen neun Kinder. Jakob war
Hauer und vermutlich ein Bergbaupionier der Zeche Gneisenau, die in dieser Zeit in
Dortmund-Derne entstand.
Ein Johann Izdebski findet sich im Adressbuch für die Stadt Dortmund von 1894 in der
Oesterholzstraße 18a in der Nordstadt. Vermutlich handelt es sich um meinen Ur-UrGroßvater.
Weil das Meldearchiv der Stadt im zweiten Weltkrieg vernichtet wurde, kann ich
das nicht mehr nachvollziehen.
In Kirchderne wurde am 10.01.1899 mein Großvater Heinrich geboren. Auch er ging in den
Bergbau und verdiente seine ersten Sporen auf der Zeche Gewerkschaft Emscher-Lippe in
Datteln. Nach Gründung seiner eigenen Familie zog es ihn zunächst nach Selm und dann
nach Lünen, wo er auf der Zeche Victoria arbeitete. Um 1940 machte ihn ein
Grubenunglück zum Invaliden.
Mein Vater Rudolf wurde 1932 in Selm geboren. Als 17-jähriger junger Mann kam er zur
Zeche Werne (a.d. Lippe) und nach der Schließung im Jahre 1974 zur Zeche Heinrich Robert
nach Hamm. Dort blieb er bis zu seinem Renteneintritt. Insgesamt arbeitete er 38 Jahre
unter Tage.
Die Geschichte meiner Familie ist eng mit dem Bergbau im Ruhrgebiet verknüpft. Die
wirtschaftliche Blüte durch die Schwerindustrie wäre ohne die Zuwanderung nicht möglich
gewesen. Diese Industrie-Geschichte ist aus heutiger Perspektive zugleich eine Erfolgsstory
für gelungene Integration. Was wäre der Ruhrpott ohne die Schimanskis, Grabowskis,
Gawolleks oder Kaczmareks? Ich finde, darauf können die Menschen im Ruhrgebiet stolz
sein.
Als Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe bin ich oft bundesweit auf Dienstreisen unterwegs.
Regelmäßig passiert es mir, dass man mich wegen des Nachnamens für einen Migranten
hält („Sie sprechen aber ein gutes Deutsch!“). Ich gebe mich dann ganz relaxt und erkläre
mit einem Augenzwinkern, dass ich echter „Ruhrgebiets-Adel“ bin.
Manuel Izdebski
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