Muss der politisch korrekte Pazifist sich freuen oder darf er trauern? Wenn bald die Wehrpflicht ausgesetzt wird, verschwindet auch der Zivildienst. Er ist eine der wirkmächtigsten sozialen Errungenschaften der Republik, eine großartige kollektive Coming-Of-Age-Veranstaltung und bescherte mir den zweitschönsten Bühnenauftritt meines Lebens. Dazu später mehr.
An kaum einer Stelle ist das Grundgesetz so ehrlich wie im Artikel 12a. Der beschäftigt sich mit dem Ersatzdienst, der längst zum Normalfall geworden ist. Geht es um die Bundeswehr in Afghanistan, krücken und eiern führende Militärpolitiker noch immer um den „wenn ihr so wollt, nennt ihn ruhig“- Krieg herum. Das klingt, als erklärte Schalke-Stürmer Klaas-Jan Huntelaar: „Keine Ahnung, ich laufe im Stadion rum und trete hin und wieder vor einen Ball. Ob das schon Fußball ist, kann ich nicht sagen.“
In der Kriegsfrage ist unsere Verfassung klarer als unser sich durch AC/DC-Shirts modern daher schleimender adeliger Verteidigungsminister. (Musikfreunde sollten spätestens jetzt ihren Plattenschrank entrümpeln, so wie Tätowierten nach dem Einzug von Präsidentengattin Bettina Wulff ins Schloss Bellevue dringend härtere Formen der Körpermodifikation empfohlen werden.) Ach so, zurück zum Thema. Für das Grundgesetz war Krieg schon Krieg, als Rekruten noch allenfalls vor Langeweile Folter im Kasernenkeller spielten: „ Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, kann zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden“, heißt es schlicht im Artikel 12a.
Dem Zivildienst trauere ich hinterher, weil mir seit Jahren in meinem Hauptjob als Kabarettist ein Zivi namens Knut ebenso treuer wie ungesehener Bühnenbegleiter war (eine Art Mrs. Columbo), weil ich in den 16 Monaten als ZDL wunderbare Sachen erlebte, Campino von den Toten Hosen dienstlich kennenlernte, weil es die einzige Zeit in meinem Leben war, in der ich jemals einen Chef hatte, geregelte Arbeitszeiten, wo man irre hohe Beiträge für mich in die Sozialversicherung abführte und ich Geld dafür bekam, dass ich in meiner Freizeit nicht nackt herum lief. Letzteres war dem Gleichbehandlungsgrundsatz, also der Gerechtigkeit geschuldet. Der Kriegsdienstleistende bekam eine Ausgehuniform, die nur von den größten Idioten öffentlich getragen wurde, ich nicht. Dieser Nachteil musste ausgeglichen werden mit ein paar Pfennigen pro Tag. Da beginnt man die deutsche Bürokratie zu lieben.
Der Zivildienst begann mit oben erwähntem Auftritt vor der damals üblichen Wahrheitskommisssion, die das Gewissen des Antragstellers erforschten sollte. Ich hatte das Gremium zuvor gefüttert mit Zeugenaussagen meiner Friedfertigkeit. Geschult an Billy Wilders „Zeugin der Anklage“ wählte ich als Fürsprecher weder einen friedensbewegten Pfarrer noch einen wohlmeinenden Sozialarbeiter, sondern einen Weltkriegsveteran und einen ehemaligen Panzerfahrer.
Höhepunkt der Verhandlung ist die berühmte Notwehrfrage. Der Vorsitzende fragt vorsichtig, ich helfe ihm weiter: „Sie meinen, ich bin mit meiner Freundin im einsamen Wald, der böse Russe kommt mit der Kalaschnikow vorbei, ich habe zufällig meine Knarre in der Tasche?“ – Pause, imaginäre Krümel vom Tisch wischen, betroffen aus dem Fenster starren, schlucken, Tränen andeuten, zögernd weitersprechen, zweifeln. Du sollst dem Staat geben, was des Staates ist: Irgendeine scheiß Antwort. Wenn ich so weitermache, wollen die Beisitzer, ein Rentner, eine Hausfrau und ein Stadtamtmann, mich gleich adoptieren. Großes Gefühlskino vor kleinem Publikum, ich habe sie. Erschöpft durchatmen.
Während des Zivildienstes wurde ich begleitet vom coolsten Regionalbetreuer, den man sich vorstellen kann. Der lief bei den seltenen Treffen auf im Hummel-Trainingsanzug und war nebenbei Fußballmanager beim VfL Bochum: Klaus Hilpert. Heutzutage sind Fußballmanager im Nebenberuf Trainer, in Gelsenkirchen jedenfalls. Hilpert setze durch, dass mir die letzten drei Tage des Dienstes erlassen wurden, „zur Vorbereitung des Antritts der Heimreise“, Gleichbehandlungsgrundsatz; ich wohnte fünf Meter neben der Zivildienststelle.
Eine Sache hat bei mir nicht geklappt. Eine Sprecherin des Bundesamtes für Zivildienst lobte gestern noch die weiter bestehenden Vorzüge der bald nur noch sechsmonatigen Dienstzeit. Viele soziale Einrichtungen gewännen darüber Ehrenamtliche für spätere Zeiten. Ich revidierte im städtischen Jugendzentrum hingegen meinen sozialpädagogischen Berufswunsch. Ich kapierte schnell, dass ich immer die Interessen der Institution und nur selten die Interessen der Klienten zu vertreten hatte.
Während jetzt auch das deutsche Hartz IV am Hindukusch verteidigt wird, ist der Ersatzdienst zum Schnupperpraktikum geworden. Mag sein, dass man nicht viel Zeit braucht zu lernen, wie man andere totschießt oder selbst auf eine Mine fährt. Der Umgang mit Senioren sollte einem anderen Rhythmus folgen als die Verrichtung von Leistungen der Pflegekasse. Viele Senioren fürchten heute schon dement geworden zu sein, weil sie morgens ihren Zivi wieder mal nicht erkennen. Dabei hat er nur in raschem Wechsel seinen Vorgänger abgelöst.
Längst sind nicht mehr alle Zivis überzeugte Pazifisten. Einige beschimpfen sogar ihre Klienten nach Feierabend als Spackos oder Schmarotzer. Später studieren sie dann jahrelang Geschichte und Sozialanthropologie oder kassieren in maroden Banken bombige Boni. Auch bei der Bundeswehr sind nicht alle von ihrem Tun überzeugt. Sie heißen oft Sylvio, kommen aus Chemnitz, einfachen Verhältnissen und im Sarg zurück aus Afghanistan.
Aber irgendjemand muss demnächst die greisen Atomgegner im Rollstuhl zur Demo nach Brokdorf schieben. Hannelore Kraft mit ihrem Eintags-Einsatz undercover und an der Basis kann die Lücke allein nicht füllen. Vielleicht werden die „Zivis“ bald ersetzt. Dann hat man es als Senior zu tun mit „jungen Menschen, die ein freiwilliges soziales Jahr ableisten“. Klingt nach schlechter Übersetzung eines indianischen Namens und prägt sich auch Nichtdementen kaum ein. Abgeleitet vom Sozialen Jahr hätte ich einen kompakten Kosenamen. Auf der Bühne spräche ich nicht mehr von unserem Zivi, sondern von unserem Soja Knut.