Wohnen in der Nordstadt: „Man muss den Mut haben zu investieren“

Gepflegte Jugendstilhäuser, hochwertige Wohnungen und fröhlich krakeelende Kinder – im Dortmunder Norden. Ob Häuser im Müll versinken oder ein lebenswertes Obdach bieten, liegt wesentlich an den Hauseigentümern.

Innenhof des Schüchtermannkarrees
Innenhof des Schüchtermannkarrees

Ein paar spielen Verstecken, sieben oder acht Jungs kämpfen auf dem Fußballplatz um den Ballbesitz, einige von den Kleineren johlen im Sandkasten, eine Mutter sitzt mit ihrem Baby auf der Schaukel, schwingt langsam hin und her und schaut den Kindern zu. Sobald das Wetter es zulässt, sind die Kinder aus dem Schüchtermannkarree draußen. Sie spielen in dem großen Innenhof, der zu den Häusern ihres Karrees gehört. Das Schüchtermannkarree, benannt nach dem Dortmunder Industriellen Heinrich Schüchtermann, umfasst etwa zweihundert Wohnungen und erstreckt sich rund um die Ecke Bornstraße/Mallinckrodtstraße. Es liegt mitten in der Dortmunder Nordstadt, in der Nachbarschaft von vermüllten Problemhäusern, Drogenhandel und vom demnächst zu schließen versuchten Straßenstrich. Die Nordstadt gilt als Problembezirk. Armut, Arbeitslosigkeit und Migration prägen das Bild. Aber das ist nur eine der vielen Seiten.

 

Die verwinkelten und verschnörkelten Jugendstilhäuser sind über hundert Jahre alt, ihre Stuckfassaden teilweise denkmalgeschützt. Das Schüchtermannkarree gehört der einzigen privaten Wohnungsgesellschaft im Dortmunder Norden, der J. E. Schmitt Grundstücksgesellschaft, und wird verwaltet von der Domizil GmbH, deren Geschäftsführer Familienmitglied Christian Schmitt ist. Schmitt selbst wohnt mittendrin, unterm Dach über der Mallinckrodtstraße. Sie gehört zu den Straßen, die man sich auch mit sehr viel Schnaps nicht Schöntrinken kann. Aber viele Menschen fühlen sich hier ausgesprochen wohl. „Technik, Service und Ausstattung sind sehr wichtig“, erzählt der Verwalter. Deshalb haben die Wohnungen Holzböden, große Balkone und Badewannen. Und wenn ein Wasserhahn tropft, bringt der firmeneigene Techniker das schnell in Ordnung. „Aber das Allerwichtigste ist, dass die Menschen untereinander Kontakt haben, Freundschaften schließen und sich auch mal gegenseitig helfen“, so Schmitt. Das mache die Lebensqualität aus.

Fassade des Schüchtermannkarrees
Fassade des Schüchtermannkarrees

Bis in die achtziger Jahre vernachlässigt

Mit der Errichtung von Hochöfen, Stahlwerken und Hafen wurden die meisten Häuser in der Nordstadt um die vorletzte Jahrhundertwende gebaut. Ein Arbeiterviertel, heute Wohnraum für über 50.000 Menschen und der größte zusammenhängende Altbaubestand des ganzen Ruhrgebiets. „Früher musste man hier einmal am Tag den Ruß vom Balkon fegen“, beschreibt Schmitt, und dass es irgendwann attraktiver wurde, außerhalb der zentrumsnahen Stadtviertel zu wohnen. Sein Großvater und andere begannen, Siedlungen auf der grünen Wiese zu bauen. „Hier in der Nordstadt hat niemand mehr investiert, Private nicht und die Stadt auch nicht. Bis in die achtziger Jahre hat sich keiner um den Stadtteil gekümmert. Die Toilette auf halber Treppe war durchaus Standard.“ Mieten von zwei, drei Mark pro Quadratmeter seien normal gewesen.

In den 1980er und 1990er Jahren hat Christian Schmitt seine Wohnungen komplett erneuert, Bäder aus den Fluren in die Wohnungen geholt, isolierverglaste Fenster eingebaut, die Kohleöfen durch moderne Heizungssysteme ersetzt. „Wir haben für die Sanierung damals 1.300 Mark pro Quadratmeter ausgegeben.“ Viel Geld, dessen Investition sich nicht kurzfristig rentiert. Aber langfristig eben doch. Schmitt hat weder Problemhäuser, noch Problemmieter, die Mietverhältnisse sind überwiegend sehr stabil. Auch innerhalb seiner Firma musste er erst Überzeugungsarbeit leisten, als es darum ging, den kahlen Innenhof, einen Schotterplatz mit ein paar Parkbuchten und Mülltonnen, zu begrünen und dort Spielflächen zu schaffen. Er wurde gefragt, warum er einen Spielplatz bauen wolle, wenn dann sowieso wieder alles kaputt gemacht würde. Die Erfahrung zeigte jedoch: „Als der Spielplatz dann da war, mussten wir nicht mehr jede Woche containerweise Müll vom Hof karren. Die Kinder haben sich auch verändert und ihre Aggressionen auf dem Fußballplatz ausgetobt, statt Scheiben zu zerschlagen.“

Christian Schmitt
Christian Schmitt

Sanierung möglich machen

Das Schüchtermannkarree gehört zu den Lichtblicken in der Nordstadt und zeigt, dass es wesentlich an den Hausbesitzern liegt, ob Häuser zu Problemhäusern werden oder nicht. „Man muss den Mut haben zu investieren“, so Schmitt, „dann verändert sich auch die Mieterstruktur.“ Marita Hetmeier, Eigentümerin von zehn Häusern in der Nordstadt und Ratsmitglied, pflichtet ihm bei: „Entscheidend ist, dass die Vermieter sich um ihre Häuser kümmern.“ Sie macht es ähnlich wie Schmitt: gut ausgestattete Wohnungen, Balkone und Mietergärten mit Grillplätzen gehören dazu. Sie will nicht im Billigsegment vermieten und sucht die Mieter auch danach aus, ob sie in einem Haus zueinander passen. „Das ist mit viel Aufwand verbunden, lohnt sich auf lange Sicht aber“, berichtet sie.

Als Lokalpolitikern setzt sich Marita Hetmeier dafür ein, dass für die Nordstadt ein Hypothekensicherungsfonds geschaffen wird. „Will man ein Haus vernünftig sanieren, mit moderner Energieversorgung, neuen Bädern und Dächern, muss man heute etwa 800 Euro pro Quadratmeter investieren.“ Das übersteige in der Regel die Summe, die die Eigentümer von der Bank bekämen, da sich die Kreditsumme nach der Jahresnettomiete richte und hier geringer ausfalle als in anderen Dortmunder Stadtteilen, so die Ratsfrau. Mit einem Hypothekensicherungsfonds könnte die Stadt helfen, diese Finanzierungslücke zu schließen und damit mehr Sanierungen ermöglichen. Zwar gibt es einige große Wohnungsgesellschaften, die Bestände in der Nordstadt haben, aber achtzig Prozent der Häuser gehören Einzeleigentümern, denen dies die Sanierung erleichtern könnte.

Eins der gravierenden Probleme der Nordstadt ist, dass junge Familien häufig wegziehen, wenn die Kinder ins Kita-, spätestens ins Schulalter kommen. Hier eine Kehrtwende hinzukriegen, gehört zu den Herausforderungen, vor denen die Stadt steht. Die beiden Problemhäuser in der Mallinckrodtstraße 54 und 56 zum Beispiel haben eine bewegte Geschichte hinter sich. Zwischen 1990 und 2001 dienten sie der Stadt Dortmund als angemietete Flüchtlingsunterkunft. Im Januar 2011 wurden sie wegen unhaltbarer Zustände und massiver Vermüllung geräumt. Die Vermieter, zwei Architekten, haben augenscheinlich all die Jahre mit den beiden Häusern ausgezeichnet verdient. In den letzten Jahren, so hört man immer wieder aus der Nachbarschaft, mit einer Matratzenvermietung an Roma, Armutsmigranten vor allem aus Bulgarien. Es ist an der Zeit, den Stadtteil aufzuwerten, unseriösen Vermietern das Handwerk zu legen und seriöse Vermieter zu unterstützen.

Dass Kinder sich in der Nordstadt durchaus wohl fühlen können, sieht man im schräg gegenüberliegenden Schüchtermannkarree. Sie freuen sich schon auf das alljährliche große Sommerfest in ihrem Innenhof.

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Martin Böttger
Martin Böttger
13 Jahre zuvor

Seltsam, keine Kommentare hier?
Zu gute Nachrichten? Ich bin für das Verstärken von Positivem. Darum auch danke für diese Reportage 😉

Will
13 Jahre zuvor

Da kann ich Herrn Böttger und Frau Underberg nur zustimmen. Mut zur Investition und Eigeninitiative der Eigentümer und ein größeres Einspannen der Vermieter in künftige strategische Planungen in der Nordstadt. Dadurch könnte sich mittelfristig vieles verbessern. Das Konzept der SPD (https://www.ruhrbarone.de/dortmund-rat-hat-ende-des-strasenstrichs-beschlossen/) könnte somit auch ein Stück weit umgestzt werden und postitive Früchte tragen.

Bert
Bert
13 Jahre zuvor

„Ob Häuser im Müll versinken oder ein lebenswertes Obdach bieten, liegt wesentlich an den Hauseigentümern.“

Meist liegt das eher an den Mietern…

Dortmunder
Dortmunder
13 Jahre zuvor

auch nach 55 Jahren hat der „Dortmunder norden“ (nach der Bahnlinie) immer noch den geruch von „Deutsches Haus“, Linienstrasse und Steinwache. Wir waren immer nur mit wenigstens 5 Mann auf der „scheibe“.

Immer schon war der norden geprägt als mittelpunkt sozialer brennstellen. Das krieg’ste aus so einer gegend kaum raus.

Dortmunder
Dortmunder
13 Jahre zuvor

Nachtrag:
Und es lag immer schon an den Mietern – da gebe ich Bert recht.

Nutcase
Nutcase
13 Jahre zuvor

Das Verhalten von Menschen wird nicht unwesentlich vom Umfeld beeinflusst. Der Effekt ist lange schon als „Broken Windows Theorie“ bekannt (https://de.wikipedia.org/wiki/Broken-Windows-Theorie) und wurde kürzlich erst wieder in einer ähnlichen Studie, aber mit vergleichbaren Ergebnissen bestätigt: https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,755790,00.html

„es lag immer schon an den Mietern“ passt da vielleicht hübsch ins eigene Weltbild, greift aber viel zu kurz.

Die Kinder im Hof erlebe ich fast ausschliesslich als fröhlich, freundlich, aufmerksam, hilfsbereit und aufgeschlossen. Die älteren kümmern sich um die kleinen und die Nationalität spielt überhaupt keine Rolle.

Die Vermieter sind also durchaus in der Lage, mit ihrem Engagement etwas zum Positiven zu bewegen. Aber mit dem Auge auf die schnelle, bequeme Mark geht das nicht.

Das Gedächtnis der Nordstadt
Das Gedächtnis der Nordstadt
13 Jahre zuvor

Wer mehr Informationen zum Thema Schüchtermann-Block haben möchte, kann diesem Link folgen: https://www.sozialestadt.de/praxisdatenbank/suche/ausgabe.php?id=226
Herr Schmitt hat vergessen zu erwähnen, dass die Fa. Schmitt unter der Führung seines Großvaters damals für die Modernisierung 40 % verlorene Zuschüsse vom Land bekommen hat und nur durch den massiven Druck der Bewohnerinitiative Schüchtermannblock die Vertreibung der in unzumutbaren Wohnverhältnissen lebenden Mieter verhindert wurde. Ebenfalls bleibt es unerwähnt, dass die Firma in der Zeit (1985 – ca. 1995) mehrere hunderte Klagen gegen die Mieter verloren hat. Von der Firma Schmitt wurden damals beharrlich die ausländischen Mieter als die Ursache der unaushaltbaren Zustände der Wohnungen vorgeführt. Die jenigen Mieter, die den Widerstand ausgehalten haben, leben heute noch dort und scheinen plötzlich gelernt zu haben, mit den Wohnungen umzugehen. Sein Enkel verfolgt jetzt eine andere Bestandspolitik, die nachweislich belegt, dass das Gebaren des Eigentümers entscheidend ist.

nadine
nadine
10 Jahre zuvor

Im Fall „mallinckrodtstraße 54 und 56“ ist denen wohl nicht so gut gelungen unseriösen vermietern das handwerk zu legen…:/

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