Es ist die Rede von Spaltung der Gesellschaft. Eine Spaltung, die dieser Tage weniger zwischen gesellschaftlichen Schichten zu verlaufen scheint, sondern vor allem die Frage nach der Kultur, in der Menschen miteinander leben wollen, adressiert. Von unserer Gastautorin Esther Bockwyt.
Das eine Extrem des Kulturkampfes nennt sich „Woke“, Postmoderne oder linke Identitätspolitik und ist eine Ideologie der Wachsamkeit gegenüber Diskriminierungen und Machtungleichverteilungen auf der Basis von Einteilung der Menschen in Opfergruppen einerseits und Privilegierte andererseits. Hieraus wiederum wird abgeleitet, wer was sagen oder tun darf.
Kulturelle Aneignung, Gender-Theorie und gendergerechte Sprache, Triggerwarnungen, oder Mikroaggressionen sind einige populäre Inhalte im Bereich woker Identitätspolitik, mit der der Journalist Manfred Klimek im Jahr 2021 in der Wiener Zeitung als „zurzeit noch nur akademische Phänomene“ abrechnete.
Jüngstes Beispiel: Ausladung einer Musikerin von FFF-Hannover aufgrund ihrer Dreadlocks. Das übergeordnete Dogma über all diese Inhalte ist die Annahme, dass allein das Fühlen von marginalisierten Gruppen bestimmt, was (diskriminierende) Realität ist. Neben der häufig aggressiven, unbarmherzigen, intoleranten Agenda mit Stigmatisierung Andersdenkender (Beispiel: J.K. Rowling) von Woke-Aktivisten, von der der ehemalige US-Präsident Obama sagt: „That’s not activism.“, ist psychologisch vor allem die Kombination aus Übersensibilität und Zwanghaftigkeit von Bedeutung.
Es lohnt sich in Zeiten der Frontenbildung, in Zeiten des Untergangs sachlicher Argumente, in Zeiten empörter Aggressivität, in der der Autor Bernd Stegemann einen „toxischen Umbau der Öffentlichkeit“ sieht, einen genaueren Blick auf die psychologische Wurzel der Woke-Ideologie und ihrer Gegenkräfte zu werfen.
Linkes versus liberales Menschenbild
Der Grundstein einer jeden linken und auch der woken Geisteshaltung liegt wohl in der Grundannahme, dass die Welt, in der wir leben, so nicht richtig, nicht gerecht und gut für uns, insbesondere für definierte Opfergruppen ist, eine Welt, die wir korrigieren („dekonstruieren“, „fortschrittlich erneuern“) müssen, weil wir falsche gesellschaftliche Normen (z.B. ein falsches Verständnis von Geschlechtsidentität) verinnerlicht haben.
Das Grundprinzip ist also nicht neu. Demgegenüber steht eine politisch-weltanschauliche liberale Ausrichtung, deren Menschen- und Gesellschaftsbild sich diamentral unterscheidet. Dass „der Markt“, das heißt nichts anderes als die Bedürfnisse des eigenverantwortlichen Menschen es von ganz alleine „regeln“, was gut für alle ist, zumindest gut für die Meisten.
In einer ungerechten Welt gibt es immer etwas zu tun
Neben der zutreffenden, populären, aber nicht spezifischen Erklärung dafür, dass Menschen sich durch starke Identifikation mit ehren- und tugendhaften Idealen und scheinbar progressiven, modernen Ideen in erster Linie ich-bezogen in ihrem Selbstwertgefühl aufwerten (Woke als Statussymbol neuer Art), ist auch eine kämpferische Rastlosigkeit von Bedeutung. Dadurch, dass der angestrebte Idealzustand der Gerechtigkeit für alle so weit weg ist, gibt es immer etwas zu tun, einen Sinn für die sonst im natürlichen Fluss des unperfekten Lebens keine Erfüllung findenden Seele. Man kann erahnen, welche ungeheure Leere sich hinter einem solchen Aktivismus verbergen mag, fiele das zu Bekämpfende weg. Da Letzteres niemals geschehen kann – eine vollkommen störungs-, konflikt- und widerspruchsfreie Welt kann es nicht geben, sie stellt eine abschreckende Utopie dar – geht der Suchtstoff für Menschen im Dauer-Empörungsmodus nicht aus.
Moralisierender Perfektionismus
Psychologisch spezifisch für eine mehr oder minder radikale ausgelegte und gelebte Woke-Ideologie ist die intellektualisierte Fixierung auf Moral, einhergehend mit dem Streben nach Perfektion und einer Art störungsfreien Lebensraum ohne Potential für Kränkungen, Spannungen und ohne offene Wut, in dem letztere sich zwangsläufig andere Wege suchen muss. Freud hätte von einer Über-Ich-Fixierung gesprochen, (moderner: Zwanghaftigkeit oder Rigidität), die, wie jeder andere psychologische Mechanismus, erst in ihren extremeren Ausprägungen pathologisch und zum Problem wird. Ist man dem zwanghaften Modus des Erlebens einmal erlegen, gibt es nur noch strenge und starre Regeln und Ordnungen, von denen es keine Abweichungen geben darf. Verbissene Ernsthaftigkeit und Humorbefreitheit gehen einher. Der Tiefenpsychologe Riemann hat bereits 1961 in einem psychologischen Klassiker die zwanghafte Neurose als das Bedürfnis nach Sicherheit beschrieben. Eine festgelegte Ordnung an moralischen Regeln kann die zugrundeliegende Angst vor Kontrollverlust in Schach halten.
„Der zwanghafte Mensch kann es schwer annehmen, dass es im Bereich des Lebendigen keine Absolutheit, …gibt…Er glaubt, alles in ein System einfangen zu können, um es lückenlos…beherrschen zu können und vergewaltigt so das Natürliche.“ (S. 126). Da jeder Zwang aus sich heraus die Neigung hat, sich auf neue Gebiete auszudehnen, entwickelt sich eine Rigidität im Erleben und Denken eigendynamisch zu einer immer ausgeprägteren Einengung (immer mehr Regeln, immer weniger Freiraum, am Ende darf bspw. nur noch ein homosexueller Mensch im Film einen solchen darstellen und so weiter).
Schein-Empathie und Hyper-Sensibilität
Das menschliche narzisstische Bedürfnis konzentriert sich dieser Tage nicht mehr lediglich offen und aktiv im Konkurrieren um Erfolg, sondern mehr und mehr in eher passiver Weise im Konkurrieren um Opferrollen. Doch wieviel echte Sensibilität, Rücksichtnahme sind Menschen in der Lage aufzubringen? Es ist ein Trugschluss, eine Verkennung der menschlichen Psyche, zu glauben, man könne ein moralisches System etablieren, in der jeder in diesem Ausmaß auf jeden Rücksicht nehmen kann. Als menschliche Wesen sind wir zwar mit der Fähigkeit zur Empathie ausgestattet und wir verhalten uns auch altruistisch, u.a. weil es letztlich dem Fortbestand der Spezies dient. Doch eine sich unter Dogmen unterwerfende und skuril überzogene Sensibilität ist eine Schein-Empathie. Es ist menschlich, sich zu aller erst um die eigenen Bedürfnisse zu kümmern. Erst innere Ausgeglichenheit ermöglicht uns echte Empathie von innen heraus.
Resilienz abtrainiert
Erwachsene Menschen brauchen eine gewisse Widerstandsfähigkeit, um mit der natürlichen Gegebenheit, dass Konflikte zwischen Menschen und ihren Bedürfnissen zwangsläufig in der Welt entstehen und Kränkungen unvermeidbar sind, fertig zu werden. Der Versuch, uns gegenseitig nichts mehr (an Kränkung) zuzumuten (was unmöglich ist, weil es immer Reibungen geben wird, wo Menschen miteinander sind), ist eine Vermeidungshaltung, die gerade eben durch die Vermeidung der verletzenden Gefühlszustände – im Wege des operanten Lernens – zu einer immer ausufernderen Verwundbarkeit führt, die wiederum zu weiterem Vermeidungsverhalten führt. Und so fort. Wir müssen uns immer auch ein Stück weit dem Schmerzhaften aussetzen, um erleben zu können, dass wir an ihm nicht zerbrechen, um reifen zu können.
Psychodynamik bipolarer Kräfte
Aufseiten der sogenannten Privilegierten entstehen eine unehrliche Selbstkasteiung und Unterwerfung, eine perverse Art von Schuldgefühl, die eben nur an der Oberfläche als Rücksichtnahme und Empathie imponiert.
Mehr noch unterdrückt ein kollektiv moralisch aufgeladenes Regelsystem das Reflexhafte, Spontane, das Affektive, das Laute, das Wilde, ja, auch das manchmal archaisch-primitiv Inkorrekte im Menschen, das sog. „Toxische“, oder aber ruft es gerade durch Erzeugung von Reaktanz hervor und fördert wiederum gerade die entgegenstehenden Kräfte. Doch der Idealzustand einer „fertigen“ Gesellschaft nach Woke-Prinzip ist stets leise-achtsam und fließt in gleichförmig-stereotypem Takt scheinheiliger Harmonie. Ein Takt, den kein Mensch auf Dauer je ertragen könnte. Wenn Menschen sich immerzu in angestrengt-angespannter Haltung, aus Angst vor der nächsten Verfehlung, zusammennehmen und das Impulshafte in ihrer Psyche in Schach halten müssen, macht das nicht nur krank, sondern bricht ES sich auf anderem, maskierten Wege Bahn.
Und je mehr nun die einen rücksichtslos pöbeln, desto rigider reagieren die anderen. Je rigider die anderen agieren, desto pöbelhafter die einen und so weiter und so fort. Und das ist dann die Spaltung der Gesellschaft, die wir diagnostizieren, bei der kaum noch Verständigung und Austausch möglich scheint, bei der die In- und Outgroup-Eigendynamik schon bizarre und ungute Züge angenommen hat.
Langfristig wird es in einer jeden Gesellschaft, die an ihrem Moralin erstickt, immer eine Gegenbewegung geben. Und auf jede radikale ungesunde Ideologie folgt allzu oft ihr ebenso ungesundes Gegenteil. Weil unsere Psyche durch das eine Extrem im Erleben nach Ausgleich strebt. Das Gesunde liegt im sowohl, als auch und nicht in den Extremen, es erfordert Ambiguitätstoleranz. Ohne Moral, ohne ÜBER-ICH, können wir nicht miteinander leben und landen in der Barbarei. Eine gesunde Portion Gewissenhaftigkeit, Moral, Rücksichtnahme, lässt Freiraum für das ES-hafte im Menschen.
Es bleibt kein anderer Weg als Ambivalenzen und Kränkungen wieder aushalten zu lernen, uns Inkorrektheiten und weniger Perfektionismus zu erlauben, kein anderer Weg, als weniger narzisstisch um unsere Identität zu kreisen und in Dialog miteinander zu treten. Es bleibt kein anderer Weg, als „right“ Balance zu finden.
Esther Bockwyt ist Psychologin, Autorin und Gerichtsgutachterin. Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Neuen Zürcher Zeitung
Wie alle woken Versuche, eine vorgeblich gerechte Gesellschaft zu erreichen, in einer selbstzerfleischenden Sackgasse enden müssen, wird hier schlüssig beschrieben. Der Unterschied zu „1984“ ist, dass wir es hier mit einer ganzen Bande von Großen Brüdern und Schwestern zu tun haben. Es wird Zeit, dass möglichst viele Nadeln in diese Blase eingeführt werden.
Ich wundere mich darüber, daß solch sensible Menschen, denen die Tränen über das Gesicht kullern, wenn sie von den vielen verbalen Verletzungen sprechen, die sie erleben mußten, aber trotzdem glauben, daß sie die Welt in ihrem Sinne verändern können, indem sie Druck auf diese unsensible Mehrheit ausüben.
Ein sprachlich sehr elaborierter Text. Die Autorin verwendet auch allerlei psychologisches Fachvokabular, das wirkt beeindruckend. Der Text gibt sich also sehr wissenschaftsbasiert und argumentierend.
Dafür sind allerdings ein paar Sachen überraschend:
1. Das fast völlige Fehlen einer Benennung und Beschreibung des Gegenstande:.
Es wird fast nirgendwo klar gesagt, über welche Erscheinungen die Autorin konkret schreibt (Ausnahme: die Ausladung der Musikerin). Der Leser muss irgendwie von alleine wissen, worüber die Autorin schreibt, er muss die ziemlich vagen Begriffe wie „woke“, „Postmoderne“, „linke Identitätspolitik“ usw. mit seinen eigenen, bereits vorhandenen Anschauungen füllen.
Eine solche Sprechweise ist aber nicht wissenschaftlich, nicht einmal sachlich argumentierend, sondern es ist eine Sprechweise, bei der Autor:in und bereitwillige Leser:innen daran zusammenarbeiten, das Gefühl eines gemeinsamen Lagers gegen einen gemeinsamen Gegner herzustellen. Die Dinge gerade _nicht_ beim Namen zu nennen, ist dafür sogar nützlich, weil evtl. doch vorhandene Unterschiede in den Standpunkten überdeckt werden und die Leser:innen durch die Füllung der Leerstellen selbst an diesem Prozess mitarbeiten.
2. Der Verzicht auf inhaltliche Diskussion des Themas zugunsten psychologisierender Ferndiagnose:
Der Text beschäftigt sich praktisch überhaupt nicht mit einer Diskussion, ob die scheinbar besprochenen Standpunkte inhaltlich oder ethisch richtig oder falsch wären. Das kann auch gar nicht anders sein, denn eine inhaltliche Diskussion von Standpunkten ist ja gar nicht möglich, wenn (s. 1.) diese gar nicht konkret beschrieben werden.
Vernünftige psychologische Aussagen kann man zwar so auch nicht treffen. Man kann aber natürlich – und daraus besteht der Text weitgehend – unbelegte psychologisierende Behauptungen über den Geisteszustand der konstruierten Gegner:innen aneinanderreihen.
3. Die Verwendung von Stigmawörtern:
Anders als die Autorin schreibt, „nennt sich“ „das eine Extrem des Kulturkampfes“ natürlich nicht „woke“, sondern ist dieser Begriff (in Deutschland ausschließlich, in den USA weitgehend) ein Stigmawort von der anderen Seite des Kulturkampfes. Im Text finden sich noch andere Stigmawörter dieser Position (etwa „Humorbefreitheit“ und „Moralin“) sowie Wörter, die nicht eindeutig Stigmawörter sind, im entsprechenden Kontext aber diese Funktion einnehmen können.
Ganz im Gegensatz zur scheinbar sachlich-argumentierenden Sprechhaltung ist der Text also selbst Teil des behaupteten Kulturkampfes, in dem er eine Gemeinschaft gegenüber einem Gegner herstellt und diesen durch Wortgebrauch und psychologisierende Abwertung stigmatisiert, ohne inhaltlich zu argumentieren.
Ich verstehe den Artikel so: Die Trebfeder der woken ist die selbstdefinierte empfundene Ungerechtigkeit, gegen die sie ankämpfen wollen.
Die Autorin beschreibt den psychologischen Hintergrund dieses Helfenwollens und den Versuch, eine aus ihrer Sicht, gerechtere Welt zu schaffen.
Sie glaubt, daß sich dieses Helfenwollen tief in die Persönlichkeit eingräbt, so daß es zur immerwährenden Antriebsfeder werden kann, die einer Sucht gleicht. Die läßt sich aber, weil die Welt und die Menschen nicht konfliktfrei miteinander leben können, nie verwirklichen. Die Autorin schreibt: “ Da Letzteres niemals geschehen kann – eine vollkommen störungs-, konflikt- und widerspruchsfreie Welt kann es nicht geben, sie stellt eine abschreckende Utopie dar – geht der Suchtstoff für Menschen im Dauer-Empörungsmodus nicht aus.“
Sie glaubt, daß auch die Fälle der eempfundenen Ungerechtigkeiten anwachsen werden, oder sogar anwachsen müssen, und in mmer mehr Lebensbereichen entdeckt werden.
Deshalb bemühen sich diese „woken“ (dieser Name wird von allen verstanden, also auch von den woken selbst, die ihn nicht mehr mögen)ein „kollektiv moralisch aufgeladenes Regelsystem“ zu instaalieren, um einen „gerechten“ Idealzustand der Gesellschaft zu erreichen.
Doch „Je rigider die anderen agieren, desto pöbelhafter die einen und so weiter und so fort. Und das ist dann die Spaltung der Gesellschaft, die wir diagnostizieren, bei der kaum noch Verständigung und Austausch möglich scheint, bei der die In- und Outgroup-Eigendynamik schon bizarre und ungute Züge angenommen hat.“ schreibt sie.
Und weiter glaubt sie :“Langfristig wird es in einer jeden Gesellschaft, die an ihrem Moralin erstickt, immer eine Gegenbewegung geben. Und auf jede radikale ungesunde Ideologie folgt allzu oft ihr ebenso ungesundes Gegenteil. “
Das ist aber ein dialektischer Zusam menhang, der meinem Denken sehr nahe kommt. Das gefällt mir, obwohl ich die psychologisch begründeten Hintergründe nicht beurteilen kann. Dialektik oder Wechselwirkung sind die Triebkräfte in der Natur, und so wird es wohl auch beim Menschen sein. Zudem finden sich Vergleiche, die dem entsprechen.
Es wird also Gegenreaktionen geben. Das liegt in der menschlichen Natur.
Wir erleben also eine Spaltung der Gesellschaft mit weitreichenden negativen Folgen.
Wlchen Ausweg aus diesem Dilemma sieht die Autorin?
Sie schreibt:“Es bleibt kein anderer Weg als Ambivalenzen und Kränkungen wieder aushalten zu lernen, uns Inkorrektheiten und weniger Perfektionismus zu erlauben, kein anderer Weg, als weniger narzisstisch um unsere Identität zu kreisen und in Dialog miteinander zu treten. Es bleibt kein anderer Weg, als „right“ Balance zu finden.“
Dem kann ich mich anschließen.
Lieber paule t.
Sie tappen genau in diese woke Falle, indem Sie anfangen, eine Rechtfertigungsstrategie aufzubauen. Einen Schutzpanzer gegen die Entlarvung der eigenen psychologischen Verletzung. Man kann dies dialogisch natürlich weitertreiben, wenn man denn will.
Die Autorin hat sich offenbar selber noch nie mit Menschen der von ihr kritisierten Blase unterhalten. Es gibt dort reichlich Zweifelhaftigkeiten und Widersprüche, die die Autorin aber nicht bennent, und sie offenbar auch nicht kennt. Dies hier ist ähnlich wertvoll wie „Bild der Frau“ über die Gefühlswelt von Prinz Harry zu lesen. Fernanalyse des Unbekannten. Kommentator #3 hat ansonsten meine volle Zustimmung.
Man kann es hier in den Kommentaren zerpflücken wie man will. Für mich war der Artikel schlüssig. Es wird keine Ausrottung der Ungerechtigkeit geben, Menschen können sich individuell wehren, und wenn das genug tun ändern sich die dinge.
Aber bloße Lippenbekenntnisse zugunsten dieser oder jener ist ein scheinheiliges Unterfangen.
Woke ist vermutlich zu Recht ein schlecht definierter Begriff. Das ist auch nützlich für einige, kann man so doch bei jedem Konflikt umgehend die Parteien in dutzende splitter zerteilen.
Und der ideale Zustand, bei dem niemand niemanden mehr behindern, beleidigen, opponieren kann wird nie eintreten. Davor stehen einfach Dinge wie essen, trinken, Dach überm Kopf.
@Rob.S: Das Woke-Milieu wird die kommenden Krise kaum überstehen. Die Zeiten werden übel für Berufsbetroffene. Den Niedergang werde ich amüsiert beobachten und hämisch kommentieren 🙂
Die Autorin wirft woke und links nonchalant in einen Topf. Dabei ging es der klassischen Linken in erster Linie um einen solidarischen Kampf um ökonomische Verbesserungen. Da steht die Fragmentierung, die zum Teil aus der Woke-Culture resultiert, diametral entgegen.
@6; Rob.S.:“Die Autorin hat sich offenbar selber noch nie mit Menschen der von ihr kritisierten Blase unterhalten.“
Ich schon. Was diesen allen gemein ist, ist die herablassend-wohlwollende Attitude der Auserwählten. Die natürlich sehr schnell in blanken Hass und Vernichtungswillen umschlägt, wenn man ihre Meinung nicht teilt oder gar ablehnt. Im besten Fall wird man dann ignoriert, im normalen versuchen sie einem dann zu schaden. Der krasseste Fall, dan ich erleben durfte, war der woke „Rassismusexperte“, der einem deutschen Bürger schwarzer Hautfarbe erklärte, daß er den Rassismus ja gar nicht versteht. Das gipfelte in der sinngemäßen Aussage, daß er der zum großen Heer der akademischen Steuermittelverschwender gehört) ihm zu seinem wirtschaftlichen Erfolg gratuliere, aber ansonsten solle er doch gefälligst noch mal nachdenken. Der betreffende hatte sich vorher erdreistet, die Bevormundung durch die wokies mit der Begründung abzulehnen, daß er ja volljährig, nicht geistig behindert sei und wohl schon für sich selbst denken und handeln könne. Und im Gegensatz zu den „Experten“ durchaus Erfahrungen mit Rassismus gemacht habe.
#3 paule t.
In dem Artikel geht es nicht um das „Was“, sondern um das „Wie“ vieler, der sich als woke inszenierenden Diskutaten. Wobei Diskutant eigentlich in Anführungszeichen stehen müßte, denn sie treten eher als Prediger letzter Wahrheiten auf.
Wie also von zahlreichen Vertretern der Wokeness eine sinnvolle Debatte im Vorhinein unmöglich gemacht wird, das wird mit guten wie naheliegenden Argumenten von Esther Bockwyt gezeigt.
Außerdem wird wenig überraschend gezeigt, solche Strategien zielen genau nicht auf Lösung des Problems, sondern auf Erhalt. Das Problem ist gemeinschafts- und sinnstiftend. Die Opfer der beklagten Mißstände sind darum eher Objekt als Subjekt.
Welche Argumente fehlten Ihnen?
@Wolfram Obermanns, wer Einzelfälle sucht, um diese an ethischen Fragestellungen zu diskutieren, also fragt,“bit du dafür oder bist du dagegen“, will mit dem, was das hervorrufen könnte, nichts anfangen wollen, und auch nicht können. Diese Frage „Dafür oder dagegen“ läßt den Gedanken einfach nicht zu, daß schon die Frage, wenn sie mit Vehemenz geführt wird, schon Folgen haben könnte. Und die Autorin beschäftigt sich auch garnicht mit der Ethik, sondern mit der Vehemenz solcher Diskussionen.Der Fighter sagt aber, daß sein Kontrahent ein moralischer Verbrecher ist. Und darum knallt es in solchen Diskussionen.
Deshalb ist die Überschrift wichtig.Es geht nicht um einzelne Fragen.
Woke-Kultur: Zwanghafte Einengung durch Schein-sensible Überkorrektheit ruft psychodynamisch Gegenkräfte hervor
Die Wokoharamjunger haben alle einen Pinn im Kopp.
Den Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit, der an diesen sehr guten Artikel gerichtet wird, kann ich nicht nachvollziehen. Die Autorin kritisiert nicht das gute Ansinnen der Woke-Bewegung an sich, sondern deren mittlerweile jakobinische, wirklich gefährliche und Existenzen zerstörende Auswüchse. Diese fatale Entwicklung hat sie vortrefflich stringent und überzeugend beschrieben. Den Wahnsinn unserer Zeit meisterhaft auf den Punkt gebracht. Wie soll man diese Wokeness, die mittlerweile tatsächlich sektenartige, pseudoreligiöse Züge angenommen hat, anders nennen als zwangsneurotisch? In der Presse wurden dazu unzählige erschreckende Beispiele aufgeführt.
https://www.welt.de/vermischtes/article239698549/Humboldt-Universitaet-sagt-Vortrag-nach-linkem-Protest-ab.html?source=puerto-reco-2_ABC-V9.0.C_random_ratio
Schlimmer geht immer.
Nach meinem Eindruck ist Woke ein linkes Ersatzspielfeld, das leider sehr erfolgreich zur Ablenkung von den immer wichtiger werdenden sozialen Fragen innerhalb unserer Gesellschaft dient. Wohl sehr zur Freude von Neoliberal und Neokonservativ.
Nebenbei werden die Menschen noch an gegenseitige Kontrolle bei fehlendem Meinungspluralismus gewöhnt und das ist doch eher ein Merkmal für ein totalitäres System. Zumindest ich fühle mich eher in einer Demokratie zuhause und bin somit wohl nicht „progressiv“.
Diese Narzissten können, wie man sieht, zwar ein Partei dominieren, schreiben auch Zielgruppen hinein, für die sie kämpfen wollen, gehen aber nicht vor die Werkstore oder in die ärmeren Vororte, wo diese Zielgruppen leben. Denn die Antworten dieser Menschen können unerträglich grob sein. Und dann kommen wieder die Tränchen und kullern die Backen runter. Aber im Programm wird das stehen bleiben.
@ #11 | Wolfram Obermanns, Zitat:
„#3 paule t.
In dem Artikel geht es nicht um das „Was“, sondern um das „Wie“ vieler, der sich als woke inszenierenden Diskutaten.“
Ganz genau, und das ist exakt das Problem des Artikels, das ich beschrieben habe. Es geht nämlich so wenig um das „Was“, dass das „Wie“ fast ohne Bezugspunkte in der Luft schwebt. Wie soll man denn sinnvoll über ein „Wie“ reden, wenn man das „Was“ gar nicht klar benennt? Die Autorin kann alles mögliche dahinbehaupten, inklusive Pathologisierungen, ohne dass man es überprüfen kann, weil sie schlicht überhaupt nicht klar sagt, über wen oder welche Positionen sie redet.
„Woke“ z.B. ist in den USA zunehmend, im deutschsprachigen Sprachraum fast ausschließlich ein Kampfbegriff zur Abgrenzung (zB dürften ca. 80% meiner Begegnungen mit dem Begriff „woke“ beim Lesen der regelmäßigen Tiraden Stefan Laurins stattfinden). Daher ist es mMn eine schlichte Fehldarstellung, zu sagen, es ginge um das „Wie“ von „sich als woke inszenierenden Diskutaten“. Wer soll das bitte sein, der sich selbst so beschreibt?
Vielmehr ist es ein ganz unklarer Begriff, der von jedem, der ihn aufnimmt, anders gefüllt wird. Manche mögen damit Leute meinen, die sich ihrer Meinung nach _zu sehr_ und übertrieben mit Symbol- und Identitätspolitik beschäftigen. Andere mögen damit eine _prinzipielle_ Ablehnung jeglicher Identitätspolitik ausdrücken (und dann wird schnell jeder als „woke“ abgelehnt, der verbale Diskriminierung kritisiert). Und für wieder andere ist „woke“ überhaupt jeder, der sich irgendwie für gesellschaftliche Gerechtigkeit einsetzt und gesellschaftspolitisch links von (je nach Land) Donald Trump oder der AfD steht.
Jeder Leser muss sich selbst aussuchen, was gemeint ist. Nützlich ist diese unüberprüfbare Schwammigkeit aber nur für einen allgemeinen Backlash von rechts, der jegliche gesellschaftspolitische Fortschritte zurückdrängen will; für sachliche gesellschaftspolitische Debatten über konkrete Themen ist sie nur schädlich.
#3 und ebenso #18 ist wenig hinzu zu fügen. Außer, dass die Autorin Ambiguitätstoleranz (NB für viele „Woke-Gegner“ ein „woker Kampfbegriff“, oder?) fordert, um die ungesunde Woke-Ideologie ebenso wie die Antwort der Psyche darauf zu korrigieren. Schließlich strebe unsere Psyche nach Ausgleich und produziere deshalb ein „ungesundes Gegenteil“ (!). Das würde dann bedeuten, dass „ungesunde“ Entwicklungen (psychologisch z.B. Brewik oder der Germanwings-Pilot ebenso wie politisch Klimakrise oder Ukraine) ebensolche ungesunden Gegenteile in „unserer“ Psyche zeitigen? Die sich nur mit Ambiguitätstoleranz überwinden lassen? Konstruktive Konfliktlösung sieht anders aus, meine ich.
Sehr guter Artikel. Empfinde es genauso. Sehr gut auf den Punkt gebracht.
Ich würde es philosophisch unter Utilitarismus abhalten.
Im Grunde genommen beschreibt die Autorin „vulnerablen Narzissmus“, nur nicht individuell sondern diagnostiziert ihn einer ganzen Bewegung. Ich stimme ihr zu.
Alles da: Antagonismus (ständiger Widerstreit, nur die eine Meinung ist akzeptabel), Hypersenibililät (keine Kritik erlaubt, sonst gibt es emotionales Drama), Entitlement (Anspruchsdenken), Doppelmoral (z. B. ich prangere andere an rassistisch zu sein in dem sie kulturelle Aneignung begehen und bin es selbst dabei blind, daß ich eine durch und durch ‚reine‘ Kultur propagiere, die aus dem Kolonialismus kommt 😂), Schwarz /Weiß Denken und die Paranoia, dass hinter jedem ein böses Motiv steckt. Voila: der vulnerable Narzissmus ist da, das ewige Opfer, das nur um sich selbst kreist.