Wokeness: „Die liberal-konservative bürgerliche Mitte und die klassische Linke dürfen nicht länger schweigen“

Susanne Schröter Foto: Raimond Spekking Lizenz: CC BY-SA 4.0


Die Frankfurter Ethnologin Susanne Schröter zeigt in ihrem Buch „Der neue Kulturkampf“ wie groß die Macht der woken Aktivisten mittlerweile ist. Ihren Optimismus hat sie trotzdem noch nicht ganz verloren.

Susanne Schröter gehört zu den prominentesten und streitbarsten Geisteswissenschaftlerinnen Deutschlands. Sie leitete an der Goethe-Universität Frankfurt lange das von ihr aufgebaute „Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam“ und war von 2016 bis 2019 Principal Investigator im Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“. Nach ihrer Pensionierung im Sommer vergangenen Jahres erhielt sie eine „Goethe Research Professorship“, um am Aufbau eines „Transfer- und Kompetenzzentrums Islam“ an der Goethe-Universität mitzuwirken. Die Hoffnungen ihrer Gegner, Schröter würde die Frankfurter Universität verlassen, erfüllten sich nicht. Und Gegner hat Schröter viele: Immer wieder hat sie sich in den vergangenen Jahren in Debatte um den Islam, die Zuwanderungspolitik und den wachsenden Einfluss der verschiedenen Spielformen postmodernen Denkens eingemischt. Diese Szene schätzt keine Kritik und reagierte entsprechend: Schröter wurde als islamophob und rechtsradikal denunziert, woke Aktivisten forderten von der Frankfurter Universitätsleitung, sie rauszuwerfen. Welche Folgen es für sie hatte, als „umstritten“ gebrandmarkt zu werden, beschreibt Schröter: „Auch für mein Privatleben hatte meine Arbeit Konsequenzen. Im Jahr 2017 erhielt ich vom Landeskriminalamt Hessen einen Gefährdungsstatus, weil man mich nach Sichtung islamistischer Quellen als bedroht einschätzte. Seitdem bin ich gehalten, öffentliche Vorträge bei der Polizei zu melden, damit man vor Ort entscheiden kann, wie mein Schutz gestaltet werden soll.“

In ihrem neuen Buch „Der neue Kulturkampf: Wie eine woke Linke Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft bedroht“ berichtet sie ausführlich davon, wie sie von Studenten angegriffen, von der eigenen Fachgesellschaft im Stich gelassen und von Kollegen gemieden wurde. Aus Anlass der von Schröter 2019 organisierten Konferenz „Das islamische Kopftuch – Symbol der Würde oder der Unterdrückung?“ an der sowohl Kritikerinnen des Kopftuchs wie Alice Schwarzer als auch Befürworter wie die Journalistin Khola Maryam Hübsch teilnahmen, kam es zu einer Demonstration und persönlichen Bedrohungen.

Tübingens Bürgermeister Boris Palmer sorgte vor einem Jahr als Teilnehmer einer von ihr organisierten Konferenz zur Migrationspolitik für einen Eklat, als er im Streit mit Demonstranten die Nerven verlor und sich rassistisch äußerte. Schröter distanzierte sich von Palmers Aussagen. Palmer trat schließlich bei den Grünen aus und suchte „professionelle Hilfe“.

Schröter ist nicht nur stärker als Palmer, sondern wird als Wissenschaftlerin auch weniger von Gefühlen bestimmt. In ihren Büchern hat sie beschrieben, wie sich der fundamentalistische Islam in religiös einst liberalen Staaten wie Indonesien ausbreitete und Islamisten in Deutschland ihren politischen Einfluss ausweiten. Wer wie sie den Islam kritisiert, bekommt es gleich mit zwei Gegnern zu tun, die immer enger zusammenarbeiten, denn bei allen Unterschieden eint sie der Hass auf den Westen und die Aufklärung: Islamisten und die woke Linke. Schröter legt ausführlich dar, wie der Postkolonialismus im Kampf von beiden genutzt wird:  Wer auf die bekannte und unbestrittene Tatsache hinweist, dass Sklaverei unabhängig von den Europäern ein weltweites Phänomen war und ist und sowohl Afrikaner als auch Araber vom Sklavenhandel profitierten wird beschimpft, von Kongressen ausgeladen und gecancelt.

Die woken Aktivisten streben nach der Hegemonie und haben sie nicht nur in Deutschland an den Hochschulen in den Geisteswissenschaftlichen Fachbereichen zum großen Teil auch erreicht. Wer zum Beispiel darauf hinweise, dass es bei Menschen nur zwei Geschlechter gibt, gerate unter Druck: „Marie-Luise Vollbrecht, Doktorandin der Biologie, sollte an der Humboldt-Universität zu Berlin im Rahmen der Langen Nacht der Wissenschaften einen Vortrag über biologische Zweigeschlechtlichkeit in der Biologie halten. Vollbrechts Dissertationsthema bezieht sich auf Fische. Der Arbeitskreis kritischer Jurist*innen, der auch bei meiner Migrationskonferenz mit Cancel-Culture-Forderungen in Erscheinung trat, fackelte in Berlin nicht lange. Die Doktorandin sei unwissenschaftlich, menschenverachtend und transfeindlich, hieß es in einer Erklärung, die mit dem Statement endete, an der Humboldt-Uni gebe es keinen Platz für Queerfeindlichkeit,“ schreibt Schröter. Geschlecht würde nur noch als ein Konstrukt verstanden, das jederzeit durch eine Willensbekundung geändert werden kann. Diese radikale Abkopplung von der Materialität des Faktischen sei von der amerikanischen Philosophin Judith Butler im akademischen Umfeld popularisiert worden. In ihrem 1990 erschienenen Buch Gender Trouble behauptete Butler, ein weibliches oder männliches Geschlecht sei nicht an einen geschlechtlichen Körper gebunden, sondern könne beliebig angeeignet werden. Das von der Ampel geplanten Selbstbestimmungsgesetz ist eine Folge dieser akademischen Fantasie.

Über die Folgen von Migration zu diskutieren sei ein noch größeres Problem, als über Islamismus zu debattieren: „Die überwiegende Mehrheit der Forscher hat sich darauf verständigt, den ungebremsten Zustrom von Zuwanderern nach Deutschland zu verteidigen und Steuerungsmaßnahmen als Menschenrechtsverletzungen zu skandalisieren. Integrationsprobleme werden systematisch ausgeblendet oder der deutschen Bevölkerung zur Last gelegt.“ Meilenweit von den tatsächlichen gesellschaftlichen Problemlagen entfernt ist nach Schröters Ansicht an den Hochschulen ein intellektuelles Paralleluniversum entstanden, dessen Protagonisten weitgehend um sich selbst kreisen.

All diese Auseinandersetzungen haben natürlich ihre Wurzeln nicht nur in den Überzeugungen der zum Teil als Wissenschaftler auftretenden Aktivisten. Es geht auch um Geld, Stellen an Hochschulen, Führungspositionen, Macht und Einfluss. Drittmittel sind für Wissenschaftler aller Bereiche wichtig. Kommen diese bei Ingenieuren und Naturwissenschaftlern häufig aus der Wirtschaft , sieht es bei Geisteswissenschaftlern anders aus: Sie sind fast vollkommen abhängig von Stiftungsgeldern und staatlichen Zuwendungen. Schröter beschreibt ausführlich, wie dieses Geld genutzt wird, woke Wissenschaft und Initiativen zu fördern. Wenig überraschend taucht in diesem Zusammenhang auch die Essener Mercator-Stiftung auf: „Die Mercator-Stiftung hat sich einen Namen als Förderorganisation muslimischer Einrichtungen gemacht und finanziert regelmäßig Studien, die die Existenz eines antimuslimischen Rassismus sowohl voraussetzen als auch bestätigen.“ Denn Kritik am Islam ist für diese Kreise nichts mehr, worüber diskutiert werden kann. Sie wird als antimuslimischen Rassismus diffamiert.

Aber auch staatliche Programme wie Demokratie leben, die durch das sogenannte Demokratiefördergesetz noch weiter ausgebaut und finanziell gefördert werden sollen, seien für die woke Szene wichtig: „2015 begann das Programm Demokratie leben!, das bis heute existiert. Im Jahr 2023 wurden dafür Fördergelder in Höhe von 182 Millionen Euro bereitgestellt. Inhaltlich orientierte man sich überproportional an den Handlungsfeldern Rechtsextremismus und Rassismus, griff aber auch Themen wie Transfeindlichkeit oder Antiziganismus (Feindseligkeit gegenüber Sinti und Roma) auf, die in die postkoloniale Theorie integriert worden waren. Im Jahr 2020 wurde eine Milliarde Euro für die Bekämpfung von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus bewilligt, die über einen Zeitraum von vier Jahren ausgegeben werden sollten.“ Und was rechtsextrem oder rassistisch ist, bestimmt die Szene natürlich selbst. Wer das kritisiert, gerät schnell ins Fadenkreuz der durch Steuern finanzierten oder Steuergelder verteilenden Aktivisten. Schröter beschreibt ein Milieu, in dem sich die Neuen Deutschen Medienmacher, die mit der Verleihung der „Goldenen Kartoffel“ zum Beispiel Spiegel-Journalisten an den Pranger stellten, die über Clankriminalität berichteten, ebenso tummeln wie Islamisten und Queeraktivisten.  Man spürt in dem Buch Schröters Entsetzen über den offenen Antisemitismus der Szene, der nach den Pogromen der Hamas in Israel ab dem 7. Oktober offen Zutage trat und die Unterstützung für antiisraelische Aktivisten aus Wissenschaftskreisen. Und natürlich ist es für diese Kreise ein Tabu, muslimischen Judenhass auch nur zu erwähnen, denn es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Die Ethnologin skizziert eine bunte Szene, deren Angehörige wenig eint außer dem festen Willen, alles, was mit dem Westen, seiner Kultur- und Lebensweise und der Aufklärung zu tun hat, zu denunzieren und zu vernichten.

Schröter belegt in ihrem Buch den Einfluss des woken Denkens und zeigt auf, wie sehr sich die Szene in Wissenschaft, Politik und Medien festgesetzt hat. Sie warnt vor den Folgen einer Haltung, die jeden, der ihr nicht folgt, als rechtsradikal zu stigmatisieren versucht und letztendlich dem ganzen Land unterstellt, „strukturell rassistisch“ zu sein, wie es ideologisch geprägte Studien immer wieder zu belegen versuchen: „Der Effekt solcher Zuschreibungen negativer Eigenschaften an die Mehrheitsbevölkerung liegt auf der Hand. Wenn alles jenseits eines woken Weltbildes rassistisch oder rechtsradikal ist, dann verschwimmen die Grenzen zu wirklichen Rassisten und Rechtsradikalen.“

Im Nachwort von Suanne Schröters Buch spürt man allerdings etwas Optimismus. Die Zeiten haben sich während sie ihr Buch schrieb geändert: „In mehreren Bundesländern wurde das Gendern trotz woker Proteste verboten, und die postkoloniale Ideologie hat ihren Zauber als Theorie der Gerechtigkeit zumindest ansatzweise eingebüßt. Das alles sind gute Ansätze.“ Woke Ideologien dürften die Gesellschaft nicht länger spalten. Das Milieu ist unter Druck geraten. Erst in den USA und längst auch in Deutschland. Die Stigmatisierungsmaschinerie ist ins Stocken geraten und verliert an Kraft. Dass vieles, was die postmodernen Ideologen propagieren „intellektuell nackt“ ist, wird immer mehr Menschen bewusst. Jan Feddersen brachte das unlängst in der taz auf den Punkt, als er über die Ikone der Szene, Judith Butler, schrieb: „Kein Impuls ging von Butler aus, der die Welt auch nur einen Deut besser gemacht hätte.“ Und was auf die hippe Berkeley-Philosophin zutrifft, trifft auf die ganze Szene und ihre oft wirren Gedankengebäude zu, die imposant daherkommen, um ihre Leere zu überdecken.

Die liberal-konservative bürgerliche Mitte und die klassische Linke, appeliert Susanne Schröter, dürfe nicht länger schweigen: „Wir tun gut daran, uns zu erinnern, dass die Freiheitsrechte, unser Wohlstand und unser Sozialsystem erkämpft und erarbeitet worden sind.“ Es gäbe keinen Grund, das Erreichte aufzugeben, weil woke Akteure Teilhabe als Übernahme definieren. Wer die Vergewaltigung von Jüdinnen als Befreiungsaktion feiert, habe sich als ernstzunehmender Gesprächspartner disqualifiziert: „Wenn die Freiheit erhalten bleiben soll, sind alle Bürger dieses Landes aufgerufen, Verantwortung zu übernehmen. Ein jeder kann an seinem Platz etwas dafür tun, dass unsere freie Gesellschaft nicht in den Sog des Totalitarismus gerät, sondern auch in Zukunft frei bleibt.“

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