Wolkenweiße Lyrikfürstin: Warte nur, balde dichtest du auch!

Die Gedichte der Best- und Longsellerautorin Allert-Wybranietz als Ruinen alternativer Geschwätzigkeit

Wie soll man einer ‚Autorin‘  trauen, die schon auf ihrer Homepage ( http://www.allert-wybranietz.de/ ) einen Steuerbutton mit „Gallerie“ statt „Galerie“ etikettiert? Die Gal(l)e möchte einem hochkommen. Und doch ist es leider so: Die populärste und auflagenstärkste Dichterin aller Zeiten heißt hierzulande auch 2012: Kristiane Allert-Wybranietz. Weit weit mehr als eine Million Bücher, E-Books (vor allem Gedichtbände) müsste sie seit Ende der siebziger Jahre im deutschsprachigen Raum verkauft haben. Die treuesten Leserinnen ihrer „Trotz alledem“-Verschenktexte“ gehörten einst zur links-vulgärfeministisch-alternativen Szene. Die Texte, ihre Softi-Leser und lila-Latzhosen-Leserinnen wurden schon früh von Cartoonist Tetsche verspottet. Bei Elefanten Press brachte er seine Parodien heraus, unter dem schrägen Titel “’Trotz …dem. Texte, die man sich schenken kann’ von Kristiane Ballert-Pyrowitz“.

Doch die beseelte Allert-Wybranietz hat sich von niemandem nie nicht abschrecken lassen, immer weiter zu lüricken und trostlos Trostvolles abzusondern. Bis heute erschienen von ihr weit über 40 eigene Bücher, dazu ein Dutzend Herausgeberschaften. Und schon die Titel ihrer Bücher sprechen Bände:
Willkommen im Leben! Wo warst du so lange?; Blumen blühen jeden Tag; Hoffnungsschimmer auf Hochglanz poliert; In stiller Anteilnahme; Schön, daß es dich gibt; Von Herzen gute Besserung; Die Kunst einfach zu leben; Laß dir deine Träume nicht stehlen.

Angesichts eines massenhaften Bedürfnisses nach gefühlvoller Triviallyrik und Sturzbetroffenheitsprosa ist es sicher sinnvoll, sich einmal mit solcher „Dichtung“ zu beschäftigen, und wär’s nur als Beitrag zur Erweiterung der ästhetischen Urteilsfähigkeit.

Gerne polemisierte ich auch hier bei den Ruhrbaronen gegen Lernunwillen und Veröffentlichungs-Sucht in der Hobbyschreiber- und Schreibwerkstätten-Szene, plädierte aber auch für die Förderung von talentiertem Nachwuchs durch Schreibschulen und Lesezirkel.
Lyrikbeispiele oder Textanalysen, die belegt hätten, worin der behauptete „Widerstand gegen Ästhetik“ vieler Möchtegern-Lyriker konkret sichtbar wird, fehlten bisher. Zumindest eine Textanalyse soll deshalb heute nachgeliefert werden.

Das Zerpflücken von Gedichten setzt keine geschlossene normative (gar dogmatische) Ästhetik voraus. Kriterien des Genusses oder Missvergnügens an Gedichten lassen sich oft in Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Text am besten entwickeln bzw. bewusst machen. Mitunter kann es sogar vorkommen, dass ein Gedicht den Leser so zwischen Genuss und Irritation schwanken lässt, dass er beginnen muss, seine Kriterien und Wertmaßstäbe zu überprüfen.
Doch die allermeisten Gedichte, die uns heute sorglos veröffentlicht auf den Tisch kommen sind ungenießbar. An solche Gedichte Kriterien anlegen zu wollen, hieße, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Dennoch: Mehr als die Massenproduktion von lyrischen „Small-Mäcs“ (Piwitt) könnte einen der Massenkonsum solcher Machwerke durch ein unkritisches Publikum erschrecken.
Das hier vorgestellte frühe Gedicht Allert-Wybranietz’ ist bis heute exemplarisch für diese Autorin. Nachahmerinnen und Nachahmer hat Allert-Wybranietz tausendfach gefunden, in allen Strömungen zeitgenössischer bundesdeutscher Lyrik zwischen L’art pour l’art und politischem Gedicht. Kritik an ihren Gedichten ist so Kritik an vielen Gedichten und: vielen Arten ungenau zu schreiben oder zu lesen.

Hier nun das sogenannte Gedicht:

NICHT ANGEKOMMEN
(TRILOGIE FÜR EINEN
DER NICHT MEHR FÜHLEN KANN)

1.
Gute Gefühle
wollte ich dir geben,
wolkenweiß,
doch du hast sie genommen
und nicht verstanden,
hast sie in den Kohletopf geworfen.
Da stehe ich nun
leicht angeschwärzt.

2.
Meine Worte und Briefe
sandte ich dir in guter Absicht.
Du empfingst sie,
als wären es Geschosse.
Aus deinem Panzer heraus schießt du
nun zurück.
Ich bin schwer verletzt,
aber ich werde mich erholen,
und genesen und l e b e n –
was du in deinem Schutzhaus bald
nicht mehr kannst.

3.
Das Eis,
auf dem unsere Beziehung lebte,
ist nun aufgebrochen.
Ich habe es aufgehackt,
um mich bald wieder
fröhlich in dem Wasser tummeln zu
können,
das du mir abdrehtest.
Einmal schon habe ich
das kleine Loch im Eis
wieder zufrieren lassen,
weil von dir ein Sonnenstrahl auszu-
gehen schien.
Jetzt ist der Frost endgültig vorbei!

(Quelle: Kristiane Allert-Wybranietz in „Trotz alledem. Verschenktexte.“
Lucy Körner Verlag, 11. Auflage 1982;
im Internet bereits veröffentlicht unter: http://www.aphorismen.de/display_aphorismen.php?search=9&sav=137&hash=3988c7f88ebcb58c6ce932b957b6f332&page=7) und ziemlich wortgleich parodiert unter http://www.hahaha.de/teufel/teufel-Dateien/table.htm )

Sehr flüchtig gelesen scheint an „Nicht angekommen“ kaum etwas auszusetzen, auch deshalb, weil man das Gedicht als Gedicht sowieso nicht ganz ernst nimmt und es eher als eine Art offenen Brief des lyrischen Ichs an einen Ex-Geliebten liest.
Also: Ein Jahrhundertgedicht hatten wir sowieso nicht erwartet und warum soll Allert-Wybranietz nicht ihre persönlichen Enttäuschungen, Verletzungen poetisch verarbeiten und schreibend zu einem neuen Selbstbewusstsein gelangen? Wer hätte nicht schon etwas Ähnliches gefühlt und durchlebt.

Jeder darf schreiben, was er will. Aber veröffentlichen …?
A.-W. schreibt uns sozusagen stellvertretend den Frust von der Seele. Vielleicht wurden ihre Bücher deshalb millionenfach verkauft und verschenkt, weil diese „deutsche Schriftstellerin“ (A.-W. über A.-W.) anspricht, was andere fühlen und schon längst mal ‚einem‘ hätten stecken wollen.
Lohnt sich denn überhaupt ein zweiter Blick auf die Sprachmuster der Allert-Wybranietz, um zu erfahren, welche Gefühls- und Denkmuster da transportiert werden? Im Gestus des Vorwurfs und des neu erwachenden Optimismus waren wir so schön trotzig vereint. Doch halt, Gefühle können einen auch so besoffen machen, dass man geradezu gefühls-dusselig wird. Das authentisch Gefühlte muss noch lange nicht das Richtige, das Wahre oder Schöne sein, meint jedenfalls Brecht.

Auf denn zur zweiten Lektüre!
Der Titel scheint unverfänglich: „Nicht angekommen“. Eine lakonische Feststellung. Der Titel verweist möglicherweise auf einen Brief, ein Ding oder einen Menschen, der oder das jemanden nicht erreicht haben dürfte.
Beim Untertitel in Klammern wird’s schon komplizierter:
„Trilogie für einen, der nicht mehr fühlen kann“.
Das riecht nach Vorwurf, aber wenn wir Glück haben, wird uns nur eindringlich einer vorgeführt, der nicht mehr fühlen kann. Vielleicht erfahren wir sogar etwas darüber, was ihn gefühllos hat werden lassen. Mal abwarten, was daraus gemacht wird: Satire, bissige Gesellschaftskritik oder weinerliche Impression?
Aber wieso steht da „Trilogie“? Ein schneller Blick über den gesamten Text bestätigt, dass das Gedicht drei Strophen hat. Aber drei Strophen machen noch keine Trilogie. Eine Trilogie, das meint einen Zyklus von drei motivisch oder stofflich zusammenhängenden, aber auch einzeln verständlichen Dramen oder Romanen. Hier aber folgen nur drei Strophen eines einzigen Gedichts, die ohne die anderen kaum einen Sinn ergeben (wenn sie denn überhaupt einen Sinn ergeben sollten).
Wie auch immer, da scheint jemand in der Anwendung poetologischer Begrifflichkeit ziemlich unsicher, dennoch werden gerade vom unbeholfenen Sprecher des Gedichts Vorwürfe gegen „einen“ angedeutet. Wer im Glashaus sitzt… Merkwürdig.

Veröffentlichte Lyrik als Gefühlsterror
Also weiter im Text.
„Gute Gefühle / wollte ich dir geben, / wolkenweiß, / doch du hast sie genommen / und nicht verstanden…“
Es gibt also ein lyrisches Ich. Das kann eine Frau sein, vielleicht die Autorin selbst, es könnte aber auch der Homosexuelle eines Rollengedichts sein, der an „einen“ denkt oder schreibt, „der nicht mehr fühlen kann“.
Diesem „einen“ wollte das lyrische Ich „gute Gefühle“ geben. Welche? Solche der Liebe, der Freundschaft, der Erotik oder bloß Sympathie? „Gute Gefühle“, das bleibt ein bisschen sehr abstrakt; wenn schon der Geber / die Geberin die Gefühle nicht genau bestimmen kann, wie soll sie dann der Empfänger, das lyrische Ich wahrnehmen? Außerdem, das darf man von Lyrik schon verlangen, sollte ein Gedicht Gefühle gestalten, hervorrufen und nicht nur platt benennen.
Aber da heißt es ja auch noch: „wolkenweiß“. Es müssen wohl unschuldige, reine Gefühle gewesen sein, die da ‚gegeben‘ werden sollten.
„Doch du hast sie genommen / und nicht verstanden“. Na, und? Ich ertrage auch nicht widerspruchslos alle diffusen Gefühle, die andere mir anhängen wollen. Außerdem: Müsste das nicht besser heißen „Und du hast sie genommen, doch nicht verstanden“.
Schließlich wollte das lyrische Ich Gefühle geben, da braucht es sich also auch nicht zu wundern, wenn die dann auch „genommen“ werden. Das „doch“ gehört ganz klar zu „verstanden“, weil der Adressat der Gefühle mit ihnen nichts anfangen konnte, nachdem er angenommen hatte, was für ihn bestimmt war.

Angeschwärzt
Wie wirft man „Gefühle“ in den „Kohletopf“? Man ahnt, was K. A.-W. gemeint haben könnte, gesagt aber hat sie nichts davon. Meint sie etwa, die Gefühle wurden wie unwichtige Nebensachen in einen Kohletopf geworfen? Allert-Wybranietz müsste hier den poetischen Vergleich wie auch immer ausführen, was sie aber nirgends tut.
„Da stehe ich nun / leicht angeschwärzt“. Wieso „ich“, wieso nicht nur die „Gefühle“, die bisher anstelle des ganzen Ich in den Kohletopf geworfen worden waren? Und wieso „stehe“? Was geworfen wurde, das liegt  meist angeschlagen da. Wieso „leicht angeschwärzt“? In den Kohletopf geworfen und nichts abbekommen? Was war denn drin im Kohletopf, der ein ganzes Ich aufnehmen konnte? Bisschen Staub? Seife gar?

Das Gedicht ist deutlich dümmer als ich: unterkomplexer Gefühlsbrei
Als Leser bin ich nach der genaueren Lektüre schon der ersten Strophe mehr verärgert als irritiert. Ich bemerke, dass das Gedicht wesentlich dümmer ist als ich .Meine Rückfragen bringen es aus der Fassung. Überall das Gutgemeinte, überall das Schlechtgedachte. Wer dichtet, sollte doch gerade mit Sprache umgehen können, zumindest auch ein Sprachhandwerker sein. Nichts davon hier: ein Sprachlehrling pfuscht da ohne Anleitung herum.

In der zweiten Strophe geht das so weiter. Das Gegenüber (das lyrische Ich) empfängt Briefe wie „Geschosse“. Empfangen kann man ja so allerhand, Geschosse jedoch auf keinen Fall. Aber vielleicht lernen die Nachrichtensprecher von Allert–W.: „In Beirut empfingen gestern drei Hisbollah–Anhänger und zwei libanesische Soldaten wechselseitig die Geschosse ihrer Gegner. Die fünf Männer waren sofort tot.“
Ob K. A.-W. ahnt, was Wortwahl bedeutet, was einen Stilbruch ausmacht?

Bildersalat
Unfreiwillig komisch wird die Allert-Wybranietz endgültig da, wo sie das lyrische Du nun aus einem „Panzer“ zurückschießen lässt. Natürlich weiß ich als Leser, der klüger als das Gedicht ist, dass sie einen „Charakterpanzer“ à la Wilhelm Reich meinen wird, aber der Text provoziert in seiner Unbeholfenheit durchaus Assoziationen an „einen“ in einem wirklichen Tank.
Gefühle und Ich im Kohletopf; ein lyrisches Du, das Geschosse empfängt, aber aus (s)einem Panzer auf einen Kohletopf schießt: Die Bilder sind so schief, dass sie jeden Moment aus dem so genannten Gedicht fallen könnten, hielte sie der gutmütige (oder dumme, je nachdem) Leser nicht zusammen.

Wo die Bilder nicht mehr stimmen, dürfen nun auch die Gefühle vollends verrückt spielen. Auf das weinerliche „Ich bin schwer verletzt, / aber ich werde mich erholen, / genesen und l e b e n -/“ folgt das ekelhaft besserwisserische „was du in deinem Schutzhaus bald / nicht mehr kannst“.
Verletzte Eitelkeit bedient sich hier der Lyrik, um Gift und Galle und Moral abzusondern. Sprache ist dabei nebensächlich, die Pose allein zählt, die die Leser/innen gefühlvoll wiedererkennen und dabei den Kopf verlieren sollen.
Peinlich allein schon der Ablauf des lyrischen Gesundungsprozesses: sich erholen, genesen und l e b e n. Wäre es andersrum nicht gesünder, wenn man das Bild des Schwerverletztseins denn schon akzeptierte: also erst (über)leben, dann genesen, dann sich erholen? Bei A.-W. erholt sich das lyrische Ich erst, bevor die Genesung und das Lebenbleiben folgen dürfen.

Chaosforschung nötig
Das ganz große Chaos bricht in diesem Bestseller-Gedicht dann anlässlich der dritten Strophe aus. Die ist nur mit Spott und Häme noch zu ertragen. Und der Leser / die Leserin möge zu Ende denken, was ich nur noch antippe.
Da lebt eine „Beziehung“ auf dem Eis. Diese Eis nun, hören wir, ist aufgebrochen. Doch sogleich folgt ein Widerruf: nein, nicht aufgebrochen, das lyrische Ich hat’s aufgehackt. Um sich im (Eis)Wasser „tummeln“ zu können. Wie possierlich, wie kalt.
Aber wieso – um Himmels willen – Wasser, „das du mir abdrehtest“? Lebte die „Beziehung“ auf dem Eis einer Badewanne oder eines Swimming-Pools? Und wieso gibt es Eis und Wasser zum Tummeln genug, wo doch das Wasser abgedreht war? Schmelzwasser? Was für Metaphern, was für gewaltige Bilder. Ich begreife gar nichts mehr. Dann kann’s ja nur Kunst sein!

Überfluss an Mängeln
Und dann ist zu allem Überfluss an Mängeln auch noch von einem kleinen „Loch“ die Rede, das das lyrische Ich wieder hat zufrieren lassen, weil und obwohl vom Angesprochenen „Sonnenstrahlen“ auszugehen schienen. Ja, taut es denn nicht da, wo die Sonne zu scheinen beginnt? Verstehe das, wer will!
Die Bilderwelt der eiskalten Beziehung verkeilt sich in den Metaphern fürs neue Selbstbewusstsein. Sprachwendungen („einem das Wasser abdrehen“) werden zu Bildern plattgewalzt und eben als Bilder nicht ernst genommen. Pathos und Beziehungsgefasel setzen Naturabläufe außer Kraft.
Der Frost ist endgültig und ausgerechnet da vorbei, wo kurz zuvor noch Eis aufgehackt werden musste und Sonnenstrahlen beim Zufrieren halfen.
1.000 Euro Belohnung für eine sinnvolle Interpretation dieser Dilemma-Strophe. Von der Güte dieses sich frei-rhythmisch gebärdenden Gedichts sonst ganz zu schweigen.
„Nicht angekommen“ ist – frei nach Brecht – nur ein zum Verweilen gebrachtes Nichtiges. Einer Überprüfung durch die Vernunft hält dieses Gedichtimitat nicht stand.

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Andreas
12 Jahre zuvor

Hallo Gerd,

jetzt hab’ ich doch glatt „Versenk-Texte“ statt „Verschenk-Texte“ gelesen –

und ich finde, ganz unbescheiden, dass das eine gute Lyrik–Kritik für die Frau –
„wie hiess sie noch mal? muss ich mir den Namen merken?“ – ist.

Aber „wolkenweiß“ hat tatsächlich ein anderes Gedicht hervorgeholt:

„Und über uns im schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer da.“

(und schon wieder eine Frau vergessen)

mir
mir
12 Jahre zuvor

Die Sonne scheint. Wolken ziehen vorüber. Es regnet.
Nicht jede Wahrheit ist kafkaesk. Nicht jeder Realismus eine brechtsche.

Wilfried Bienek
12 Jahre zuvor

Okay, die Texte von AW sind trivial. Gut möglich, dass sie ein Bedürfnis befriedigt, das ohne sie keiner hätte. Nun, sie erreicht mehr Leute als eine Hundertschaft „guter“ Dichter, die sich beklagen, dass zu wenige Leute gute Gedichte lesen, und sie meinen ausschließlich ihre eigenen damit.

AW ist eine prima Therapie für die Vertreter des aussterbenden Faches Dichtkunst. Sie nimmt keinem etwas weg und bietet denen, die sich für besser halten als sie, viel Höhe, aus der sie sie herablassend und – die Dichter würden es nie zugeben – neidisch betrachten ob ihres kommerziellen Erfolges.

AW macht gewiss unwichtige Gedichte, aber wo gibt es noch wichtige heutzutage, abgesehen von Herrn Grass aktuellem stilistischen Verbrechen mit wahrem Inhalt? Ich kenne jedenfalls gegenwärtig keinen Dichter mehr, der noch jemand anderem wichtig wäre als sich selbst.

Es gibt immer zu viele Gedichte über Bäume, aber zu wenige über die Wurzel. Aber die behandelt nicht mal der dichtende Dentist.

Emely Nakapagorn
7 Jahre zuvor

Was soll man denn alles immer neu beschreiben können?
Frau Allert Wybranietz hat schöne Worte gefunden in ihren Gedichten und das soll ihr
einmal einer nachmachen.
Es würde mich interessieren, ob Frau Wybranietz noch am Leben ist – da man seit
2004 nie mehr was von ihr gehört hat.
Oder sie ist ausgewandert. Nach China vielleicht?
Alles Liebe ihr von Herzen.
Emely

Tina Bartz
Tina Bartz
2 Jahre zuvor

Hallo Herr Herholz,

ich kann ihre Beurteilung nachvollziehen. Ich war Post- und Paketzustellerin und auf meinen Touren, haben mich Goethe, Rilke… etc. begleitet.
Mir kam der Gedanke, ob es an der Zeit, in der die Poeten, Dichter und jetzigen Lyriker leben, liegen könnte.
Sind wir heute nicht von so vielen Eindrücken abgelenkt, es piept, es blinkt, das Handy klingelt…der Alltag ist hektischer geworden. Technologie übernimmt auch das selbständige Denken und doch wird es kein Zurück geben .. im Moment noch … . Die Verbundenheit mit der Natur, die Langsamkeit des Alltages, Einsamkeit ( ich war sehr erstaunt als ich kürzlich las, dass in den 1960 ern nur 2 Milliarden Menschen auf der Erde lebten ), brachten diese Lebensumstände ev. anderes in ihnen hervor? Ich empfinde einen Verlust der Kommunikation, der Sprache, um Verbindung zum Anderen aufzunehmen, in unserer heutigen, schnellebigen Zeit. Mir gefällt zum Beispiel die Werbung von Thalia:
Lade dich nicht mit Kabeln auf, sondern mit Kapiteln
Der Überbegriff der Marketingkampagne ist: Welt bleib wach
Auf der Suche, davon ein Bild weiterzuleiten, stieß ich auf einen Kommentar eines Autors, der die Kampagne verriss, mit der Begründung, er wolle nicht, dass seine Leser wach bleiben. Sie sollen sich schließlich in seinen Texten verlieren, darin eintauchen und dem Alltag entfliehen.
Das ließ mich nur kopfschüttelnd zurück, denn darum geht es doch gar nicht.
Es geht darum, dass wir nicht aufhören selber zu denken.
Man sagt:
Und erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.
In einem Video las ich , bevor das Interview begann
Es kommt immer anders, wenn man denkt….

Ich schweife mal wieder ab, vielleicht lesen sie das auch nie, aber es tut mir gut!!!
Als ich mich von meinem Ehemann getrennt habe und ich bin jetzt seit 30 Jahren mit unserem damaligen, gemeinsamen Freund verheiratet, halfen mir in meiner Verzweiflung Zitate und Gedichte von Kristiane Allert – Wybranietz.

Verliebt

Deine Worte,
deine Gesten
fallen
in mein Herz
wie Samenkörner.

Und ich
spüre es
in meinem Herzen
wachsen.

Meine Schwester widerum, half mir und sich mit einem Gedicht von Rilke aus unserer symbiotischen, destruktiven Beziehung zu kommen und den Kontaktabbruch zu verstehen.

Die Schwestern

Sieh, wie sie dieselben Möglichkeiten
anders an sich tragen und verstehn,
so als sähe man verschiedne Zeiten
durch zwei gleiche Zimmer gehn.

Jede meint die andere zu stützen,
während sie doch müde an ihr ruht;
und sie können nicht einander nützen,
denn sie legen Blut auf Blut,

wenn sie sich wie früher sanft berühren
und versuchen, die Allee entlang
sich geführt zu fühlen und zu führen:
Ach, sie haben nicht denselben Gang.

Rainer Maria Rilke, Frühsommer 1908, Paris

Mit freundlichen Grüßen
Tina

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