Nach der Veröffentlichung seines Berichts über die künftige Wettbewerbsfähigkeit der EU sagte der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, er habe „Albträume“ darüber, was mit der Wirtschaft des Blocks in Zukunft passieren könne. Draghis Sorge bezog sich auf die sehr reale Möglichkeit, dass die EU weiter hinter die USA zurückfallen und von China überholt werden könnte. Doch, was hält Europa zurück? Von unserer Gastautorin Sabine Beppler-Spahl.
Strukturelle Probleme, die gelöst werden müssen, spielen zweifellos eine Rolle. Doch ein wichtiger Faktor kommt hinzu: Die Ablehnung dessen, was Europas Fortschritt und Wohlstand überhaupt erst ermöglicht hat. Seit einigen Jahren ist in öffentlichen Debatten- und vor allem in akademischen Kreisen- die zentrale Rolle des Wirtschaftswachstums heruntergespielt worden. Der Zusammenhang zwischen Wohlstand und westlicher Zivilisation wird hinterfragt. Gefordert wird eine Entschleunigung. Gleichzeitig werden die Errungenschaften der westlichen Zivilisation immer stärker kritisiert und deren Schattenseiten hervorgekehrt.
Dabei ist kaum abzustreiten, dass die westliche Zivilisation sowohl die Ursache als auch die Konsequenz des erstaunlichen Erfolgs der europäischen Volkswirtschaften in den letzten Jahrhunderten war. Seit der Zeit der Renaissance wurde dieser Erfolg – in einem größeren Ausmaß als je zuvor- durch die freie Meinungsäußerung und den sozialen Wandel befördert. Teil dieses Erfolgs waren eine Reihe von industriellen Revolutionen, die den Lebensstandard und die Lebenserwartung verbessert haben. Befreit von der Mühsal, alle Kraft für den Lebensunterhalt aufzuwenden, konnten Millionen von Menschen ein längeres, erfüllteres Leben führen. Dieser Überfluss und diese Freiheit machten die westlichen Gesellschaften lange Zeit zu einem Vorbild für andere.
Die Skepsis gegenüber dem Wirtschaftswachstum und der Industriegesellschaft haben seit den späten 1960er Jahren an Boden gewonnen. Kritiker weisen auf die ungleiche Verteilung von Vermögen hin, die zu Ungerechtigkeiten führt. Doch unbestreitbar ist, dass der Lebensstandard für viele Millionen trotz dieser Ungleichheiten immer weiter angestiegen ist. Überall – vor allem in den Ländern Mittel- und Osteuropas – geht es den Menschen heute besser als vor noch zwanzig oder dreißig Jahren. Die in der westlichen Welt so beliebte „Degrowth-Ideologie“ stößt gerade hier bei nur sehr wenigen auf Verständnis.
Vor allem in Deutschland treten nun die Folgen der jahrelangen Wachstumsskepsis deutlich zum Vorschein. Die einst stolze Industrienation spürt den Druck des internationalen Wettbewerbs. Sie hat jedoch in den letzten Jahren auch Entscheidungen getroffen, die die Wettbewerbsfähigkeit zusätzlich geschwächt haben, vor allem in der Energiepolitik. Die Regierungen hingen offenbar dem Glauben an, dass das Schrumpfen unserer Volkswirtschaft sowohl für uns als auch für den Planeten von Vorteil sei.
Diese irrige Vorstellung hat nicht nur in Deutschland Unterstützung in etablierten Kreisen erhalten. Auch in der EU verfolgte man, zumindest bis zur Niederlage der Grünen bei den letzten Wahlen im Juni, eine ähnliche Strategie. Noch im Mai letzten Jahres organisierte sie eine hochkarätige Konferenz mit dem Titel „Beyond growth“ („Jenseits des Wachstums“), bei der das Wirtschaftswachstum als Problem dargestellt wurde.
Begründet wird diese Einstellung häufig mit dem fortschreitenden Klimawandel. Wer Wachstum fordert, so hört man oft, leugne den Klimawandel. Das frustrierende an dieser Argumentation ist, dass sie die Probleme eher verstärkt als löst. Wenn wir den Klimawandel unter Kontrolle bringen wollen, benötigen wir mehr Wachstum und nicht weniger. Trotz des Wirtschaftsabschwungs hat Deutschland erstaunlich wenig Fortschritte bei der Reduzierung seines C02 Ausstoßes gemacht. Kein Wunder, denn die tiefsitzende anti-Wachstumsideologie hat auch die Angst vor der Atomkraft befördert. Wer die Milliardenbeträge kennt, die die Energiewende verschlingt weiß, dass der Mythos, die Sonne und der Wind schickte keine Rechnungen nicht stimmt.
Gerade, wer auf alternative Energien setzt, müsste mehr, statt weniger Wirtschaftswachstum fordern. Eine energiereiche Welt, die einen besseren Lebensstandard für die gesamte Weltbevölkerung von acht Milliarden Menschen schaffen würde und gleichzeitig den C02 Ausstoß reduziere sei durchaus möglich, schreibt der österreichische Ökonom Ralph Schoellhammer. Er setzt auf Atomkraft, Wasserstoff, Solar usw. Degrowth aber bezeichnet er als eine selbstmörderische Ideologie.
Zu dem Thema „westliche Zivilisation“, „Degrowth“ und „Industrialisierung“ findet am 6. November (19.00 Uhr) in Berlin-Kreuzberg eine öffentliche Podiumsdiskussion statt.
Es sprechen: Prof. Cornelis J Schilt (Historiker, Universität Brüssel), Dr. Nikos Sotirakopoulos (Fellow Ayn Rand Institute, UK), Dr. Andreas Siemoneit (Physiker, Autor von: „Marktwirtschaft reparieren, oekom).
Infos hier: Has Europe given up on industrial society? – Battle of Ideas