Xavier Naidoo: Auftritt in Gießen, begleitet von Protest

Xavier Naidoo Foto: Mika Väisänen Lizenz: „CC BY-SA 3.0 de

Der Erfolg von Xavier Naidoo ist omnipräsent. Im Radio, im Fernsehen, in Zeitungen. Allerdings tut er sich nicht nur durch seine Musik hervor, sondern auch durch wiederkehrende Aussagen, die den geneigten Leser doch zweifelnd zurücklassen. Aussagen, die kontrovers diskutiert werden und die ihn in den Dunstkreis von Verschwörungstheoretikern rücken. Sein geplantes Konzert in Gießen wird von entsprechendem Protest begleitet.

Egal welcher Profession man nachgeht, ein Sprichwort sollte man immer beherzigen: Früh übt sich, was ein Meister werden will. Bei Xavier Naidoo trifft dies sowohl auf seinen musikalischen Erfolg zu, als auch auf die schiere Masse an verqueren Ideen, die er in der Vergangenheit vertreten hat. Und früh hat er angefangen. Das steht außer Frage. Eines seiner frühesten Interviews fand 1999 im Musikexpress statt, wo Naidoo bewies, dass er auch auf dem Gebiet abstruser Ideen ein Meister ist. So erklärt er doch, dass er aus der Bibel lese, Amerika würde untergehen. Aber nicht nur die:

„Nicht nur Amerika. Auch Frankfurt ist Babylon, London und Tokio. Babylon ist überall. Aber Amerika und Tokio sind ganz oben auf der Abschußliste.“

Na Halleluja! Der Messias ist gekommen. Schon wieder. Nur verwandelt dieser hier nicht Wasser in Wein, sondern ein normales Interview in ein Bullshit-Bingo. An Selbstreflexion mangelt es ihm allerdings nicht, weiß er doch genau, was der Beginn seiner spirituellen Reise für uns bedeutet:

„Kein Christ darf jemals das Datum der Apokalypse, des jüngsten Tages, ansetzen. Man hat aber entdeckt, daß das Armageddon 1992 begann. Davon bin auch ich überzeugt. Denn das war das Jahr, in dem ich erstmal ins der Bibel las.“

Liest man das Interview kommt man aus dem Verdacht nicht raus, dass Naidoo auch einen prima Messias abgeben könnte. Er arbeitet auch schwer daran, entsprechende Zielgruppen um sich zu scharen. Eine könnten die Leugner des menschgemachten Klimawandels werden:

„Der Wald stirbt nicht an meinem Benz oder an deinem Benz. Wir können uns doch nicht herausnehmen zu sagen, daß wir die Erde kaputt machen. Das wird nicht passieren. Die Erde wäre so oder so in diesem Zustand, weil wir in diesem Zustand sind. Selbst das Automobil ist in der Bibel beschrieben“

Auf die Frage, wo das genau stehe, meint Naidoo:

„Das steht an mehreren Stellen, in denen die Cherubime beschrieben werden. Für mich sind diese Engelsgeschöpfe die Automobile. Es gibt vier Arten von diesen Wesen – und wir haben vier Arten von Fortbewegungsmitteln auf der Erde. Ich bin überhaupt nicht gegen den Fortschritt. Dieser Fortschritt muß nur anerkennen, daß es einen Gott gibt.“

Das passiert mir auch ständig. Da sprichst du über den Cherubim und meinst eigentlich den Jeep Cherokee. Die Bibelstelle an der Jesus den Lahmen heilt, ist natürlich nur eine Metapher für den Abend, an dem Jesus in seinem Subaru diesen einen Typen anfährt und sprach: „Oh scheiße, du kannst nun wieder gehen, aber lass das bitte ohne Versicherung regeln, okay?“

Das Interview mit Naidoo gibt unglaublich viel her. Genug für einen eigenen Artikel. Nun ist dieses Interview mittlerweile 20 Jahre alt und ich würde gerne hoffen, Naidoo würde einige dieser Aussagen heute nicht mehr tätigen.

Naidoo und der 11. September

Seine Palette an fragwürdigen Aussagen ist allerdings in den letzten 20 Jahren stetig gewachsen. So hat er auch eigene Vorstellungen zu dem, was am 11. September wirklich in New York passiert ist. Verbalisiert werden sie in seinem Song „Goldwaagen“ aus dem Album „Alles kann besser werden“:

„9/11, London und Madrid – jeder weiß, dass Al Qaida nur die CIA ist… World Trade Center Nummer sieben – warum ist von dem Gebäude nichts mehr übrig geblieben?“

Seine Ansicht hat sich bis heute scheinbar nicht geändert, bekräftigte er die Verschwörungstheorie 2017 doch erneut:

„Ich leugne ihn nicht, glaube aber nicht, dass das so abgelaufen ist, wie es in den Medien und von der Politik dargestellt wurde. Die Achillesferse des Anschlags ist doch das 47-stöckige Bürogebäude neben den Türmen gewesen, genauer gesagt: Gebäude Nummer 7. Dieses Gebäude ist Stunden später eingestürzt. Das sah aus wie bei einer kontrollierten Sprengung. Daran gibt es nichts zu deuten.“

Wer hat Schuld an der Misere? Die geheime Weltregierung!

Selbstverständlich darf in einem wahren Potpourri kruder Ideen die Frage nach dem Anführer nicht fehlen, dem man die Schuld für quasi alles in die Schuhe schieben kann. Schaut man sich die Lyrics seines Songs „Marionetten“ an, kriegt man auch schnell eine Idee, um wen es sich da handeln könnte:

„Ihr wart sehr böse und steht bepisst in euren Socken, Baron Todtschild gibt den Ton an und er scheißt auf eure Gockel. Der Schmock is’n Fux und ihr seid nur Trottel”

Ein Mensch, bei dem Naidoo mit seinen Ideen offene Türen einrennt, ist Oliver Janich, seines Zeichens Journalist, Autor und Verschwörungstheoretiker mit dem Glauben an eine geheime Weltregierung, die uns alle beherrschen soll.  Er und Naidoo ließen sich 2014 von den „Sons of Libertas“ interviewen. Janich schien einen solchen Eindruck auf Naidoo gemacht zu haben, dass dieser in seinem Song „Die Wahrheit“ explizit eine Empfehlung für Janichs Buch ausspricht:

„[…] es gibt ein Buch von Oliver Janich, das heißt: „Die Vereinigten Staaten von Europa“ – lest mal nach, so seh‘ ich’s auch!“

Deutschland ist besetzt. Oder doch nicht?

Da bei Naidoo anscheinend keine Verschwörungstheorie unbedient bleibt, ist er ebenfalls der Meinung, Deutschland sei kein souveräner Staat und stehe nach wie vor unter Besatzung. Man kennt diese Idee auch als „Reichsbürgerbewegung“. 2011 erklärte er im ARD Morgenmagazin:

„Wir sind immer noch ein besetztes Land, Deutschland hat keinen Friedensvertrag und dementsprechend ist Deutschland auch kein echtes Land und nicht frei.“

Bisher scheint sich auch an dieser Meinung nicht viel geändert zu haben, erklärte er doch zuletzt 2017 im Stern:

„Nein, es ist keine Verschwörungstheorie. Der Historiker Prof. Dr. Josef Foschepoth ist den geheimen Vereinbarungen zwischen den Amerikanern und der Bundesregierung nachgegangen. Sie existieren wirklich. Danach dürfen die Amerikaner uns überwachen. Deutschland ist insoweit kein souveränes Land, wir sind nicht frei.“

Naidoo selbst distanziert sich allerdings ausdrücklich von den Ideen der Reichsbürgerbewegung:

„Ich habe auch immer betont, dass ich die Auffassung der sogenannten Reichsbürger nicht teile, von denen ich mich auch öffentlich deutlich distanziert habe“

Die bisherigen Beispiele sind nur eine Auswahl aus der Vielzahl an Ideen, die Naidoo in den letzten Jahren öffentlich präsentiert hat. Eine vollständigere Liste lässt sich dieser Stellungnahme der GWUP Mittelhessen entnehmen.

Der Protest kommt mit schnellen Schritten

Seiner Beliebtheit scheint das allerdings nur einen kleinen Abbruch zu tun. Während Institute wie die Popakademie Mannheim aufgrund seiner wiederholten Aussagen reagiert und ihm den Lehrauftrag entzogen hat, halten viele seiner Fans noch treu zu ihm. Heute Abend (31.08.2019) tritt Naidoo nun im Rahmen des Gießener Kultursommers auf. Im Vorfeld formierte sich allerdings eine Gegenbewegung bestehend aus dem studentischen Aktionsbündnis gegen Antisemitismus und der Regionalgruppe der GWUP, die das Ziel haben, auf seine Äußerungen in der Vergangenheit aufmerksam zu machen. Ein breites Bündnis aus Lokalpolitik und Zivilgesellschaft unterstützt diesen Protest, so z.B. die Deutsch-Israelische Gesellschaft e.V. AG Gießen oder auch die Grüne Jugend Gießen.

Die studentische Initiative gegen Antisemitismus wurde 2017 ins Leben gerufen und setzt sich überwiegend aus Studenten der JLU-Gießen zusammen. Sie sehen ihr Ziel in Bildungsarbeit um auf verschiedenste Formen von Antisemitismus aufmerksam zu machen.
Auf Naidoo angesprochen, erklärt die Initiative:

„Selbst wenn Xavier Naidoo keiner seiner antisemitischen Texte auf dem Kultursommer singen wird ist es dennoch nicht hinnehmbar, dass sein Auftritt (gesponsert durch Stadt und Uni u.a.) kritiklos von statten geht. Es ist ein Statement, dass ein Künstler, der explizit verschwörungstheoretische und antisemitische Codes in seinen Liedtexten verwendet kritiklos eingeladen wird. Dies bringt uns die bittere Erkenntnis, dass Antisemitismus in der Mitte bzw. im Mainstream der Gesellschaft zumindest akzeptiert wird. Insbesondere der sekundäre Antisemitismus ist eine Form, bei der eine Erinnerungsabwehr einsetzt. Der Holocaust wird hierbei durch eine nicht vorhandene gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus relativiert („Schluss-Strich- Mentalität“). Dieses Nichtbeachten muss thematisiert und aufgezeigt werden um Antisemitismus zu verstehen, selbst wenn bestimmte Texte nicht gesungen werden. Auf der Bühne steht ja nicht nur ein „kontextloser Text“, sondern eine Person, die für bestimmte Haltungen und Aussagen steht.“

Auf die Frage, wie das Bündnis gedenkt, eine Aufmerksamkeit für Naidoos Texte zu schaffen, erklären sie:

„Unsere Forderung ist nicht die Absage des Konzertes, dafür sind wir zu realistisch. Wir möchten eine Auseinandersetzung. Im Besten Fall von allen Sponsoren, was bis jetzt ausblieb. Die Analyse seiner Texte, die wir veröffentlicht haben und der offene Brief, der breite Unterstützung von verschiedenen Organisationen sucht, sind unsere Formen der Öffentlichkeitsarbeit.“

Ähnlich fällt auch die Einschätzung der GWUP Mittelhessen aus:

„Wir gehen davon aus, dass das Konzert stattfinden wird, für eine Absage dürfte es schlicht zu spät sein bzw. der wirtschaftliche Schaden dürfte zu groß sein. Aber wir halten es für wichtig, im Vorfeld über die problematischen Texte und Äußerungen Xavier Naidoos aufzuklären. Evtl. setzen sich die Organisatoren des Kultursommers dann in Zukunft im Vorfeld mehr mit den eingeladenen „Künstlern“ auseinander“

Eine Anfrage an die Pressestelle des Gießener Kultursommers bezüglich ihrer Gedanken zu Naidoos Auftritt blieb bisher unbeantwortet. Allerdings erklärte der Veranstalter des Kultursommers, Dennis Bahl, in einer Stellungnahme für die Gießener Allgemeine:

„Xavier Naidoo ist einer der erfolgreichsten und beliebtesten Künstler Deutschlands. Wir sind froh, dass wir ihn für den Gießener Kultursommer gewinnen konnten und freuen uns sehr auf einen seit langem ausverkauften Konzertabend“

Zudem führt er weiter aus:

„Xavier Naidoo hat die jetzt wieder angesprochenen gegen ihn erhobenen Vorwürfe mehrfach zurückgewiesen“

Das Konzert wird stattfinden. Die Debatte über die Äußerungen Naidoos geht weiter. Am Ende ist es die Entscheidung eines jeden einzelnen, inwiefern er bereit ist, Kunst und Künstler zu trennen und seine Aussagen zu bewerten. Aber eine Sache steht jetzt schon fest, Naidoo wird nicht zum letzten Mal polarisiert haben.

Disclaimer: Der Autor Sebastian Schmalz war in der Vergangenheit mehrfach als Referent an Veranstaltungen der GWUP Mittelhessen beteiligt

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