Zohar Fraiman in Viersen: Malerin öffnet Berliner Atelier

Zohar Fraiman in ihrem Berliner Atelier, Foto: Anna Maria Loffredo

Kunst kommt von Klotzen, nicht von Kleckern. Die Malerin Zohar Fraiman ist auf die Deadline genau strukturiert, ordentlich und zielorientiert, obendrein achtsam, bodenständig und erfrischend höflich – nicht das Klischee von kreativem Chaos? Das Atelier in Berlin, die Ausbildung in Jerusalem, die aktuelle Einzelausstellung in Viersen, die nächste Gruppenausstellung in Paris, nur um einige der kosmopolitischen Knotenpunkte – der gemeinsame Atemzug wird Viersen freuen – in Fraimans demütigen Selbstverständnis als Künstlerin zu nennen; zu Besuch in Berlin bei Zohar Fraiman.

„Guten Abend Berlin, du kannst so hässlich sein, so dreckig und grau, Du kannst so schön schrecklich sein“, summe ich an der U8-Endstation. „Schön, dass Du da bist“ empfängt mich Zohar Fraiman und führt mich in ihr Atelier. Großzügig geschnitten hört man drinnen kaum etwas vom Diversity-Kiez. In einer ehemaligen Moschee sind mehrere solcher geräumiger Arbeitsmöglichkeiten für Bildende Künstler geschaffen worden.

Es gibt Tee und Crémant, kein einziger Schluck schafft es über unsere Kehle. Wir reden, ohne jeglichen Kredit gegenzurechnen. Ein Blick durch den Raum genügt: „Wo nimmst Du all Deinen Mut her, Dich an die ganz Großen zu wagen?“ Zohar Fraiman lacht, als ich respektvoll vor ihrer brandneuen Arbeit stehe. „Heute fertig geworden“, sagt sie sichtlich zufrieden und ordnet ein „ja, das ist für die Pariser Ausstellung.“

Das großformatige Gemälde zeigt Ikonen der Pop-Geschichte, die Spice Girls, kombiniert mit der Ikone der Kunstgeschichte, die einst Picasso schuf, Les Demoiselles de Avignon. Bildzitate sind ein charakteristischer Zug in Fraimans Malerei. Nicht nur das verwurzelt die Gemälde in eine vielschichtige Tiefgründigkeit ihrer malerischen Reflexion der Gegenwart, wie auch Fraimans Galeristin Priska Pasquer über die aufstrebende Malerin bei Ruhrbarone im Podcast erzählt. Es ist eine treffsichere Balance, Schmelz- und Kipppunkt mit dem Pinsel zu bestimmen, um neue Perspektiven auf der Leinwand zu schaffen.

Picasso schuf zentrale Wendepunkte in der Moderne mit diesen zackigen Frauenkörpern fern jeder Konvention. Auch Fraimans visuelle Sprache ist ihr Kanal, um herkömmliche Auffassungen von Schönheit und weiteren großen Themen in Kunst und Gesellschaft zu fragmentieren und ein klein wenig „verrückt“ vom Bekannten wieder zusammenzusetzen. Oder wie man in der digitalen Sprache sagt: Es handelt sich um ein Glitch in Fraimans analoger Maltechnik. Ohne zu wissen, dass Picasso mit der Pariser Ausstellung am 12.Oktober so präsent in ihr Leben drängen würde, erwähne ich: „Ist es nicht sonderbar, dass Du auch eine Blaue Phase hattest?“„Du hast Dich ganz schön vorbereitet“, zwinkert sie.

Ausstellungsansicht „Viral Rival“ der Petersburger Hängung in Viersen, Foto: PRISKA PASQUER GALLERY

1987 wird Zohar Fraiman in Jerusalem geboren und sie drückt sich schon früh malerisch aus. Im Alter von 15 Jahren steht ihr Entschluss fest, Künstlerin zu werden. Kein Berufsziel, mit dem Eltern gern bei ihren Kindern rechnen. Selbstbestimmt und zielstrebig meldet sich Fraiman bei einem Propädeutikum, einer Art Vorkurs in einer Abendschule an und sie wird 2005 die jüngste Studentin an der Jerusalem Studio School. Streng akademisch geschult gelingt ihr der Wechsel in das pulsierende Zentrum zeitgenössischer Kunst. Berlin ist aber auch ein hedonistisches Miststück. Statt mit Attitude und Stuss zu brillieren, bleibt Zohar Fraiman bei sich und schließt 2015 als Meisterschülerin ihr Malereistudium ab.

„Ich fühle mich geehrt, dass ich über Kunst mit Menschen zusammenkomme und sie mir in meinen Malereien begegnen können. Das ist ein Privileg, davon leben zu können. In Paris stelle ich beispielsweise neben Leiko Ikemura aus, die wie ich mal an der UdK war, sie war Professorin, ich Studentin. Radenko Milak und Aljoscha sind auch großartige Künstler, deren Perspektiven ich sehr schätze.“ Bescheiden vergisst die 36jährige Malerin den Anlass meines Atelierbesuchs. Schließlich hat sie aktuell eine eigene Einzelausstellung, „Viral Rival“ in der Städtischen Galerie im Park in Viersen. Prompt erfahre ich von Fraiman, dass sie eine weitere in Erlangen haben wird.

„Wie entscheidest Du, nicht zu viel zu hängen, auch nicht zu wenig, genau an die richtige Stelle, damit Besucher deine einzelnen Arbeiten zum Ganzen Deines Malkonzepts verstehen können?“ „Ich baue mir Modelle.“ Und schon stehe ich in Berlin quasi mitten in Viersen und laufe dort ihre Petersburger Hängung gedanklich ab.

Zohar Freiman in ihrem Atelier bei ihren Modellen der Ausstellungsräume, Foto: Anna Maria Loffredo

Über den Hinweis des Kurators Thibaut de Ruyter, der selbst Architekt ist und mit dem sie die Ausstellung erarbeitet hat, lässt sich Fraiman zunächst den Grundriss der Ausstellungsorte schicken. Aus Finnpappe und Flüssigkleber erhält sie ein effektives Werkzeug, um maßstabsgetreu mögliche Szenarien ihrer dreidimensionalen Minisicht der Dinge zu erkunden. Ähnlich arbeitet Fraiman in digitalen Simulationen am Computer heraus, warum sie das tut, was sie tut, damit Autor, Werk und Betrachter eine nachhaltige Begegnung gewinnen.

Gute Kommunikation ist Fraiman ein zentrales Anliegen. Das setzt eine lustvolle Anstrengungsbereitschaft voraus, einander zuhören und verstehen zu wollen. Ihre Malereien sind Einladungen zum gepflegt-kritischen Gespräch, das im digitalen Zeitalter des World Wide Web paradoxerweise keine Kulturtechnik über Grenzen hinaus mehr scheint.

„Ich mag die Arbeiten, die in Viersen von der Decke hängen. Du suchst nach Allansichtigkeit in Deiner zweidimensionalen Malerei.“ „Du meinst die Masken?! Ja, mir geht es um das Partizipative in meiner Kunst. Die Betrachter sollen einbezogen werden in das Werk“, erklärt die Ölmalerin ihren Ansatz, die Wandfläche zu verlassen. Zusätzlich steigern wandfüllende Spiegel den Blick in die repräsentativen Räume der Viersener Klassizismus-Villa.

Ausstellungsansicht „Viral Rival“ von Zohar Fraiman in Viersen, Foto: PRISKA PASQUER GALLERY

Was sehe ich und was sehe ich aufgrund dessen alles nicht? Ihre Bilder führen menschliche Verhaltensweisen im Tik Tok-Zeitalter vor Augen. Es herrscht eine Aufmerksamkeitsökonomie, bei der Clicks und Likes dem Hier und Jetzt das Wesen entziehen. Oder wie der Architekt Georg Franck beschreibt: „Die Reduktion der Aufmerksamkeit auf eine Währung erzeugt eine Art Seelenblindheit.“ Fraiman ermöglicht in ihren Malereien spielerisch eine Beobachtung zweiter Ordnung und macht damit den blinden Fleck sichtbar. Genauso gibt es ein Stand in Photo im Raum, bei der Besucher ihre Köpfe hindurchstecken und Teil ihres Gemäldes werden können.

Ausstellungsansicht Rückseite Stand in Photo „Viral Rival“ in Viersen, Foto: PRISKA PASQUER GALLERY

Abgedroschen oder nicht, Malerei ist Fraimans Sprache. Dafür benutzt sie nicht nur ein Alphabet. Es braucht mehr als einen Blick, um die komplexen Anspielungen zu decodieren. Zwischen Früher und Heute changiert die Malerin gekonnt auch im persönlichen Austausch, ein substanzielles Gespräch ab der ersten Minute. Das malerische Konzept von Zohar Fraiman besteht aus mehr als nur bunten Disneyfiguren. Ganz oft tauchen Bild-in-Bild Bezüge auf, allein schon durch das Handy-Display als wiederkehrendes Motiv.

Stillleben in Zohar Fraimans Ausstellung „Viral Rival“ in Viersen, Foto: PRISKA PASQUER GALLERY

Noch mehr Deutungsebenen treten durch räumliche Unstimmigkeiten bei gleichzeitig hohem Ikonizitätsgrad in der anatomischen und zeichnerischen Richtigkeit hinzu. Kategorisiert man vorschnell Fraimans Arbeiten nur als Personendarstellungen und davon reichlich genug weibliche Akte, im Frühwerk gern pornös mit eingeführten Bananen, oder Porträts, übersieht man ihre Stillleben in Vanitas-Manier oder auch die atmosphärischen Raumdarstellungen. Eigentlich eine Gattung, die man mit Van Gogh oder Hopper assoziiert. Besonders sticht ihr Gespür für Komposition hervor, um die Teile zum Ganzen gleichsam stimmig und brüchig zusammenzuführen. Das macht Fraiman zu einer cross-kulturellen Erzählerin, die tief verwurzelt in den Errungenschaften des kulturellen Gedächtnisses steht, ohne eine ahistorische Belehrung über die ach so postkoloniale Gegenwart zu verfassen.

Zohar Fraiman im Berliner Atelier, Foto: Anna Maria Loffredo

Als Zohar Fraiman unaufgefordert erzählt, warum sie wiederholt Zitate aus der Kunstgeschichte neben der Comicwelt aufgreift, erwähnt sie alle ehrwürdigen italienischen Meister, die ich mir nur wünschen könnte: Fra Angelico, Massaccio, Tizian ja eh, Giotto. Sie geht zum Bücherregal und zieht treffsicher einen Band über Piero della Francesca hervor. Ich sehe sofort sein Diptychon des Federico da Montefeltro mit seiner Gattin Battista Sforza vor meinem inneren Auge, während ich Zohar Fraimans versunkene Begeisterung über italienische Renaissancekunst mit dem Gebot zur journalistischen Neutralität beobachte. Scusa, aber nun mal ganz objektiv und sachlich betrachtet, das ist höhere Kunst.

Fraiman erregt an der italienischen Malkunst ihre Finesse der Tiefenräumlichkeit, ihr reliefartiger Eindruck im Zuge einfachster illusorischer Mittel der Personenstaffelung und die Transparenz der Farben, in denen das Licht seinen Glanz ausbreitet und Fläche zu unendlichem Raum wird. Zwischen Buch und Fraimans Gemälden im Atelier springen wir hin und her, vergleichen Ansätze, entdecken Gemeinsamkeiten, freuen uns über geteilte Leidenschaften.

Teilen wir denn auch dieselbe Erfahrung, dass es ein bestimmter Lehrer war, der den gewählten Lebensweg entscheidend geprägt hat? „Das habe ich mich noch nie gefragt“, überlegt die Künstlerin. Das muss Fraiman auch nicht, weil sie die seltene Fähigkeit besitzt, sich selbst die beste Lehrerin zu sein.

Wenn Demut diejenige Tugend ist, die in der Berliner Kulturszene von lauter Selbstüberschätzung bei nicht ordnungsgemäßer Pronomenverwendung niedergebrüllt wird, dann besitzt Zohar Fraiman eine leise, aber sehr wohl selbstbewusste Haltung. Bescheidenheit, Selbsterkenntnis und die Anerkennung einer höheren Ordnung kommen in unserem Gespräch ehrlich zum Ausdruck. Fraiman verneigt sich vor der Kunst, wie eine Balletttänzerin vor jedem Training knickst. Im Wissen um die eigenen Grenzen und Unvollkommenheiten doch der schönsten Version ihrer Selbst nachzueifern, scheint Fraiman in ihren Ölmalereien den Ort gefunden zu haben, der für sie innerer Frieden bedeutet.

Dieser Atelierbesuch war für mich eine intellektuelle, künstlerische und zwischenmenschliche Bereicherung. Zohar Fraiman ist ein Kristall der zeitgenössischen Kunst, die nicht nur Farben auf der Leinwand, sondern in ihrer künstlerischen Haltung zum Leuchten bringt.

Eine Erwähnung zum Schluss, weil es oft übersehen wird: Zohar Fraimans Malereien sind von den Grafikdesignern Tilman Bechthold & Felix Neumann im limitierten und signierten Band „self-ish“ (2022) mit einem Text von Mirna Funk besonders gelungen gesetzt worden; ein paar Exemplare gibt es noch.

Zohar Fraimans Malpalette im Berliner Atelier, Foto: Anna Maria Loffredo

 

  • Vom 8. September bis 3. November 2024 präsentiert die Städtische Galerie im Park in Viersen die Einzelausstellung „Viral Rival“ von Zohar Fraiman, kuratiert von Thibaut de Ruyter.
  • Am 12. Oktober zeigt Zohar Fraiman in der Gruppenausstellung „Timeless innovation – Innovation Intemporelle“ ihre Werke in Paris bei Beck & Eggeling International Fine Art and PRISKA PASQUER PARIS.
  • Nächste Einzelausstellung 2025: „You-phoria“ von Zohar Fraiman im Kunstpalais Erlangen, kuratiert von Malte Lin Kröger.

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