Der ÖPNV im Ruhrgebiet ist ja bei den Ruhrbaronen immer wieder ein besonders heiß diskutiertes Thema. Auch deshalb, weil die meisten Verkehrsunternehmen im Pott nur rund um den eigenen Kirchturm unterwegs sind. So jedenfalls einer der Hauptkritikpunkte. Eine durchaus löbliche Ausnahme ist da die BOGESTRA. Dieses Unternehmen wurde 1896 in Berlin von den Städten Bochum und Gelsenkirchen sowie dem Unternehmen Siemens gegründet, dessen Gründer Werner Siemens auf der Berliner Gewerbeausstellung 1879 die erste elektrische Bahn fahren ließ – immerhin 90.000 Besucher sollen sich in vier Monaten die 300m im Kreis haben fahren lassen.
Von unserem Gastautor Thomas Weigle
Noch war Strom nicht weit verbreitet, erst in den 1889er Jahren begann der Siegeszug der Elektrizität. Neben der der Industrie wurden auch immer mehr Privathaushalte an das Stromnetz angeschlossen-jedenfalls in den (Groß)Städten. Die Firma Siemens&Halske baute 1894-1896 die erste U-Bahn des Kontinents in Budapest, die rechtzeitig zur Milleniumsfeier 1896 in Ungarns Hauptstadt eingeweiht wurde. Ab 1896 baute die Firma auch die erste U-Bahn in Berlin, die 2002 eingeweiht wurde, nein, 1902 natürlich, war ja nicht der BER: von der Warschauer Straße zum Potsdamer Platz bzw. zum Bahnhof Zoo. Am Gleisdreieck-noch ohne Bahnhof ,verzweigte sich die Linie.
Die erste elektrische Straßenbahn im Deutschen Reich fuhr dagegen schon 1884 zwischen der Alten Brücke in Frankfurt und dem Mathildenplatz in Offenbach. In der Folge wurde in vielen Städten bisherige Pferdebahnen auf Strom umgestellt und die bisherigen Netze erheblich erweitert bzw. wo solche nicht vorhanden waren, aufgebaut.
An der Stadt Offenbach lässt sich übrigens der teilweise Niedergang der Straßenbahnen in der Bonner Republik ablesen. Konnte man in meiner Kindheit in OF noch quer durch die Stadt mit der Tram fahren, so endet die älteste Straßenbahnlinie Deutschlands heute an der Stadtgrenze zwischen Offenbach und Frankfurt, OF ist schienenfrei in Bezug auf die Tram, während in FFM kein Politiker mehr an das Stilllegen von Straßenbahnen denkt, nachdem das Konzept der schienenfreien Innenstadt des CDU-OB Brück in den 80ern am Widerstand der Bürger und des RP(!!) scheiterte.
Interessant ist der Blick in die Geschichte der BOGESTRA, so erfährt der interessierte Leser in Band 1 der Zeitreise, der leider vergriffen ist, dass die BOGESTRA im 1.Weltkrieg nicht nur Schaffnerinnen einstellte, Frauen standen auch an der Kurbel im Führerstand. Die BOGESTRA teilte damals u.a. mit: „Die Zeitverhältnisse bedingen ebenso, wie bei vielen es bereits geschehen ist, auch bei uns die Einstellung weiblicher Wagenführer…Es werden selbstverständlich nur einzelne Linien mit weiblichen Wagenführern befahren werden, nachdem diese sehr eingehend ausgebildet sind. Es hat sich bei den großen Bahnen, wie Berlin, Düsseldorf, Köln usw, bereits gezeigt, daß wie bei Schaffnerinnen die Frauen auch den Wagenführerdienst auszuüben wohl imstande sind.“ So ganz traut man der Sache nicht, deshalb werden die Kunden freundlich ermahnt: „Wir hoffen daher, daß auch hier das Publikum mit dieser Neueinrichtung sich schnell vertraut machen wird und insbesondere nicht etwa derselben mit einem gewissen ängstlichen Mißtrauen entgegenstehen wird. Auch hoffen wir, daß den Frauen, die in dieser Stellung den zur Zeit so harten Kampf ums Dasein aufnehmen, das Publikum das nötige Verständnis entgegenbringen und Belästigungen vermeiden wird.“ Nach dem Kriegsende und der Revolution wurden die Frauen dann wieder an ihren Platz im Haus verwiesen. Frauen an der Kurbel? Von wegen! Noch 1953 stoppte die West-Berliner Schupo Oststraßenbahnen an der Sektorengrenze, da im damaligen Westberlin solch emanzipatorisches Tun, also Frauen im Führerstand, verboten war.
Zunächst aber brachten Inflation und die Besetzung durch Franzosen und Belgier zwecks Sicherstellung der Reparationszahlungen neue Schwierigkeiten und bedingten teilweise Streckenstilllegungen, Ausdünnung des Betriebes und Entlassungen. Es dauerte, ehe sich nach Ende der Besatzungszeit und Einführung der sog. Rentenmark die Verhältnisse stabilisierten, ehe der Beginn der 1000 Jahre v.a. dann im Krieg neue Unruhe und vielfältige Zerstörungen brachte. Die Unruhe in den kommunalen Verkehrsbetrieben reichsweit entstand dadurch, dass die braunen Machthaber ihre Leute, egal wie unfähig, an die Stelle von Fachleuten, die politisch oder rassisch nicht länger genehm waren, an deren Stelle setzten. Wissenschaftlich ist das noch nicht landesweit aufgearbeitet. Mir liegt eine solche sehr umfangreiche Arbeit nur zu Hamburg vor, die zum hundertjährigen Jubiläum 2012 der Hamburger Hochbahn von dieser in Auftrag gegeben wurde.
Auch die Nazis, die der Frau ja regierungspolitisch den Platz im Haus zuwiesen, waren nach Beginn ihres Eroberungs-und Ausrottungsfeldzuges genötigt, dem Haus die Hausfrau zu entreißen und stellten ab 1943 erneut auch Frauen in die Führerstände der BOGESTRA-Bahnen, Zuvor schon waren u.a. auch Frauen als Schaffner eingesetzt, die schon im 1.Weltkrieg Berufserfahrung sammeln durften.
Dass Weltkrieg Zwei erhebliche Schäden dem BOGESTRA-Liniennetz zufügte, muss nicht detailliert beschrieben werden. Immer wieder mussten Streckenteile gesperrt werden.Obwohl die Schäden gewaltig waren, konnte bereits Ende Mai 1945 ein erstes Teilstück wieder befahren werden, dennoch war erst 1947 das Netz wieder zur Gänze befahrbar.
1939/40 kam die Gefahr jedoch zunächst aus dem Osten. Eine lange Kälteperiode hielt das Reich in Griff, ebenso 40/41. Die Volksgenossen räumten zwar die Gehsteige von Eis und Schnee frei, kippten aber den geräumten Schnee gedankenlos auf Schienen und Straßen, was natürlich die Verkehrslage zusätzlich erschwerte.
Der große Andrang auf die Straßenbahnen nach der Befreiung konnte nur mühselig bewältigt werden, waren doch zahlreiche Wagen der Straßenbahn völlig zerstört bzw. noch nicht wieder einsatzfähig.
Natürlich wird auch die Zeit vor Gründung der BOGESTRA, die 1896 von Bochum, Gelsenkirchen und der Firma Siemens&Halske in Berlin gegründet wurde, erwähnt. Die vielfältigen Versuche Pferde-und Straßenbahnen zu gründen finden Erwähnung. Auch wird noch ein kurzer Blick in die Postkutschenzeit geworfen. Wir erfahren, dass „auf hohe Anordnung“ hin 1838 zweimal wöchentlich eine Kariolpost zwischen Bochum und Wattenscheid eingerichtet wurde, die bis zu vier Personen befördern konnte.
Der Wiederaufbau und Ausbau zur modernen Stadtbahn wird ausführlich geschildert und durch zahlreiche Fotos gut dokumentiert. Die Zeit vor dem 2. Weltkrieg und noch weiter zuvor kommt bildmäßig ebenfalls nicht zu kurz.Karten runden das Lesevergnügen auch für den nicht unbedingten Kenner des Ruhrgebietes ab. Sehr schön ist gleich zu Anfang des Buches die schematische Darstellung der Linie 302, der man viel Wissenswertes über Verlauf, Verzweigungen und Kreuzungen mit anderen Linien entnehmen kann.
Das Gute an Werken über Straßenbahnen ist, dass mehr noch als bei Büchern über die Eisenbahn, automatisch die Stadtentwicklung, die Veränderung der Bebauung, die jeweilige Mode u.a. Alltägliches in den Blick gerät. Das macht auch diesen Band zum Augenschmaus, denn Autor A.Halwer und der Verlag haben es wahrlich nicht an aussagekräftigen Bildern mangeln lassen. Das besprochene Druckerzeugnis ist deshalb auch ein „Bilderbuch“ im besten Sinne, das Lust macht, es öfters in die Hand zu nehmen, diese „Zeitreise“ immer mal wieder anzutreten. Kein ungeduldiger Fahrgast kann sich vordrängeln, ein Sitzplatz ist immer garantiert und Verspätungen gibt es auch keine. Und „Endstation, bitte alles aussteigen,“ ruft auch keine Stimme vom Band.
Andreas Halwer: Zeitreise durchs BOGESTRA-Land, Band 2 Geschichte der Linie 302, Hövelhof 2018 ISBN 978-3-946594-12-3 26,80 Euro
PS: Alle Bilder aus dem Buch zeigen wir hier mit freundlicher Genehmigung des Verlages.
Meisten wird vergessen, dass das Ruhrgebiet einst ein dichtes Straßenbahnnetz hatte, die an den Stadtgrenzen nicht halt machten. So fuhr einst eine Tram von Hagen bist nach Breckerfeld. Die Wuppertaler Bahnen erreichen Essen-Werden und Essen Steele. Die Rheinbahn erreichte Moers. In Duisburg und Dortmund gab es sogar Meterspurbahnen. Doch dieses wurde dem Auto geopfert. Bahnen waren in den 60er Jahren in Oberhausen, Dorsten, Hagen, Wuppertal nicht mehr zeitgemäß.
Die BOGESTRA war nicht nur eine Bochum Gelsenkirchener Strassenbahngesellschaft, sondern verband viel Nachbarstädte miteinander wie Witten, Wattenscheid, Herne und Castrop Rauxel und Hattingen.
Schon in den 60zigern wurde das Streckennetz zugunsten des flexibleren Busverkehrs deutlich ausgedünnt.
Als Kind konnte ich noch vielfach die in den Strassen verbliebenen Gleiskörper sehen, die von einer erheblich größeren Streckenführung zeugten. Und selbst von dem noch damals vorhanden Streckennetz existiert heute nur noch ein Bruchteil.
Dei Zechenschließungen waren erheblich für die Streckenaufgabe mitverantwortlich zumal die Strasseninfrastruktur ohne eigenen Gleiskörper, verbunden mit der erheblichen Wohnraumverdichtung durch rege Bautätigkeit, keine modernen Bahnbetreib mehr erlaubte, so blieben weitgehend nur Strecken mit eigenem Gleiskörper oder ausreichender Strassenbreite übrig.
Und abgesehen vom Opelwerk, das streckengünstig lag verlor die Strassenbahn damit erheblich an Bedeutung für den Weg zur Arbeit. da viele Arbeitsplätze nicht mal in der Nähe der alten Strecken angesiedelt werden konnten Dank der Kontaminierung der alten Zechengelände.
Das es übrigens diesbezüglich nicht zu einer besseren Zusammenarbeit der Städte über die genannten hinaus gekommen ist, lag vor allem daran, dass Essen wie auch Dortmund eine größere Spurbreite genehmigt bekamen von der preuißischen Regierung, Bochum jedoch nur eine Meterspur. Schon damals waren alleine politische und Prestigegründe Grundlage solcher Entscheidungen.
Womit eine Verbindung der Netze bis heute ausgeschlossen wurde.