Der sozialdemokratische Teil der deutschen Internetgemeinde ist begeistert: Die Netzssperren von Zensursula lassen die eigene Partei offen, internetaffin und als Schutmacht digitaler Bürgerrechtre erscheinen. Dabei sitzt Zensursula auf den Schultern der sozialdemokrattischen Kabinettesmitglieder. Und auch im Bundestag werden die Sozialdemokraten eifrig dabei sein, wenn es um den Abbau von Bürgerrechten geht.
Darüber dass die von der Bundesregierung beschlossen Netzsperren nicht mehr als eine symbolische Ersatzpolitik sind , die einen Einstieg in eine immer weiter um sich greifende Zensur des Internets nach sich ziehen kann, muß hier nicht geredet werden. Das geplante Gesetz ist zur Bekämpfung der Kinderpornographie komplett untauglich und wir können uns schon ausmalen, auf welche Internetseiten der Zugriff als nächsten gesperrt werden wird: Politisch radikale Seiten von Links bis Rechts, islamistische Seiten und natürlich auf alle, die im Verdacht stehen, Urheberrechte zu verletzen. Eine Endmündigung der Bürger auf breiter Front droht.
Was mich in den letzten Wochen allerdings ein wenig irritiert hat ist, dass sich so viele Sozialdemokraten über Zensursula aufregen – und weniger darüber, dass ihre eigenen Minister im Kabinett den von von der Leyen vorgeschlagenen und vom Wirtschaftsministerium ausgearbeiteten Plänen zugestimmt haben. Vor allem auf Twitter hat man das Gefühl, die SPD habe mit all dem nicht zu tun. Die Pressemitteilung der Bundesregierung, die ja bekanntlich von beiden großen Parteien getragen wird, legt hingegen einen einmütigen Beschluss des Kabinetts nahe. Auch Bundesjustizminsterin Brigitte Zypris spricht sich nicht gegen die Regelung aus, warnt jedoch davor, dass durch diese Regelung weitere Begehrlichkeiten geweckt werden könnten. Den naheliegenden Schluß, dann auf den ersten Schritt zu verzichten, zieht sie indes nicht. Und es hat auch nicht den Anschein, als ob die SPD-Bundestagsfraktion das Gesetz ablehnen wird – und die SPD nahen Blogger nutzen ihren eventuell ja vorhandenen Einfluss auf die eigenen Leute auch nicht dafür, daran eventuell etwas zu ändern. Zenursula und die CDU haben eben mächtige Freunde: die Sozialdemokraten. Gegen die Netzssperre sprechen sich hingegen FDP und Grüne aus. Fröhlich gegen Zensur zu twittern ist scheinbar etwas anderes, als für eine andere Politik einzutreten.
Wer etwas gegen die Zensurpolitik der Koalition von CDU und SPD machen will, kann hier eine ePetition unterzeichnen. Ich habe es getan.
@Stefan Laurin:
Woher weißt Du denn, dass ggf. „SPD nahe Blogger“ nicht einen eventuell vorhandenen Einfluss nutzen?
@Jens: Auf den entsprechenden Blogs lese ich nichts in dieser Richtung – und auf der realpolitischen Ebene scheint der Einfluss ja bei Null zu sein.
@Stefan:
Manchmal ist es auch erfolgreicher, wenn man im Hintergrund agiert…
@Jens: Bislang ist Eure klandestine Strategie nicht allzu erfolgreich. Glaubst Du wirklich die SPD-Fraktion stimmt gegen ein Gesetz der eignenen Bundesregierung? Zumindest sollten ihr aufhören so zu tun, als ob Euch die ganze Sache nichts angeht.
Die stimmt doch sogar für die eigene Regierung gegen den eigenen Mindestlohn. Wann war das? 2007 oder 2008?
Das mit dem „Hintergrund“ hört man aus dem sozialdemokratischen Milieu ständig. So ungefähr seit der Agenda 2010 und ich möchte überhaupt nicht bestreiten das es sicher Bemühungen gibt.
Das ändert aber trotzdem nichts daran das die Bundestagsfraktion abstimmt wie sie will, stets aufs Neue bei den Listenaufstellungen gewählt wird und zuschlechterletzt ihre „Inhalte“ von oben nach unten durchdrückt.
@Stefan:
„Eure“ bzw. „Unsere“ Strategie ist das nicht, da ich da nicht irgendwie vernetzt bin, sondern – wie Du ja sicher weißt – einfach nur ein kleines Rädchen im mächtigen Parteiapparat. Nichtsdestotrotz versuche ich die mir möglichen Mittel zu nutzen.
Petition mitzeichnen und unsere Grundrechte sichern…
Die Muschelschubserin hat mich gerade auf eine ePetition des Bundestages hingewiesen, die sich gegen die geplante Änderung des Telemediendienstgesetzes geht.
Weitere Informationen finden sich z.B. bei heise online, netzpolitik.org und bei den Ruhrbar…
Ich will ja nicht zu pessimistisch sein, aber ich glaube Blogger haben auf dieses Gesetz den gleichen Einfluß, wie sie Einfluß auf die Logopolitik der Kulturhauptstadt 2010 hatten.
Keinen.
@Dennis: Natürlich haben sie keinen sonderliche Einfluss – aber es ist schon komisch, dass die Web 2.0 Fraktion der SPD so tut, als hätte ihre Partei gar nix mit dem Zensurgesetz zu tun. Aber wie heißt es so schön: Im Glashaus mit Steinen zu werfen macht den größten Spaß: Es scheppert so schön…
Entschuldigung aber das ist überhaupt nicht verwunderlich. Die Außendarstellung der SPD weicht gegenwärtig eminent von ihrem konkreten Tun und Vorhaben ab. Das gilt nicht nur für dieses Thema. Eigentlich müsste man der Ehrlichkeit halber zu den bekannten Großflächenplakaten der Sozialdemokraten einen Slogan hinzufügen:
„Gedächtnisschwund würde SPD wählen“
Passend zum Thema übrigens der Ruhrpilot von heute
https://www.ruhrbarone.de/ruhrpilot-87/
@Jens
Bleib tapfer
*Räusper*
„Manchmal ist es auch erfolgreicher, wenn man im Hintergrund agiert?“
Beispiele, bitte. Ansonsten geht es hier um ein öffentliches Medium in einem demokratischen Raum. Da haben Aktionen im Hintergrund wenig Chancen auf Erfolg, glaube ich. Außerdem glaube ich, dass die netzaffine SPD-Klientel nach dem Rückzug von Herrn Tauss momentan eher komplett in Deckung bleiben will, bevor sie hier einer drohenden Wahlkampfpolemik des politischen Gegners ins Messer läuft. Also eine Politik der kleinen Schritte, allerdings rückwärts. Und die Partei der Bürgerrechte wird die SPD momentan wohl nicht.
Auch nicht im Geheimen.
Grüße, Elmar