Ziegen, Bücher, Rechte: In Ausnahmezuständen

AfD-Spitzenkandidat André Poggenburg im Gespräch mit dem Rechtsextremisten Götz Kubitschek, Foto Screenshot Youtube)


Der Umgang mit den neuen Rechten ist schwer. Auf der einen Seite sind sie betont bürgerlich und dialogbereit, auf der anderen immer so schrecklich nervös. Werfen wir einen Blick auf ein Leben in Ausnahmezuständen.

Das Leben ist für die meisten Menschen zum Glück die meiste Zeit eine relativ langweilige Angelegenheit. Man freut sich, wenn der immer unwirsch schauende Kollege wegen eines Schnupfens ein paar Tage lang nicht im Büro ist, greift beherzt beim Jagdwurst-Sonderangebot im Supermarkt zu und hat seinen Spaß daran, wenn Mitglieder von Öko-Organisationen mit Wasserwerfern bei Frost von den Baumkronen gespritzt werden. Doch ja, wir leben ein schlichtes Leben. Anders sieht es bei den Anhängern der neuen Rechten aus. Für sie ist jede Fußgängerzone ein postapokalyptisches Gefahrengebiet, in dem mit Dönermessern bewaffnete Schnauzbart-Zombies ihr Unwesen treiben. Liest man die herzzerreißenden Berichte von Annabel Schunke, die sich nicht mehr auf Weihnachtsmärkte traut, obwohl gerade dort sich die eine steile Lernkurve der Gesellschaft zeigt: Man kann schon darauf vertrauen, dass schwer bewaffnete Polizei Islamisten schnell zu Märtyrern macht. Und ganz nebenbei: In den vergangenen Jahren wurde der Islamische Staat, auch mit deutscher Hilfe, nahezu vollkommen vom Erdboden getilgt. Ein Blick auf die Silhouette von Rakka müsste auch Frau Schunke zeigen, wo der Bartel den Most holt – und dass er offenbar immer noch keinen Zauselbart trägt.

Auch bei der AfD, der Schunke distanziert gegenübersteht, ist man gerne nervös: Nirgendwo ist die Angst vor dem Weihnachtsmarktbesuch größer als unter den Anhängern der Partei. Ohnehin sehen nicht viele der Zukunft so skeptisch entgegen: Das deutsche Volk, da sind sich viele Anhänger der AfD sicher, werde bald verschwinden, Opfer einer Umvolkung werden. Die habe als Ziel, die Deutschen gegen Muslime auszutauschen, um so die Bedeutung der Deutschen in Zentraleuropa zu brechen. Eine Sorge, die merkwürdigerweise auch klein gewachsene Türken wie Akif Pirinci, Menschen, die aus einem Land stammen, das sich “Österreich” nennt und in der FPÖ sind und Martin Semlitsch, einer der intellektuellen Wachsleuchten der Identitären Bewegung machen. Also alles Leute, deren genetisches Potential eher dafür reicht, bei den Darwin-Awards zur allgemeinen Belustigung aus dem großen, bösen Spiel mit dem Namen Evolution genommen zu werden.

Doch nicht nur die Angst vor dem Dönermann und der Umvolkung hat die AfD-Anhänger im Griff. Lebte der Drogen-Hipster Ernst Jünger als Leutnant und Sturmtruppenführer des ersten Weltkriegs noch in Stahlgewittern, so halten es seine blaugrauen Epigonen eher mit dem rechtsradikalen Vordenker Carl Schmitt und haben es sich in angeblichen Ausnahmezuständen eingerichtet. Vieles, was heute von neuen Autoren der Rechten geschrieben wird, wirkt wie schlecht kopiert von Jünger und Schmitt. Jünger hatte Charme, Härte und war ein eleganter Autor und nicht, wie Antanios-Verleger Götz Kubitschek, ein Ziegenzüchter, der sich als Ein-Mann-Kaserne vermarkten muss, damit sein aufgeblasenes Geschreibsel irgendwer liest. Als Soldat der Fernspählehrkompanie 200 war Kubitschek in seiner Dienstzeit ohne jeden Kampfeinsatz geblieben – da wurden dann aus den Stahl- schnell die bierdösigen Weißblechgewitter.

Und so bemühen sie sich, sich mit Schmitt in ein Gefühl des Ausnahmezustandes hineinzuversetzen. Umvolkung, Glyphosat, die Sorge, durch die Nähe zum Westen dem längst intellektuell öden Osten des Kontinents entfremdet zu werden und klar, die freihandelsabkommen TTIP und CETA bedrohen den deutschen Arbeitsmann und die deutsche Kultur steht eh vor dem Ende, bedroht durch den Kapitalismus und die Anbetung des schnöden Mammons wie Nackttänze irgendeines Indianerstammes im Amazonas.Ständig geht es um alles, ständig ist da eine große Bedrohung, ist da der Ausnahmezustand, der genau das, Ausnahmezustand, nicht mehr ist, sondern eine ständige Bedrohung.

Und auf die reagiert man im Geiste Carl Schmitts. Nein, die meisten dieser Gestalten, die wie schlechtbezahlte Versicherungsverkäufer aussehen, sind keine wirkliche militärische Gefahr, was nicht heißt, dass sie sich zu einer solchen nicht selbst imaginieren. Nicht wenige der neuen Rechten sehe sich als Partisanen für Deutschland, so wie Carl Schmitt sie beschrieben hat:

“Jeder Staatsbürger, so heißt es in dem königlich preußischen Edikt vom April 1813, ist verpflichtet, sich dem eindringenden Feind mit Waffen aller Art zu widersetzen. Beile, Heugabeln, Sensen und Schrotflinten werden ausdrücklich empfohlen. Jeder Preuße ist verpflichtet, keiner Anordnung des Feindes zu gehorchen, sondern ihm mit allen nur aufzubietenden Mitteln zu schaden.” Und für viele Anhänger und Funktionäre der AfD ist der Feind schon im Land: Auf dem Parteitag in Hannover sagte Joachim Kuhs, Schriftführer im Bundesvorstand, Deutschland werde infiltriert von fremden Kulturen. Und Parteichef Jörg Meuthen sagt: „Wir drohen unser Land zu verlieren.“ Doris von Sayn-Wittgenstein, ungefähr so blaublütig wie ein Alkoholiker, nachdem er sich die sechste Flasche Aldi-Frostschutzmittel in die knorpeligen Venen gespritzt hat, und Landeschefin der AfD in Schleswig-Holstein, gibt mit dem Timbre eines zitterndes Faltenrocks von sich: „Ich möchte nicht, dass wir in dieser sogenannten Gesellschaft ankommen. Das ist nicht unsere Gesellschaft, da werden wir ausgegrenzt.“

Der Ausnahmezustand, das Bewusstsein irgendwie zwischen Schmittschen Partisan und preußischer Landwehr handeln zu müssen, ist Alltag der neuen Rechten. Wer das einmal verstanden hat, ist auch nicht mehr verwundert, warum sich die AfD immer weiter nach rechts entwickelt hat und nicht das große Forum von bigotten Christen, Faltenrockträgerinnen und Wirtschaftsprofessoren mit gebügelten Unterhosen wurde.

Und es ist der Grund, warum es nicht möglich ist, mit der AfD und der neuen Rechten ernsthaft ins Gespräch zu kommen: Wer dem Alarmismus anheimgefallen ist, das Land auf den Abgrund zu taumeln sieht und die eigene Sippe von Muselmanen geschändet, ja, die Früchte der eigenen Manneskraft in der Sonne der Wüste verdorren sieht, hat wenig zu besprechen, allein schon, weil es keine Kompromisse geben kann. Braunschweig wird den Arabern zur Umvolkung geopfert, Limburg aber nicht? Die deutsche Kultur wird in Dresden gehalten – teuer genug war der Wiederaufbau ja – dafür tanzen in Gelsenkirchens maroder Fußgängerzone bald die Derwische? An der Uni Paderborn wird weiter Deutsch gesprochen, an der in Darmstadt Pidgen-Englisch? Und dann sind da noch die politischen Feinde: Sie bedrohen die Anhänger der neuen Rechten, schubsen AfD-Delegierte auf dem Weg vom Hotel zu Parteitag, beschmieren ihre Autos. Auch der Teil des imaginierten Ausnahmezustandes, in dem man sich befindet, permanent angegriffen von der Antifa, diskriminiert von den Altparteien, und der amerikanische Jude Georg Soros bezahlt das alles auch noch. Dass seit 1990 Linksradikale niemanden mehr umgebracht haben, Rechtsradikale hingegen 178 Menschen, dass Nazis im Osten ganze Landstriche zu national befreiten Zonen gemacht haben und es für offen erkennbare Nazis gerade eine Handvoll Straßenzüge und ein paar Clubs gibt, die sie meiden sollten, wenn sie nicht bedrängt werden wollen, fällt da schnell unter den Tisch.

Aber jeder Widerstand lässt sich gut instrumentalisieren, stärkt die Rechte und ruft Kritiker auf den Plan, die fordern, mit ihnen in eine Debatte einzutreten und sich an die demokratischen Spielregeln zu halten. Doch die gelten nicht, denn die neue Rechte ist auf Sieg oder Niederlage programmiert.

In ihrer apokalyptischen Welt ist kein Platz für Deals, und die Zeit, in der sie der sie gerne mit Medien und linken Intellektuellen sprachen, ist vorbei. Sie brauchen die voll ziegenfettiger Begeisterung verfassten Artikel über Schnellroda nicht mehr und auch einem ausgewiesenen Neonazi wie Martin Sellner ist es längst egal, ob ihm irgendwer glaubt, kein ausgewiesener Neonazi zu sein, der Menschen im Meer verrecken lassen will oder ein geläuterter Neonazi, der Menschen im Meer verrecken lassen will. Das Fundament ist gelegt, nun stehen die Zeichen auf Wachstum und da braucht man keine Journalisten mehr, die erstaunt berichten, dass man mit Messer und Gabel essen kann und Hitlers „Mein Kampf“ nicht das einzige Buch im Regal ist.

Soll man mit Rechten reden? Das war eine der meistdiskutierten Fragen in diesem Herbst. Die Antwort: Es bringt nichts, es ist reine Zeitverschwendung, mit den Kadern der Rechten zu reden ist Unsinn und nur etwas für jene, die einen Ziegenbraten schnorren wollen. Wer in der Lage ist, seinen Braten selbst zu bezahlen, muss nicht nach Schnellroda fahren, er kann ins nächste Steakhaus gehen. Warum wird die AfD gewählt, warum hat die Linke die Arbeiterklasse verloren, warum verlieren Teile des Bürgertums das Vertrauen in die Demokratie? Das sind einige der spannenden Fragen, mit denen man sich beschäftigen muss. Die Antworten werden wir nicht von jenen bekommen, deren Geschäftsmodell es ist, mit Rechtsradikalismus politische Erfolge zu erzielen.

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