Zombieshow: Lulu – Eine Mörderballade am Theater Oberhausen

Lulu – Eine Mörderballade am Theater Oberhausen (Foto: Birgit Hupfeld)
Lulu – Eine Mörderballade am Theater Oberhausen (Foto: Birgit Hupfeld)

So lebendig wie am Theater Oberhausen sind die Zombies nirgends sonst im Ruhrgebiet. Herbert Fritsch brachte sie einst mit Nora hierher und nun bevölkern sie wieder die Bühne – diesmal eine verlassene Fleischerei. Allerdings nicht mit Ibsen und in der Regie des Belgiers Stef Lernous. Gegeben wird „Lulu – eine Mörderballade“; nicht von Frank Wedekind, sondern von den Tiger Lillies und nur sehr frei nach Wedekind.
Es wird gesungen, nur sehr wenig gesprochen und etwas getanzt. Irgendwie ist das also Musiktheater,
vielleicht ein bisschen Musical, aber doch viel mehr eigentlich ein bebildertes Konzeptalbum. Was die Tiger Lillies da komponiert und getextet haben, bietet wenig Gelegenheit zu dramatischer Aktion auf der Bühne. Es sind Songs, die die Ereignisse erzählen – über weite Strecken genau einer pro Leiche. So reihen sich in der ersten Hälfte des Abends die Köpfe der Dahingeschiedenen schnell nebeneinander im Fenster der bühnenfüllenden Fleischereifassade auf und dürfen ab und zu auch den Hintergrundchor beisteuern.
Alles in allem geht es also rasant von einer Leiche zur nächsten. Nachdem Lulu von ihrem (Zieh)Vater Shig in die Prostitution getrieben wurde, verfallen ihr die Männer einer nach dem anderen und immer endet es schnell tödlich. Den letzten muss Lulu selbst töten und nach London fliehen, wo nach ihrem Abstieg zur Straßennutte Jack The Kipper ihr den Garaus macht. Merkwürdigerweise bekommt gerade der prominente Prostituiertenmörder gleich mehrere Songs spendiert und ist auch der einzige, nach dessen Motivation gefragt wird. Und dann – ganz am Schluß – darf Lulu auch endlich mal den Mund auf machen und singt „My Heart belongs to daddy“.
Die Band um Otto Beatus macht ihren Job ausgezeichnet und liefert einen Klezmergetränkten Musicalsound, der manchmal auch ein wenig an Kurt Weill erinnert. Das Schauspielensemble singt dazu durchaus ordentlich und Moritz Peschke liefert als Alwa Glanzmomente. Sven van Kuijk hat eine sehr schöne Bühne gebaut und Stef Lernous gleicht den Mangel an Interaktion durch einige schöne Bilder aus.
So weit, so gut. Doch was wollen die Tiger Lillies eigentlich mit dieser Wedekind-Bearbeitung? Wo im Original die Machtverhältnisse zwischen Frauen und Männern aufgebrochen werden, wo sich Wedekind vehement gegen eine überkommene Sexualmoral stemmt, wo die Ambivalenzen den Stoff erst interessant machen, verkürzen die Songs alles auf ein schlichtes geschundenes Weib als stummes Objekt. Folgerichtig ist auch die lesbische Gräfin Geschwitz einfach mal ganz gestrichen. Sie könnte ja das geradlinige patriarchale Bild durcheinander bringen. Übrigens genau jene Rolle, die Wedekind selbst als die eigentliche tragische Person seines zweiteiligen (Der Erdgeist/Die Büchse der Pandora) Stückes sah.
Es verlangt dem Zuschauer auch eine gehörige Portion Willen, das alles ironisch zu lesen, ab, wenn ständig von Perversionen gesungen wird und die Blödheit mit der Lust beginnt. Andernfalls fühlt man sich zurück geworfen in ein Zeitalter jener verklemmten Sexualmoral, gegen die Wedekind gerade opponierte. Und dann irgendwann drängt sich der Eindruck auf, dass die Tiger Lillies ein bisschen zu sehr in ihre Gothic- und Splatterfantasie verstrickt sind. Alles für eine gute Show, der Inhalt interessiert eigentlich nicht. Und ja: Es wird verdammt viel von Ficken und Perversion und Titten gesungen. Aber mal ehrlich: Besonders aufregend ist das nun auch nicht. Torsten Bauer ist in seinen halterlosen Nylons ja nun auch kein Skandalon.
Diese Lulu ist ein kurzweiliger Songreigen, der durchaus Unterhaltungswert hat, wenn man nicht zu viel darüber nachdenkt.

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