Quelle: Pixabay, Foto: Keith Johnston CC0 1.0Von Gastautor Mario Thurnes
In Deutschland erlebt der American Football einen kleinen Boom. In seinem Heimatland hingegen sind die wichtigsten Zahlen schlecht. Das liegt auch an Regeln, die gemacht wurden, um die Gesundheit der Spieler zu schützen.
Randy Marsh erfindet in der Serie Southpark die Sportart „Sarcastaball“. Unfreiwillig. Denn eigentlich will er sich nur über die Schulkommission lustig machen, die den Kickoff im Schul-Football verbietet, um mögliche Verletzungen zu verhindern. Die Kommission greift seine Vorschläge auf: Fortan laufen die Schüler mit Büstenhaltern und Papierhüten auf. Statt ihre Gegenspieler zu tacklen, machen sie ihnen Komplimente und umarmen sie. Am Ende gibt es sogar eine Erwachsenenliga, in der Randy die Denver Broncos trainiert.
Auf dem Weg zum „Sarcastaball“ sehen auch viele Fans die NFL: Verletzungen und Schadensersatzklagen von Ehemaligen haben die Liga-Verantwortlichen dazu gebracht, in den vergangenen Jahren die Regeln zu verschärfen. Vor allem die Superstars – die Quarterbacks – sollen geschützt werden.
Vor dieser Saison wurde die Helmregel verschärft. Absichtliche Treffer von Helm zu Helm waren bereits verboten. Vereinfacht ausgedrückt kann jetzt jedes gebückte Angreifen geahndet werden. Die Meinungen, wie stark sich das auswirkt, gehen auseinander: In der Vorbereitung zählten Fans anderthalb Helmet-to-Helmet-Fouls pro Spiel. In sämtlichen Partien der ersten beiden Spieltage sei es insgesamt nur zweimal geahndet worden, kontert die NFL.
Die Verantwortlichen reagieren gereizt auf den Vorwurf, die neuen Regeln würden das Spiel negativ verändern. Denn manche Zahlen geben zu denken: Laut dem Erfassungssystem „Nielsen numbers“ sind die Einschaltquoten in den USA im vergangenen Jahr um fast 10 Prozent zurückgegangen. Das Eröffnungsspiel der Washington Redskins sahen nur 57 000 Zuschauer im Stadion. Im Jahr davor waren es knapp 79 000. Nach Angaben der Redskins waren von 1967 bis 2017 sämtliche Heimspiele – auch die in der Vorsaison – ausverkauft gewesen.
Die Unzufriedenheit mit der Liga drückt sich in einem eigenen Hashtag aus: Bei „#BoycottNFL“ geht es auch um die zu harten Strafen. Doch die Protagonisten, die sich über diesen Weg äußern, sind vor allem mit der politischen Entwicklung der NFL unzufrieden: So stören sie sich daran, dass es jetzt auch männliche Chearleader gibt. Vor allem aber provoziert sie das Knien zur Nationalhymne. Mit diesem protestieren Spieler, vor allem schwarze, gegen Rassismus in den USA.
Wenig überraschend ist es Präsident Donald Trump, der sich selbst zum obersten der konservativen Kritiker macht: Die sinkenden Einschaltquoten hält er der Liga auf Twitter gerne und immer wieder vor. Etwa nach der Saison-Eröffnung der Atlanta Falcons bei den Philadelphia Eagles: „If the players stood proudly for our Flag and Anthem, and it is all shown on broadcast, maybe ratings could come back?“
Die Regeldebatte und ihre Folgen spielen konservativen Kritikern wie Trump in die Hände. Gerade in der Vorbereitung gab es Spiele, die wegen der vielen Strafen nicht mehr anzuschauen waren. Auch die Saison-Eröffnung steuerte zwischenzeitlich einen Rekord an Flaggen an – mit diesen zeigen Schiedsrichter ein Foul an.
Für die Fans ist ein solches Spiel kaum noch genießbar: Du siehst einen Raumgewinn über 37 Yards, allerdings geht es zehn Yards nach hinten wegen einem Foul. Du siehst ein tolles Tackling, aber es geht wegen eines Fouls zehn Yards nach vorne. Der Spielzug bedeutet nichts mehr. Die Schiedsrichter-Ansage alles. Im Vorbereitungsspiel der Eagles bei den Cleveland Browns ging das über mehrere Spielzüge hintereinander so. Das nervt und zieht obendrein das Geschehen in die Länge.
Zu einem großen, spielentscheidenden Aufreger kam es am Sonntag: Die Green Bay Packers führen 105 Sekunden vor Schluss 29 zu 21 gegen die Minnesota Vikings. Jaire Alexander fängt einen Pass von Kirk Cousins ab – Interception, die Packers brauchen nur noch die Uhr runterlaufen zu lassen.
Doch Schiedsrichter Tony Corrente wertet die Situation anders: Clay Matthews habe Cousins unfair attackiert. Der Spielzug wird wiederholt, die Vikings schaffen einen Touchdown, zwei Zusatzpunkte und retten sich in die Verlängerung. Die hätten sie sogar gewinnen können. Doch weil ihr Rookie-Kicker Daniel Carlson das entscheidende Field Goal vergibt, endet die Partie unentschieden.
Die Regel sagt: Zur Verteidigung darf ein Verteidiger den Quarterback niederreißen. Hat er aber den Ball geworfen, ist er geschützt. Angriffe werden dann mit einer Wiederholung des Spielzugs und 15 Yards Raumverlust bestraft. Die Quarterbacks müssen beweglicher sein als andere Spieler. Deswegen tragen sie weniger Schutzkleidung. Die Regel soll ihr Schutz sein.
Das Problem ist nur: Die Verteidigungszüge sind geprägt von einer hohen Dynamik und dauern nur Bruchteile von Sekunden. Oft genug beginnt eine Verteidigung, während der Quarterback den Ball noch hält und endet, wenn der Ball dann in der Luft ist. Wie ist das zu werten? Etwa bei Matthews gegen Cousins.
Schiedsrichter Corrente sagt: Hätte Matthews Cousins nicht ausgehebelt und sich dann mit seinem vollen Gewicht auf ihn fallen lassen, wäre die Attacke ok gewesen. Er hätte die Attacke in ihrem Verlauf also abmildern müssen.
Danach äußerte sich unter anderem der ehemalige Quarterback Kurt Warner auf Twitter: Eine solche Regelauslegung sei idiotisch und schränke die Verteidiger zu stark ein. Von einem fairen Duell gegen den Quarterback könne keine Rede mehr sein – und wegen dieser Duelle schauten die Leute schließlich Football.
Nach den Regeln hat Corrente recht. Nach Stan Marsh ist die NFl damit auf dem Weg zu „Sarcastaball“ – und nicht nur für ihn.