Mein Freund ist tot, mein lieber, lieber, streitbarer Freund – mein Mentor. Ich bin so traurig, ich weiß wirklich nicht, wo mir der Kopf steht – und dann lese ich den Nachruf auf SPON und denke, ach Gott, die kannten ihn ja gar nicht, das wird ihm ja in keinster Weise gerecht. Ein Gastbeitrag von Verena Maria Dittrich.
Ich lernte Mathias an einem kalten, verregneten Novembertag im Jahre 2006 kennen – und mochte ihn sofort, diesen leicht miesepetrig angehauchten, auf den ersten Blick etwas eitel wirkenden Journalisten mit dem großen Herzen, das er wie unter einem Pflaster versteckt hielt. Vielleicht, weil er meinem Vater so ähnlich war, vielleicht, weil sie beide 1947 geboren waren, vielleicht auch nur, weil er mir zuhörte, wenn ich ihn vollwinselte, wenn ich mit dem Schreiben mal wieder nicht weiterkam, wenn ich aufhören wollte, wenn ich sagte, das Schreiben ist anstrengender Mist, vom Schreiben allein kann man nicht leben, ich schreibe lieber, wenn ich saufe. Und er sagte dann, ja, aber wenn du nicht trinkst, schreibst du besser, und wenn du nicht immer so viel nachdenkst und deine Gedanken loslässt, dann kann es was werden – mit dir und der Schreiberei.
Mathias gab mir Mut, wenn ich selbst keinen hatte, er machte mich angriffslustig, wenn ich glaubte, müde zu sein, er las so viele meiner Kritiken und tadelte mich, wenn es angebracht war. Er war immer da, wenn ich das Schreiben aufgeben wollte, er half mir über viele Zweifel hinweg.
10 Jahre schrieben wir uns, arbeiteten gemeinsam an einem Buchprojekt mit humorvollen Glossen zweier „abgenervter Deutscher, die ihr Land und die Menschen oft nicht mehr verstehen.“ Mathias schrieb im Vorwort: „Es gibt ja diverse Möglichkeiten, beim Blick auf die Menschheit ein duales Prinzip anzuwenden und sie in Männer und Frauen, Hunde- und Katzenfreunde, Arme und Reiche, Blöde und Kluge, Singles und Verbandelte, Fleischesser und Vegetarier, Gläubige und Ungläubige zu unterteilen. Aber letztendlich läuft es doch auf ein viel einfacheres Schema hinaus, das weltweit und seit ewigen Zeiten gültig ist: Es gibt solche, die spielen, und andere, die immer nur zugucken.“
Ich habe so viel von ihm gelernt, dass ich gar nicht glauben kann, dass er nicht mehr schreiben wird. Nie mehr, nie mehr wieder. Wir stritten über Texte, über seine Sicht auf das Leben, Facebook und Politik und wir lachten über dieselben Dinge.
Als mein Vater starb, fand nur er die richtigen Worte und manchmal berichtete er mir, dass es ganz gut ist, von Zeit zu Zeit gegen einen großen fetten Boxsack zu hauen.
Im Juni schrieb er zum letzten Mal, wir tauschten uns über unsere Arbeit aus, er schrieb Kritiken für den Spiegel, über Maischberger und Plasberg, ich schrieb über Trash. Wir lachten uns darüber kaputt, als wir bemerkten, wie ähnlich all diese Formate im Grunde doch sind, und hatten einen Riesenspaß. „Ich finde, wir sollten uns einfach weigern, uns den Kernbestand an heiterer Gelassenheit gegenüber dem Leben von all den Idioten verschiedenster Couleur demolieren zu lassen.“
Mathias Zschaler wäre am 2. Dezember 70 Jahre alt geworden.
Während mein trauriger Vater einmal den Wunsch äußerte, bitte nicht 70 zu werden, sagte Mathias, dass er vor diesem Tag keine Angst habe: „Erst boxe ich ’ne Runde, dann trinke ich Kaffee und esse Kuchen mit den Kindern und Enkeln und abends gehe ich ’ne Runde mit dem Hund.“
Auf Wiedersehen, mein guter, stets kritischer, angriffslustiger, lieber Freund.
Du wirst unendlich fehlen.
Ich kannte Mathias Zschaler weder vom Lesen noch persönlich. Aber ich finde es gut, wie sich eine junge Frau von einem alten Freund verabschiedet. Einfach nur von Herzen. Schön, daß es das heute noch gibt.