Eigentlich esse ich auf die Art und Weise kein Fleisch, wie alle es am liebsten mögen: still und heimlich. Wenn ich zum Essen eingeladen bin und es eine Gulaschkanone gibt, meckere ich nicht. Ich esse dann Brot. In meiner Küche gibt es keine designierte vegetarische Pfanne. Wenn ich in einem Restaurant bin und man mir Speckwürfel in die Bratkartoffeln legt, esse ich drumherum.
Sich von Vegetariern bedroht zu fühlen, weil es unter ihnen ätzende Missionare gibt, ist so, als würde man den Feminismus doof finden, weil Alice Schwarzer ja bekanntlich eine frigide Langweilerin und Steuerhinterzieherin ist. Sinnlos und inkonsistent.
Mir ist es egal, woher andere Menschen ihren Bauchspeck haben. Sollen sie Steak essen oder veganen Hackbraten. Mir ist es ja auch egal, welche Partei andere Menschen wählen. Aber wenn mir jemand sagt: „Ich wähle FDP, denn der Lindner ist mir so sympathisch“, dann darf ich finden, dass dies keine kluge Basis ist, um politische Entscheidungen zu treffen.
Aus dem Mund von Fleisch-Konsumenten klingt es häufig, als gäbe es zwei verschiedene Arten der Nahrungsaufnahme. Zuerst gibt es Fleischessende. Und es gibt Vegetarier. Diese Annahme ist falsch. Denn wer Fleisch isst, der verzehrt meist auch die Lebensmittel, die Vegetarier zu sich nehmen. Wer kein Fleisch isst, ernährt sich genau so wie alle anderen. Nur eben – diese Redundanz sei mir gegönnt – ohne Fleisch.
Ich verstehe deshalb nicht, wie sich Fleisch-Konsumenten davon gestört fühlen können, dass es ein fleischloses Essen gibt. Ich esse zum Beispiel sehr gerne und häufig rotes Gemüse. Paprika und Tomate. Aber manchmal gibt es Gerichte, da sind weder Paprikas noch Tomaten drin. „Was ist aber, wenn ich dieses so nicht essen möchte?“ Dann mache ich mir nicht in die Hose. Denn Paprika und Tomate sind nur ein Teil meiner Nahrung. Ich definiere mich nicht darüber. Und ich muss nicht jeden Tag Paprika und Tomate essen, denn es gibt in den Supermärkten dieser Welt so viele andere Lebensmittel, die mir schmecken.
Vegetarismus ist keine Ideologie. Es ist eine Konsequenz, die ich irgendwann gezogen habe. Genau wie bei dem Obst, das ich esse und den Gewürzen, die ich kaufe, habe ich mich gefragt: wo kommt dieses Fleisch aus dem Lidl-Tiefkühlregal her? Daraufhin habe ich aufgehört, es zu kaufen. Ich glaube nicht, dass es prinzipiell gesünder ist, kein Fleisch zu essen. Aber ich glaube, dass ich gezwungen wurde, mehr über meine Ernährung nachzudenken. Mehr zu probieren als Schnitzel, Pommes und Pizza Salami. Seit ich vegetarisch lebe, esse ich bewusster, bunter, vielfältiger. Und ich muss mich trotzdem andauernd dafür rechtfertigen.
Niemand würde darauf kommen, mich zu fragen, wie lange ich schon keine Oliven mag. (Etwa zwanzig Jahre.) Oder warum ich keine Oliven esse. (Sie schmecken nach Spülmittel.) Oder ob ich Oliven manchmal vermisse. (Nein!) Oder ob ich ein Problem damit habe, wenn man neben mir am Tisch einen Teller Oliven isst. (Sicherlich nicht. Vernichtet das Teufelszeug!) Ob es okay ist, wenn in dem Essen Oliven drin sind, aber nur ganz klein gehackt. Es macht auch niemand lustige Witze darüber, wie etwa: Mir eine Olive unter die Nase halten und laut sagen „Na, Lust auf eine saftige Olive?“ Es ist auch niemand genervt von meinem Olivenhass, dabei habe ich lange, ausgeschmückte Vorträge darüber im Repertoire, warum Oliven ekelhaft sind und kein Mensch sie jemals anrühren sollte und die Olivenindustrie der Ursprung des Bösen ist.
Wie schon erwähnt – ich bin eigentlich eine angenehme Vegetarierin. Nicht missionierend. Nicht verteufelnd. Ich muss die guten Gründe, kein Fleisch zu essen, nicht mehr aufzählen. Jeder kennt die Stichworte. Wasserverbrauch, traurige Tiere, Emissionen, wenn-alle-so-viel-Fleisch-essen-würden-wie-wir, und so weiter, und so fort. Wer in Deutschland Zeitung liest und keinen besonders ausgeprägten Verdrängungsmechanismus hat, kann diese Informationen kaum an sich vorbeiziehen lassen.
Aber heute, an diesem ersten Oktober, an dem durch meine Facebooktimeline so viele Texte über die Großartigkeit von Fleisch geströmt sind wie noch nie zuvor, erhebe ich meine von der Fleischabstinenz ausgezehrte, zittrige Faust und rufe euch laut entgegen: Ja, ich habe über die Konsequenzen meines Konsums nachgedacht und deshalb mein Handeln verändert. Ja, ich finde, dass ich deshalb moralisch überlegen bin. Ja, der Geruch von Bacon ist ekelhaft und ja, ich habe ein Problem damit, wenn deine Bratensauce auf meine Ofenkartoffeln tropft und nein, ich gebe dir beim Grillabend nichts vom liebevoll vegetarisch zubereiteten Grillgut ab, denn es wurde ja bereits festgestellt, dass Fleischesser immerzu ausschließlich Fleisch essen müssen und deshalb sollen sie das tun und von mir aus mit fünfundzwanzig an einem Herzschlag sterben von dem ganzen gesunden Fleisch. Ich sitze derweil hier, knabbere an einem Stück Paprika und bauchpinsele mich mit meinem Gutmenschendasein.
Das Dumme an der Argumentation ist nur, dass sie nichts mit Vegetarismus zu tun hat. Auch jeder Fleischesser, der beim alteingesessenen Metzger Fleisch vom Bauern um die Ecke kauft, lebt ähnlich bewusst und reflektierend wie Du. Die eigentliche Differenz ist doch anonymisierte Massentierhaltung gegen bewussten Fleischkonsum.
*applaus*
von einem Nichtvegetarier für dieses amüsante Statement gegen’s Vegetarierbashing.
Ich finde das immer höchst albern, wenn bei allem, was mit Vegetariern zu tun hat, die lustigen Fleischrezepte, Bilder usw. rausgekramt werden – das virtuelle Gegenstück zu dem genannten Ein-Stück-Fleisch-unter-Nase-Halten.
Und wenn man zum Fleischkonsum eine bewusste, begründete Entscheidung getroffen hat, die auch moralische Aspekte hat, darf man auch dazu stehen. Damit kann ich leben, auch wenn ich, ja, aus reinen Genussgründen diese Entscheidung nicht mitvollziehe.
“ …habe ich mich gefragt: wo kommt dieses Fleisch aus dem Lidl-Tiefkühlregal her?“
Ein wenig differenzierte Sichtweise, die impliziert, Fleisch stamme ausschließlich aus Massenhaltung. Daraus eine moralische Überlegenheit abzuleiten ist ein eher fragwürdiger Standpunkt.
„Jeder kennt die Stichworte. Wasserverbrauch, traurige Tiere, Emissionen, wenn-alle-so-viel-Fleisch-essen-würden-wie-wir, und so weiter, und so fort.“
http://www.urgeschmack.de/verursachen-vegetarier-mehr-blutvergiessen-als-fleischesser
@Marion:
Ich hab den Artikel überflogen, und offensichtlich wird bei der Argumentation „ABER SOJA-MONOKULTUREN! ABER FELDMÄUSE!“ mal wieder außer acht gelassen, dass Tiere auch gefüttert werden müssen. Und zwar eben auch mit den angesprochenen pflanzlichen Lebensmitteln, und Sojakuchen aus – genau! – Soja-Monokulturen!
Sicher fühlen sich viele Vegetarier moralisch überlegen – und Veganer noch mehr. Denn sie „sparen“ ja Wasser und „morden“ keine Tiere.
Wasser kann man übrigens nicht sparen, sondern nur verbrauchen.
Wenn Tiere auf der selben Stufe wie Menschen stehen (wie Tierrechtler, Veganer und viele Vegetarier behaupten), müssten demnach auch Tieren vegetarisch leben (deshalb füttern sie ihre Katzen und Hunde vegetarisch). Erklär das mal einem Löwen oder einem Adler.
Und auf welcher Stufe stehen dann die Frutarier?
@Alex
So so, überflogen haben Sie den Beitrag, also auch A, die eigentliche Aussagen und ihre Einschränkungen und B, den Verweis des Autors auf diese ganzen „Drüberflieger“ nicht gelesen…
Deswegen hier nur eine kleine Frage: Seit wann wird bei den üblichen Weidenwirtschaften den großartig Sojakuchen, oder andere intensiv angebaute Nahrungspflanzen bei gefüttert?
@ alex
Das trifft auf das Stück „dry aged black Angus“ nicht zu, welches ich mir heute Abend einverleiben werde. 😉 Gleiches gilt für Fleisch aus unserer Jagd. Diese polarisierende schwarz-weiß Sichtweisen der Vegetarier und Veganer sind wenig hilfreich und lassen viele der im Artikel vermittelten Gesichtspunkte schlichtweg ausser Acht. Bitte lese den Artikel, anstatt ihn zu überfliegen. Er ist ein Plädoyer für eine differenzierte Sichtweise, abhängig von lokaler Esskultur sowie lokalen Gegebenheiten. Ganz unmissverständlich endet der Artikel mit folgender Aussage:
„Die beste und, wie ich meine, einzig richtige Antwort auf die Frage, wie wir alle uns ernähren sollten ist: Gar nicht. Eine pauschale, globale Lösung kann es nicht geben und es hat sie nie gegeben. “Wir alle sollten Fleisch essen!” scheint daher genauso falsch wie “Wir müssen Gemüse essen, weil das effizienter ist!” Es ist müßig, aufrechnen zu wollen, welche Ernährung die bessere sei: Es ist schlichtweg unmöglich. Stattdessen sollte jeder einzelne für sich und seine Situation ermitteln, was das beste für ihn und seine direkte Umwelt ist. Regionale, saisonale Lebensmittel sind dabei ein wichtiges Stichwort. Wer die Welt verbessern möchte, sollte vor der eigenen Haustür anfangen.“
Einen hab ich noch, der mir unter den Fingernägeln brennt. Gern nutzen die Veganer den Begriff Mord respektive Mörder, wenn sie Fleischkonsumenten kritisieren. Das ist eine dieser hoch emotionalisierten und polarisierenden Anschuldigungen, die völlig haltlos sind und einen fairen Diskurs nahezu unmöglich machen. Von einem Mord kann man nur sprechen, wenn die Umstände erfüllt sind, die in Paragraf 211 des Strafgesetzbuches aufgeführt werden:
„Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.“
Gern könnt Ihr den Begriff Mensch/en gegen Tier/e austauschen. Bleibt die Frage, ob das Töten aus Ernährungs- und Genußgründen als niedriger Beweggrund einzustufen ist.
Zwei erhellende Links zum Verhältnis von Veganern zu Vegetariern:
„Vegetarier sind genauso Mörder wie alle Unveganer“
http://www.deutschlandradiokultur.de/vegetarier-sind-genauso-moerder-wie-alle-unveganer.954.de.html?dram:article_id=145971
„Vegetarier sind Mörder“
http://vegetarier-sind-moerder.de/
Je tiefer man sich in die Materie einarbeitet umso mehr Abgründe tun sich auf.
Wer Tiere wirkich vor den Menschen schützen will, müsste in letzter Konsequenz die Spezies Mensch und damit auch sich selbst vernichten, anstatt Vegetarier oder Veganer zu werden. Da das auch die Menschen bisher nicht getan haben, die die Tiere zu lieben vorgeben, bleibt ihnen nur die Moral als Durchsetzungsmittel eben dieser Tierliebe.
Was sie dabei häufig vergessen ist, dass der Mensch sich lange Zeit seiner Evolution vor den Tieren schützen musste und es immer noch Gegenden auf der Welt gibt, in denen er dazu auch noch heute gezwungen ist. Wo es deswegen auch keine wie auch immer geartete Tierliebe gibt, weil Tiere die Fressen wollen auch gegenüber den Menschen kein Mitleid kennen, wenn sie Fleischfresser sind. Die Tierliebe ist , so wie die liebe zu Gott, also eine rein menschiche Erfindung, bzw. ein menschliches Bedürfnis das mit den Tieren rein gar nichts zu tun hat.
Das spricht keineswegs gegen den Tierschutz oder gegen die Entscheidung Veganer oder Vegetarier zu werden. Aber das Bewusstsein über dieses Tatsache würde die moralische Diskussion darüber wesentlich entspannen. Tierliebe ist kein Argument, sondern ein Gefühl. Tierliebe ist deswegen auch keine Pflicht sondern eine Option. Tierliebe kann deswegen auch Gegenstand von Kritik, ja von Satire und Witz sein. Vor allem aber macht die Tierliebe Niemanden zu einem besseren Menschen.
kann den Artikel als Vegetarier sehr gut nachvollziehen.
Ständig wollen Fleischesser mich missionieren oder verlangen Rechtfertigungen etc. Hab das eigentlich wie im Artikel erlebt.
Wobei ich ja vermute, dass das aus Unsicherheit resultiert. Viele erzählen mir von sich aus, nachdem ich nur erwähnt habe, dass ich Vegetarier bin, dass sie ja nur wenig Fleisch und dann Bio-Fleisch essen und Massentierhaltung schlecht ist.
Es wirkt so, als hätten einige ein schlechtes Gewissen und verdrängen das, sodass sie sich angegriffen fühlen, nur weil jemand anderes ein Vegetarier ist. Daraufhin reagieren einige mit Rechtfertigung und andere greifen den Vegetarier an.
Dabei will ich nur in Ruhe mein Gemüse knabbern.
@TuxDerPinguin
Und was genau (fr)essen Pinguine?
@ Herr Karl
Formfisch aus Soya Chunks mit Grünkernkruste. ;-P
Weltweit leiden 870 Millionen Menschen an Hunger und in die vollgefressene, aus allen Nähten platzende Wohlstandsgesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland sitzt hinter ihrem PC und diskutiert darüber, ob nun eine fleischlose oder eine fleischhaltige Ernährung die moralisch bessere ist. Bisschen pervers ist das schon irgendwie.
Die Folgen, wenn, wie es sich viele Vegetarier oder Veganer, und nicht nur die „Extremisten“ unter ihnen, wünschen, die Menschheit auf ihren Fleischkonsum verzichten würde, sind aber auch bekannt, oder? Bzw. allein schon die Unmöglichkeit dieses Falles.
Ein veganes Leben als Einzelner zu führen, halte ich übrigens auch für sehr schwer realisierbar. Ob finanziell oder im Hinblick darauf, was alles beachtet werden muss. Wer sagt mir denn, dass bei der Produktion der Verpackung meiner Tofu-Würstchen keinen tierischen Produkte verwendet wurden? Oder noch schlimmer: Die Arbeitskraft der Menschen, die vegane Lebensmittel herstellen, wurde durch die Aufnahme von Fleisch angetrieben!
Ja, ich weiß, es geht im Text nur um Vegetarier, aber diese Gedanken erlaube ich mir jetzt mal. Ja, ich fühle mich intellektuell überlegen…
Bla bla, das Thema nervt.
Kein Thema erregt mehr Gemüter als Vegetarismus oder Veganismus. Auf Chefkoch.de gibt es extra ein vegetarisch-veganes Forum, auf dem man sich eigentlich so untereinander austauschen könnte. Kann man aber nicht, denn wenn man z. B. postet, dass man auf eine Grillparty eingeladen ist und mal dort nachfragt, welches denn ein wohlschmeckender „Bratwurstersatz“ sein könnte, kommen die ganzen Trolle wieder aus ihren Fleischforen herüber, um zu kritisieren, dass die Vegetarier überhaupt das Wort „Bratwurstersatz“ in den Mund nehmen, warum erfinden sie nicht eigene unfleischige Begriffe. Ich könnte stundenlang weitererzählen, was für eine Intoleranz gerade die Menschen besitzen, die natürlich alle nur noch Fleisch verzehren, welches aus regionalen Betrieben in artgerechter Haltung totgestreichelt wurde. Das ist dann schon manchmal sehr extrem lustig zu lesen, aber okay, wenn es dann so ist, dann soll es auch so sein. Mein Umkehrschluss ist aber leider ein anderer: Da könnten die rechten Kameraden schon lange einen neuen „Rechtsstaat“ ausgerufen haben und Flüchtlinge misshandeln ohne Ende und auch sonst alles tun, was kluge Menschen eigentlich nicht tun würden, ABER solange sie sich nicht fleischlos ernähren, wäre wahrscheinlich alles akzeptabel. Ich weiß manchmal wirklich nicht mehr, ob ich weinen oder lachen soll über die Maßstäbe dieser unserer Gesellschaft. P.S. Schon vorweg, ich gäääähne, wenn jetzt wieder einer mit dem „Hitler war Vegetarier“ Scheiss um die Ecke kommt, alles schon gehört. Was fehlt, ist einfach nur Toleranz! Wie wäre es denn mal damit? Und sich dann den wirklich brennenden Themen in dieser Welt zuwenden, das wäre wirklich richtig gut!