Zurück zur Natur versus Fortschritts-Faszination …

Die toten Stahlgerippe nennen sich heute Gemini oder Medusa, wie sie im Industriedenkmal „Ferropolis“ nahe der Stadt Dessau zu bestaunen sind. Es sind nur noch monumentale, tote Kulissen, denn die Zeit des Braunkohle-Abbaus ist weitgehend abgeschlossene Vergangenheit. Eine dieser Monster-Maschinen ist „Hauptdarsteller“ in einem Stummfilm aus dem Jahre 1929 – jener „Sprengbagger 1010“, ein Titel, unter dem Carl-Ludwig Achaz-Duisberg das Genre des Industriefilms idealtypisch erfüllte. Mensch, Natur, und Technik befinden sich in hier Konfrontation zueinander,  Kritik und Ästhetisierung scheinen gleichberechtigt zu sein. Einen solchen Blickwinkel favorisierte die Filmkunst in Zeiten, wo so vieles noch neu war.

Eine (Wieder-)Entdeckung ist „Sprengebagger 1010“ allemal, wie er jahrelang im Bundesarchiv-Filmarchiv Berlin schlummerte.  Ohnehin erleben Stummfilme ja ihre verdienstvolle Renaissance, seit sie nur zu gern von Orchestern aufgegriffen werden. Denn solche Live-Vertonungen eröffnen neue audio-visuelle Gesamterlebnisse, die zunehmend auch Menschen jenseits des bürgerlichen Klassikpublikums für die Welt der Sinfonik empfänglich machen. Zugleich helfen Stummfilm-Abende mit orchestraler Live-Musik, die Rezeption von Filmen von allem banal gewordenen Konsumhaften wieder zu befreien.

Also Film ab zu „Sprengbagger 1010“ in der Zeche Zollverein,  wo mit Hilfe eines groß besetzten WDR-Rundfunkorchesters all diesen Ansprüchen gehuldigt wurde: Dirigent Titus Engel synchronisiert per Monitor das Leindwandgeschehen mit der Partitur. Als Soundtrack gibt es die Original-Musik von 1929 aus der kompositorischen Feder des Schönberg-Schülers Walter Gronostay. Diese untermalt nicht nur, sondern verdichtet über weite Strecken sämtliche Handlungen und Emotionen auf der Leinwand. Es ist eine Tonsprache, die ganz auf der Höhe der Zeit rangiert, ohne allzu avantgardistisch sein zu sollen. So dominiert  eine neue Sachlichkeit, die jeden Bombast nur dann punktgenau auftürmt, wenn es die mechanischen Fortschrittsgesetze erfordern, wenn Maschinen und Sirenen ihre Geräuschwelt entfalten. Aber die aufgebotene Palette stark differenzierter Klangfarben und harmonischer Konstellationen fühlt sich auch sehr gründlich in die Emotionen der Menschen ein, verstärkt damit letztlich die ohnehin stark vorhandenen Ambivalenzen dieses Films.

Fortschrittseuphorie versus romantisches „Zurück zur Natur“. Verbundenheit mit jahrhundertealter Tradition, die plötzlich vom Postulat geänderter Zeitumstände niedergewalzt werden. Der scharfe Kontrast zwischen Kornfeldern, Pferdewagen und Landmenschen zu den Stahlkolossen, Förderbändern und rauchende Schornsteinen des Braunkohletagebaus Leuna, der hier als reale Kulisse diente.   Über die ganzen 88 Minuten dieser Aufführung konkurriert also die vom Orchester ausgebreitete Klangwelt mit der dramatischen Bildgewalt in Duisbergs Industrialisierungs-Epos.

Im Zentrum steht ein Ingenieur (I. Kowal Samborski), der den Riesenbagger konstruiert und der zwischen konträren Welten aber auch zwischen zwei schönen Frauen steht. Da ist die reiche Landfrau (Ilse Strabowa), die der Naturidylle verhaftet ist, sich aber schließlich von den gebotenen Millionen ködern lässt, um ihr Anwesen zu verkaufen. Aber da ist auch eine Konstrukteurin (Viola Garden), die als Symbolfigur der Moderne die Geschlechterrollen hinterfragt, selber Flugzeugfliegen kann und den Bau der gewaltigen Maschine maßgeblich vorantreibt. Ein Großindustrieller (Heinrich George)  repräsentiert den kapitalistischen Fortschritt, wenn er alle Menschen zum Ausverkauf ihrer Heimat nötigt. Bis schließlich die alte Müllerin in ihrer Mühle Feuer legt und mit zugrunde geht. Melodramatisch ist all dies und aus heutiger cineastischer Perspektive auch etwas naiv gezeichnet.  Aber sowas macht die (dadurch immer wieder etwas exotisch wirkende) Aura solcher Stummfilme aus. Eben dieser latent kindliche Blickwinkel auf alles.

Kameraeinstellungen, aber auch Gesichtsausdrücke und Gesten sind unter Duisbergs Regie schlichtweg bestechend. Künstlerische Durchdringung herrschte bis ins letzte Detail vor.

Schließlich produziert das Streben dieser Fortschrittsfanatiker eine Katastrophe größeren Ausmaßes. Sprengungen, die das Braunkohlevorkommen unter der Erdoberfläche freilegen sollen, machen die Landschaft  dem Erdboden gleich. Mehrmals hintereinander durchläuft diese Explosion die Schlusssequenz – fast könnte man an jene Explosionsserie denken, wo in Antonionis Film „Zabriesky Point“ das Prestigeobekt der Spekulanten immer wieder in die Luft fliegt. Aber im Gegensatz zu jener anarchistischen Hoffnungs-Utopie, zerplatzt am Ende von „Sprengbagger 1010“  das bisherige Zuhause jener Menschen, die am Ort des Geschehens versammelt sind und in fassungsloser Paralysiertheit zusehen. Der Fortschritt will das so, und das schließt die Katastrophe für Einzelne nicht aus. Sagt uns dieser Film aus Zeiten, wo das Industriezeitalter richtig boomte.

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