Schalke spielt gegen Osnabrück ein Geisterspiel wie zu Corona-Zeiten, der BVB organisiert seinen Vorstand aus lauter Watzke-Freunden und der FC Hollywood besteht nur noch aus zwei Dutzend Einzelinteressen. Dazu Nachdenkliches zu Union Berlin und Energie Cottbus. Peter Hesse und Thommy Junga gratulieren, kritisieren und fabulieren über die Lage der Liga.
Peter Hesse: Viel schmutzige Wäsche wurde in den vergangenen Tagen gewaschen, die das Spiel VfL Osnabrück gegen den FC Schalke 04 betreffen. Wegen einer morschen Dachkonstruktion und daraus resultierenden Sicherheitsbedenken hatte die Stadt Osnabrück in der vergangenen Woche das Stadion an der Bremer Brücke gesperrt. Begleitet von einem heftigen Streit zwischen beiden Klubs wurde die Partie daraufhin am Hamburger Millerntor als Geisterspiel neu angesetzt. Es ist ein Dilemma auf mehreren Ebenen, oder?
Thommy Junga: Das hatte echte Coronavibes. Die leeren Ränge, die Gesänge von draußen und die schrill hallenden Pfiffe des Schiedsrichters. Vermutlich ist da gar nicht so viel Porzellan zwischen Liga, Klubs und Fans zerschmissen worden, wie jetzt viele befürchten. Beim nächsten regulären Spiel vor Zuschauern ist das doch schon nicht viel mehr als eine Anekdote. Ich fürchte auf beiden Klubseiten hat man mit großer Dankbarkeit die Chance genutzt und die Empörung mal auf etwas anderes als die eigene Leistung und all die eigenen Unzulänglichkeiten gelenkt. Das wurde ausgiebig ausgekostet, aber da wächst sicher bald wieder feinster Zweitligarasen drüber. Es bleibt den Osnabrückern alles Gute für die Mission Wiederaufstieg zu wünschen und den Schalkern zum ersehnten Klassenerhalt zu gratulieren. Schwamm drüber.
Peter Hesse: In Dortmund steht man im Champions League Finale gegen Real Madrid. Dazu wurde Lars Ricken befördert, Sven Mislintat zurückgeholt und Sebastian Kehl in eine Zwischenjob-Stufe runtergejazzt. So baut sich der Verein in der Bestimmer-Etage eine Ägide aus linientreuen Watzke-Freunden. Wird das langfristig gut gehen – oder holt man sich damit nur neue Probleme ins Haus?
Thommy Junga: Dass Lars Ricken irgendwann in höhere Funktionärsgefilde vorstößt war bei Zeiten zu erwarten, die direkte Beförderung auf eine derart prominente Position per Personalüberholspur kam dann schon etwas überraschend. Sebastian Kehl wirkt rasiert und tut das zu Recht. Wir haben ja bereits vor Wochen spekuliert, dass es für ihn nicht unbedingt weiter auf der BVB-Leiter nach oben geht, aber der neue BVB ist schon etwas heftig an ihm vorbeigerauscht. Bei der Personalie Sven Mislintat bin ich mit jedem Jahr und jeder Karrierestation mehr verwundert, wie viel Kredit man in dieser Branche auf diesem Niveau genießen kann. Die Mär des Kagawa-Entdeckers mit dem Diamanten-Auge hält sich hartnäckig und scheint eine stabile Halbwertszeit zu haben – aber die persönlichen Verstrickungen in die Ajax-Transfers, die ihm in den Niederlanden schließlich zum Verhängnis wurden, hinterlassen ein dann doch einige Fragezeichen. Aber ich stimme dir zu: sämtliche neuen Ideengeber scheinen jetzt Watzke mehr als einen Gefallen zu schulden. Die Hoeneßisierung schreitet voran.
Peter Hesse: Eisern Union hat in den letzten Jahren eine unglaublich Erfolgsspur hinterlassen – vor allem die Urs Fischer Ära von 2018 bis 2023 brachte sie sogar in die Qualifikation für die Champions League. In dieser Saison kam der Einbruch, mit viel viel Pech stehen sie unten in der Tabelle. Neben den Absteigern aus Köln und Darmstadt könnten sie in die Relegation kommen – wie kann Union jetzt wieder schnelle Punkte holen?
Thommy Junga: Die letzte Partie gegen den direkten Konkurrenten aus Bochum ging auch deshalb verloren, weil man beispielhaft für die letzten Monate bewährte Tugenden und Stärken nicht auf das Eis bekam. Zweite Bälle, gefährliche Standardsituationen und Laufbereitschaft – alles nicht zu sehen. Erst in der zweiten Hälfte, als der mittlerweile geschasste Ex-Trainer Bjelica entsprechend wechselte und umstellte wurden die Eisernen gefährlicher und konnten fast noch die Partie drehen. Es wird jetzt die Aufgabe sein eine Mannschaft mit höheren Ansprüchen auf den Boden der Tatsachen zu bringen und diese letztlich nie zusammengewachsene Truppe zu einen. Ob der Erstligazug nicht schon abgefahren ist wird sich zeigen. Den Nachweis, dass im Union Berlin 2.0 auch noch das alte eiserne Herz schlägt, blieb man zuletzt eben öfter schuldig.
Peter Hesse: Immer wenn man denkt, dass der FC Hollywood jede erdenkliche Peinlichkeit schon abgefrühstückt haben, setzen sie noch einen drauf. Momentan probieren sie jeden nur verfügbaren Trainer zu verpflichten – am Ende sagen alle von Julian Nagelsmann bis Ralf Rangnick ab. Gehen sie jetzt nach der Niederlage gegen Real Madrid doch mit Thomas Tuchel in die Verlängerung?
Thommy Junga: Die Shortlist des FC Bayern ist mittlerweile länger als die Schlange beim Taylor Swift-Konzert. Die Bayern bewegen sich auf einem Markt, wo eigentlich gar keiner ist. Fast alle Kandidaten stehen unter gut dotierten Verträgen – wegen des Geldes rennt da keiner los. Das Dilemma der Münchner ist, dass nur Trainer interessiert sein werden, die Einfluss auf sämtliche Bereiche fordern. Und genau das können und wollen die Münchner nicht bieten. Andernfalls will sich dieses ungerade gezimmerte Bayern München aber einfach keiner mehr zumuten. Ein unglücklich zusammengestellter Kader, inklusive gefühlt zwei Dutzend Einzelinteressen, die in einem für diesen Klub beispiellosen Hierarchievakuum münden und Entscheider, die keine sportlichen Wünsche umsetzen und stattdessen auf die vermeintliche Qualität und die daraus resultierenden Ansprüche verweisen. Zudem läufst du auch noch Gefahr von einem altehrwürdigen Schattenpräsidium von der Gartenterrasse am Tegernsee aus öffentlich gefaltet zu werden. Dass nun ausgerechnet der Name Hansi Flick wieder durchs bayerische Dorf getrieben wird, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Josua Kimmich vibriert sicher vorfreudig wegen der Aussicht auf einen neuerlichen Diskurs über das defensive Abstimmungsverhalten. Und um deine Frage zu beantworten: Tuchel wird sich das nicht mehr antun. Uli Hoeneß hat ja auch bereits verbal von innen den Stuhl unter die Klinke geklemmt.
Peter Hesse: Der Nordostdeutsche Fußball-Verband (NOFV) ist über die Gewalt von Fußball-Anhängern gegen Polizisten beim Regionalliga-Spiel zwischen dem BFC Dynamo und Energie Cottbus (0:2) am vergangenen Samstag entsetzt, bei denen 155 Einsatzkräfte verletzt wurden. Etwa 1000 Beamte der Berliner Polizei waren im Einsatz, die zudem von der Bundespolizei unterstützt werden mussten. Die Gewaltspirale ist entsetzlich – wie kriegt man das wieder in den Griff?
Thommy Junga: Wir haben ja gerade erst über die Partie Osnabrück gegen Schalke gesprochen. Wenn es in diesem Fall möglich war, wegen baulicher Mängel eine Partie zeitlich und örtlich kurzfristig zu verlegen, dann will mir nicht in Sinn, warum diese Partie in diesem Rahmen stattfinden musste. Manche Dinge, wie Becherwürfe usw., kann man nicht vorhersagen, aber mit Verlaub, dass bei dieser Partie mit großer Wahrscheinlichkeit die Fäuste fliegen, war doch jedem Szenevertrauten vorher völlig bewusst. Das ist grob fahrlässig und extrem unnötig. Du musst diese Bekloppten aushungern, ihnen die Bühne nehmen und sie in die Bedeutungslosigkeit der Ackerprügeleien zurückdrängen. Diese Leute profitieren vom Kontext Fußball und wenn du ihnen die Möglichkeit zur Vereinnahmung des Sportes nimmst, kann die Fanszene gesunden und echte Fans finden wieder ihren Raum. Da braucht es Konsequenz und Mut zur Unbequemlichkeit in der Durchsetzung. Wenn die Vereine es nicht alleine schaffen oder schaffen wollen, dann helfen eben nur noch Vorgaben und Sanktionen.