CDU und SPD rühmen sich, einen Kompromiss im Streit um den § 219a gefunden zu haben. Unser Gastautor, der Jurist Patrick Manfred Mayer, hält ihn für einen Schlag ins Gesicht der Betroffenen.
Die Tätigkeit im medizinstrafrechtlichen und rechtspolitischen Bereich bringt über die Jahre die Berührung mit vielerlei kontrovers diskutierten Themen mit sich. So ist durch Pläne des Bundesministeriums für Gesundheit erst vor kurzem das Transplantationsrecht wieder in das mediale Interesse gerückt worden. Die Jahre zuvor waren unter anderem durch die Diskussion um Sterbehilfe und deren Strafbarkeit oder auch die Fehleranfälligkeit psychiatrischer Prognoseetscheidungen und darauf beruhender Unterbringung (v. a. im Rahmen des Falls Mollath) geprägt.
Dabei gibt es unter all diesen mit hoher Sprengkraft versetzten diffizilen Themen und ihrer dementsprechenden Diskussion zunehmend weniger, das noch überrascht, das noch wirklich wütend macht. Ein Beispiel dafür, dass manches Thema auch jetzt noch die Emotionen aller Beteiligten – mit Recht – hochkochen lassen kann, ist die seit 2017 wieder aktuelle Debatte um § 219a StGB
Wenige Regelungssysteme im deutschen Recht sind so aus der Zeit gefallen wie der Kompromiss zum Schwangerschaftsabbruch aus dem Jahre 1976(!). Die Gesellschaft hat sich nicht erst seitdem gewandelt, sondern bereits damals. Es war immer ein fauler Kompromiss. Indes soll es hier weniger um das Gesamtpaket der §§ 218 ff. StGB gehen, die dringend einer Überarbeitung bedürften (- was in Anbetracht der Gesetzgebungsgeschichte sicherlich für rechtliche Wissenschaft und Praxis eine Jahrhundertaufgabe darstellen würde).
Es geht hier lediglich darum, dass Ärzte in die Lage versetzt werden sollten, eine von vielen angebotenen Leistungen wie jede andere als Teil ihres Repertoires darstellen zu dürfen. Es geht weder darum, etwas zu verharmlosen, noch darum die Pietät konservativ denkender Menschen anzugreifen. Die patriarchal geprägte Gesellschaft sollte eigentlich inzwischen doch zumindest anerkennen können, dass sowohl betroffene Ärzte als auch vor allem die Frauen, um die es hier vornehmlich gehen sollte, derartige Entscheidungen nicht leichtfertig treffen. Es bedarf keines väterlichen Staates, der dafür sorgt, dass man sich bei tiefgreifenden persönlichen Entscheidungen Gedanken macht – was wäre das auch für ein Verständnis vom selbstbestimmten Bürger? Es wäre de facto ein Bekenntnis dazu, dass der Bürger gerade zur eigenverantwortlichen Selbstbestimmung nicht ohne Hilfe des Staates in der Lage ist. Für einen Staat, der wesentlich auf Menschenwürde und die Selbstbestimmung des Individuums abstellt, kann das in der heutigen Zeit doch nichts anderes als ein Armutszeugnis darstellen.
Es geht hier demnach darum, der Selbstbestimmung von Frauen Geltung zu verschaffen und die völlig unverhältnismäßige Kriminalisierung von Ärzten zu beseitigen. Das Strafrecht ist immer nur ultima ratio – das letzte Mittel, das der Staat in Stellung bringen kann. Man muss kein Rechtswissenschaftler sein, um zu erkennen, dass ein derart scharfes Schwert als Reaktion auf die neutrale Benennung einer Behandlungsmöglichkeit dem Schießen mit Kanonen auf Spatzen gleich kommt.
Doch was wirklich wütend machen muss, ist nicht diese Scheinheiligkeit zwischen paternalistischem Staatsverständnis und einer im Ergebnis stattfindenden Abwertung der Selbstbestimmung der einzelnen Betroffenen. Es ist viel mehr die darüber hinausgehende Ignoranz gegenüber einem breiten gesellschaftlichen Konsens. Von FDP über Grüne, große Teile der SPD und die Linke, von einer der wichtigsten (unsäglichen) Beratungsstellen zum Schwangerschaftsabbruch – pro familia – hin zum Deutschen Anwaltsverein besteht Einigkeit, dass § 219a StGB nicht mehr in das Wertegefüge unserer Gesellschaft passt. Wie unerträglich muss es für die Betroffenen gerade jetzt sein, sich unter dem Widerspruch eines derart breiten Bündnisses aus unserer Mitte dennoch mit der Entziehung des Rechts auf selbstbestimmtes Handeln konfrontiert zu sehen? Der nunmehr von Union und SPD „gefundene“ Kompromiss ist in Anbetracht dessen nichts anderes als ein weiterer Schlag ins Gesicht in einer Regelungsgeschichte, die den Betroffenen über Jahrzehnte bereits den ein oder anderen Kinnhaken verpasst hat.
Zum Nachlesen die kurze Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins zu § 219a StGB, die rechtlich insoweit einen guten Überblick verschafft: LINK
Ich brauch nochmal Nachhilfe, ob ich es richtig verstanden habe. Werbung ist weiterhin untersagt (was nachvollziehbar ist), öffentliche Information über die Leistung des Abbruchs der Schwangerschaft in der Praxis/Klinik ist mit der Gesetzesänderung endlich möglich, oder?
Es tut mir leid: Ein ohne jedes juristische Argument verfaßtestes Pamphlet, das sich in die inzwischen allgemein vorherschende Rechtsauffassung der allein emotional begründeten Argumentationen eines rot-grünen vermeintlichen Rechtverständnisses einreiht.
@2/discipulussenecae: auch ich hätte von einem Juristen etwas mehr Sachlichkeit erwartet und war daher über Vokabular wie "wütend" verwundert. Nachdem ich den Autor gegoogelt hatte, hat sich die Verwunderung gelegt.
<i>"eine von vielen angebotenen Leistungen wie jede andere"</i>
Ist es doch gar nicht. Abtreibung ist unter Bezugnahme auf die Menschenwürde höchstrichterlich festgestellt eine stets und immer rechtswidrige Handlung und damit gerade keine Leistung wie jede andere. Der Umstand dass diese rechtswidrige Handlung unter bestimmten Voraussetzungen straffrei bleibt ändert nichts an der grundsätzlichen Rechtswidrigkeit. Und die öffentliche Information, rechtswidrige Dinge zu tun, ist wenig überraschend problematisch.
Das kann man natürlich in diesem Kontext für doof halten, aber dann wäre zunächst mal eine neue höchstrichterliche Entscheidung anzustreben durch die diese Kategorisierung beendet wird. Alles andere hat wenig Zweck und ist unabhängig vom Inhalt eine ziemlich besorgniserregende Sicht auf die Rechtsstaatlichkeit.
Ethik ist in Gegensatz zum Artikel zeitlos. Es gab auch Zeiten, da war Sklaverei in Mode, trotzdem ethisch immer verwerflich. Es geht den linken Frauen eben gerade darum, dass die anderen Frauen nicht mehr verantwortungsvoll entscheiden, sondern ohne Beratung durch die Propaganda der Reklame ins familiäre Unheil getrieben werden und zukünftig sehr leichtfertig entscheiden.
Es ist stets Aufgabe des Staates, die Rechte aller seiner Bürger zu schützen, gerade der Schwächsten. und das sind nicht die Frauen.
"Selbstbestimmung" Ich bin auch nicht selbstbestimmt: ich muss den Gestank von Abgasen oder den Lärm anderer ertragen und auf ganz viele Leute Rücksicht nehmen.
Die Freiheit es Einen ist immer die Unfreiheit des Anderen. So leichtfertig, wie hier Abtreibung als normale medizinische Dienstleistung beschrieben wird, sind Embryonen und Fötuse nach Meinung dieses Artikels Ungeziefer oder Krankheitserreger.
Der Körper eines Menschen ist sein unmittelbares Eigentum. Das gebietet die Menschenwürde. Niemand hat deswegen einer Frau Vorschriften zu machen, wie sie mit dem Potential ihres Köpers, ein Kind zu gebähren umgeht. Es gibt kein kollektives Eigentum an einem individuellen Körper. Es gibt gesundheitliche Kriterien zum Schutz dieses Körpers, die sehr wohl auf das Gebähren angewandt werden können. Kollektive ethische Regeln können diesbezüglich jedoch nur gesellschaftliche Leitlinien sein, deren Befolgung ganz alleine der Gebährenden überlassen sind. Wem sonst.
@5
Es geht nicht darum, die Beratung infrage zu stellen. Da haben Sie etwas missverstanden. Und wo bitte steht, der Autor betrachte Embryonen als "Ungeziefer"? Da haben Sie aber gehörig etwas missverstanden und das ist eine gemeine Unterstellung.
Es geht darum, ob Ärzte straffrei über die Leistung einer Abtreibung öffentlich informieren dürfen.
@4 Andi:
Medizinisch betrachtet handelt es sich sehr wohl um eine Leistung und ich denke so hat der Autor es auch gemeint.
In Deutschland ist die Abtreibungs-Rate seit Jahrzehnten sinkend und aktuell auf einem erfreulich niedrigen Niveau.
Schwangere Frauen und ihre dazugehörigen Männer sollten sich nicht schämen müssen, wenn sie sich für eine Abtreibung entscheiden. Sachliche Information durch Ärzte ist ein richtiger Schritt.
§219a regelt in zumutbarer Weise die Sorgfaltspflicht einer Schwangeren.
Wesentlich eingeschränkt wird nur das werbende, wirtschaftliche Interesse der Dienstleistungsanbieter. Wie der konkrete Fall der Fr. Dr. Hänel, die laut einem Kommentar in der Welt von der "Entfernung von Schwangerschaftsgewebe" zu sprechen pflegen soll, geschieht dies mit einiger Berechtigung. (Der Welt-Kommentar machte sich im übrigen die Position des Artikelautors zu Eigen.)
Die Auffassung des Autors zur Gesetzgebung erinnert frappant an andere Wir-sind-das-Volk-Vertreter.
@Wolfram Obermanns: Falsch. Fr. Dr. Hänel, die für ihr Engagement größten Respekt verdient, hat zu keinem Zeitpunkt Werbung gemacht, sondern informiert. Von einem wirtschaftlichen Interesse kann keine Rede sein. Die Kosten für eine Abtreibung liegen zwischen 300-800 €. Würde sich das für eine Praxis lohnen, gebe es viel mehr Praxen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Es dürfte um die 150.000 ambulante Ärzte geben, von denen lediglich ein Bruchteil Abtreibungen durchführt.
#9
Die im Kern sachlich falsche Information, bestenfalls als Beschönigung zu bezeichnende Formulierung, eine Abtreibung wäre lediglich die Entfernung von "Schwangerschaftsgewebe", halten Sie für qualitativ adäquate hochwertige Information?
@ Nina #7, Arnold Voss #6:
"Der Körper eines Menschen ist sein unmittelbares Eigentum. Das gebietet die Menschenwürde. Niemand hat deswegen einer Frau Vorschriften zu machen, wie sie mit dem Potential ihres Köpers, ein Kind zu gebähren umgeht."
Um das Potential geht's doch gar nicht, sondern um den Fall dass dieses Potential bereits genutzt wird. Entsprechend geht's auch gar nicht /allein/ um die Menschenwürde der Frau. Wie lange betrifft das "sich für eine Abtreibung entscheiden" denn alleine den Körper der Frau, und ab wann auch eine zweite Person deren Würde natürlich auch geschützt werden muss?
Ich kann ja verstehen, dass man in bestimmten Situationen abtreiben will. Was ich nicht verstehe ist wieso das eine Entscheidung sein soll die nur die Frau betrifft. Und bei genau dem Dilemma setzt ja auch das BVerfG an, deshalb dürfte es auch schwierig werden die Rechtswidrigkeit der Abtreibung wegzubekommen. Die zu klärende Kernfrage kann also aus meiner Sicht nicht sein "warum dürfen Frauen nicht über den eigenen Körper entscheiden", sondern "wann dürfen Frauen über ein fremdes Leben entscheiden". Gut möglich, dass man das abtreibungsfreundlich beantworten kann. Die Sachlage unter dem Blickwinkel zu diskutieren dass die Frau alleine die einzige Betroffene ist, macht eine Klärung aber praktisch unmöglich, denn es ist halt nicht so.
@ Andy # 11
Es handelt sich nicht um ein "fremdes" Leben. Es ist vielmehr Teil des Lebens der Mutter und kann ohne dies nicht gedacht werden, noch existieren. Auch der Vater hat jenseits der Zeugung damit biologische nichts zu tun, geschweige denn die Gesellschaft. Die Konstruktion des "fremden Lebens" dient einzig und allein dazu, den Körper der Frau zu einem kollektiven Eigentum zu machen, bzw. Macht über ihren individuellen Körper zu gewinnen.
Natürlich ist eine Geburt bzw. Nichtgeburt immer auch sozial zu denken und zu behandeln. Aber die letztliche Entscheidung darüber kann nur die Gebärende selbst fällen. Wer denn sonst. Der Eingriff oder auch das Zulassen der Geburt betrifft ausschließlich ihren Körper und keinen anderen. So ist das nun mal bislang noch mit unserer biologischen Konstitution.